Studie: Missstände in der DDR-Psychiatrie „Haus 213“

Überfüllt, marode, von der Stasi durchsetzt

Enge Zellen, verdreckte Sanitäranlagen und zahlreiche Ausbrüche: Die forensisch-psychiatrische Klinik „Haus 213“ in Berlin-Buch war bis zum Ende der DDR geprägt von katastrophalen Zuständen. Medizinhistoriker und Arzt Dr. Rainer Erices von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) hat erforscht, wie der Staat bei der Unterbringung psychisch erkrankter Straftäter/-innen versagte.

Missstände erstmals systematisch aufgearbeitet

Anhand von Akten aus dem Landesarchiv Berlin, dem Bundesarchiv und dem Stasi-Unterlagen-Archiv hat Erices die Geschichte der Klinik „Haus 213“ nach 1968 aufgearbeitet. In jenem Jahr trat das neue Strafgesetzbuch der DDR in Kraft, das den Maßregelvollzug abschaffte und grundlegende Reformen forderte.

Trotz offizieller Reformen blieb der Alltag der Inhaftierten aber geprägt von Überbelegung, Ausbrüchen und fehlender Therapie. Die Studie von Dr. Erices offenbart nicht nur die Rolle der Staatssicherheit, sondern belegt auch Mängel in der personellen Besetzung und der baulichen Ausstattung der Klinik: „Archivfotos zeigen ein Bild völliger Trostlosigkeit. Auch in Stasi-Akten ist immer wieder von menschenunwürdigen Bedingungen zu lesen“, erklärt Dr. Erices.

Verwahrung unter verheerenden Bedingungen

Das Gebäude der Klinik wurde um die Jahrhundertwende gebaut und seither kaum saniert. Sanitär-, Elektro- und Heizungsanlagen waren laut Gutachten völlig verschlissen und technisch unzulänglich: Im Winter sei die Temperatur in den Zimmern teilweise auf 3 Grad gesunken. Besonders Badezimmer und Küchen waren vollkommen verdreckt und verschimmelt.

Die Überbelegung wurde noch verschärft, weil Patient/-innen aus der Rehabilitation in die Klinik eingegliedert wurden. „Das hat sogar dazu geführt, dass ehemalige Toiletten zu Arbeitsplätzen für die Ärzte umgebaut wurden“, berichtet Erices. „Zwar ist es nicht das politische Ziel gewesen, Menschen in der Psychiatrie verwahrlosen zu lassen. Dennoch zeigt sich deutlich, wie das System hier versagt hat.“

Die Staatssicherheit als heimlicher Akteur

Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS, umgangssprachlich: Stasi) nutzte die Klinik zudem für seine Zwecke: Ein Großteil der leitenden Ärzte war für die Staatssicherheit tätig und berichtete detailliert über Mitarbeitende und Patient/-innen. „Die Anzahl der Stasi-Spitzel ist beachtlich. Die Geheimpolizei hat direkt in die Privatsphäre von Erkrankten eingegriffen“, betont Erices, der am FAU-Institut für Geschichte und Ethik der Medizin forscht und die Arbeitsgruppe „Medizingeschichte der DDR leitet. „Wenn Patientengeheimnisse verraten werden, ist das – damals wie heute – eindeutig Missbrauch.“

Schutz von Erkrankten bleibt aktuell

Wichtig sei es, die Zustände weiter wissenschaftlich zu untersuchen und die nötigen Schlüsse daraus zu ziehen. „Die Frage, wie wir mit psychisch erkrankten Straftätern umgehen, bleibt hochaktuell“, sagt Erices. „Personalmangel ist in der forensischen Psychiatrie beispielsweise auch heute ein riesiges Problem. Wir als Gesellschaft müssen die richtigen Rahmenbedingungen schaffen, um eine würdige und wirksame Behandlung zu garantieren.“

Abschlusssymposium zeigt interdisziplinäre Erkenntnisse

Die Studie von Dr. Rainer Erices ist Teil des Forschungsverbunds „Seelenarbeit im Sozialismus. Psychologie, Psychiatrie und Psychotherapie in der DDR“ (SiSaP). Das umfangreiche und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF/BMFTR) geförderte Projekt untersucht, wie psychiatrische und psychotherapeutische Einrichtungen in der DDR organisiert waren, welche Behandlungskonzepte es gab und wie politische Vorgaben die Praxis beeinflussten. Erices leitete in dem Forschungsverbund das Erlanger Teilprojekt zur Gesundheitspolitik der DDR.

Im Rahmen des Projekts findet vom 18.-19. September 2025 ein Abschlusssymposium statt. Dort werden die Ergebnisse des Projekts vorgestellt und diskutiert. Die Veranstaltung bietet nicht nur Einblicke in die Geschichte der Psychiatrie und Psychotherapie in der DDR. Sie ist ebenfalls eine einzigartige Gelegenheit, aktuelle Fragen von Ethik, Politik und Gesellschaft zu besprechen. Die Teilnahme ist kostenlos, die Teilnehmendenzahl jedoch begrenzt. Deshalb wird um Anmeldung gebeten: sisap@med.uni-jena.de

Eine Zusammenfassung der Studie ist einsehbar unter: „Katastrophale Bedingungen“ Innenansichten aus der forensischen Psychiatrie in der DDR – Haus 213, Berlin-Buch

Weitere Informationen

PD Dr. Rainer Erices
Institut für Geschichte und Ethik der Medizin
rainer.erices@fau.de