Bei Wind und Dauerregen: Gletscherforschung unter extremen Bedingungen

Franziska Temme, eine braunhaarige sportliche Frau in blauem Anorak auf einem Eisfeld. Im Hintergrund ihr Kollege in einem gelben Anorak.
Bild: L. Langhamer

Die Gletscher schmelzen. Dieser Fakt ist bekannt. Aber wie genau stellen Forschende das fest? Franziska Temme ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geographie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und war unter anderem bei drei Exkursionen zum Cordillera Darwin-Eisfeld in Südamerika dabei. Jetzt hat sie in einer Studie mithilfe von Modell-Simulationen den Massenhaushalt der dortigen Gletscher bestimmt. Dabei hat sie auch Daten verwendet, die sie selbst vor Ort erfasst hat.

Gletscherforschung am Cordillera Darwin-Eisfeld

Das Cordillera Darwin-Eisfeld liegt in Feuerland an der südlichsten Spitze Südamerikas. Es umfasst eine Eismasse, die fast doppelt so groß ist wie die der europäischen Alpen. Durch die extrem abgeschiedene Lage und die unwirtlichen klimatischen Bedingungen ist das Eisfeld bisher kaum erforscht. In ihrer neuen Studie „Climates firm grip on glacier ablation in the Cordillera Darwin Icefield, Tierra del Fuego“ haben Franziska Temme und ihre Kollegen Johannes Fürst und Christian Sommer erstmals mithilfe von Modell-Simulationen den Massenhaushalt der Gletscher des gesamten Cordillera Darwin-Eisfelds bestimmt. An seiner Oberfläche kann so ein Gletscher nämlich Masse gewinnen, z.B. durch Schneefall, oder verlieren, z.B. durch Schmelze. Auch an der Gletscherfront verlieren einige der Gletscher an Masse. Viele der Gletscher in der Cordillera Darwin enden in Seen oder Fjorden, wo Eisberge abbrechen können.

Nur schwer zu erreichen

Von Punta Arenas, der südlichsten größeren Stadt in Chile, sind es mit dem Boot knapp sechs Stunden zum Cordillera Darwin-Eisfeld. Dabei müssen nicht nur die Forschenden zum Eisfeld gelangen, sondern auch ihr Equipment – bei Franziska Temmes Exkursionen unter anderem drei Kayaks. Oft werden die Forschenden bei der An- und Abreise von der chilenischen Marine unterstützt, die dort regelmäßig Kontrollfahrten macht.

Ein Schlauchboot trifft gerade ein, mehre Leute kommen auf die Leute im Schlauchboot zu
Die chilenischen Marine holt das Forschungsteam ab. (Bild: L. Langhamer)

Manchmal hilft die Marine sogar noch mehr, erzählt Franziska Temme. Zum Beispiel, als bei einer Exkursion die Box mit dem gesamten Frühstück an Bord des Marineschiffs vergessen wurde. „Da wäre das Essen für zehn Tage tatsächlich knapp geworden“, erzählt sie. „Glücklicherweise hat sich ein anderes Boot der Marine wenige Tage später auf der gleichen Route auf den Rückweg gemacht und uns die Box vorbeigebracht.“

Alles ist nass

Neben der Abgeschiedenheit ist die Witterung ein großes Problem bei der Forschung. „Eigentlich herrscht dort immer schlechtes Wetter“, erklärt Franziska Temme. Die Cordillera Darwin ist bekannt für die starken Winde und hohen Niederschlagsraten. „Wir hatten meistens großes Glück mit dem Wetter“, erinnert sie sich. Großes Glück bedeutet in diesem Fall: etwa zwei Tage Sonne bei zehn Tagen Exkursion.

Ein gelbes Kanu auf einem See, in dem sich mehrere Eisblöcke befinden.
Mit dem Kayak auf den Weg zur Gletscherfront des Schiaparelli Gletschers (Bild: Franziska Temme)

Denn im Gegensatz zu vielen anderen vergletscherten Regionen ist bei der Arbeit am Cordillera-Darwin Eisfeld nicht die Kälte das Problem, sondern die hohe Feuchtigkeit: „Es wird einfach alles nass“, fasst Franziska Temme zusammen. Sie erläutert: „Die längste Phase an Niederschlag, die seit 2015 am Schiaparelli-Gletscher gemessen wurde, betrug drei Monate. Es hat also drei Monate am Stück jeden Tag geregnet.“ Das kann zu einem Problem für die empfindlichen Messgeräte werden. Aber auch alltägliche Aufgaben werden erschwert: „Ein Notizblock weicht gleicht auf. Wer sich Notizen machen will, muss wasserfestes Papier verwenden.“

Lufttemperatur, Schmelze und Eisdicke messen

Direkt neben dem Schiaparelli-Gletscher gibt es eine Wetterstation, die seit 2015 von der Humboldt-Universität Berlin betrieben wird. Dort werden zum Beispiel Lufttemperatur, Feuchte, eingehende Strahlung, Windrichtungen sowie Windgeschwindigkeit und die Menge an Niederschlag gemessen. Diese Daten sind sehr wichtig, um die Schmelzvorgänge an der Gletscheroberfläche zu verstehen und am Ende auch in einem Modell darstellen zu können.

Eine wichtige Messung ist die sogenannte Ablationsmessung. Das Prinzip ist einfach: Die Forschenden bohren ein Loch in die Eisfläche und stecken eine etwa acht bis zehn Meter lange Stange hinein. Ein Jahr später wird gemessen, wie viel der Gletscher in einem Jahr an der Oberfläche geschmolzen ist. An den Zungen der Gletscher im Cordillera Darwin-Eisfeld sind Schmelzraten von bis zu 8 Metern pro Jahr keine Seltenheit.

Eine Person beugt sich über eine Art Solar-Panel
Arbeit an der Wetterstation direkt neben dem Schiaparelli Gletscher. (Bild: Franziska Temme)
Zwei Personen sind in dicker Winterkleidung sind auf einer großen Eisfläche unterwegs und tragen einen langen Schlauch.
Eisdickenmessung am Schiaparelli Gletscher. (Bild: L. Langhamer)

Um die zukünftige Entwicklung der Gletscher absehen zu können, ist die Eisdicke ein sehr wichtiger Faktor. Im Cordillera Darwin-Eisfeld ist diese bisher weitestgehend unbekannt. Am Schiaparelli-Gletscher wurde bereits vor ein paar Jahren eine Messung der Eisdicke durchgeführt, die Franziska Temme und ihre Kollegen einige Jahre später in einem anderen Bereich des Gletschers wiederholt haben. Dafür wird eine Radar-Antenne verwendet, die ein Signal in das Eis sendet. Das Signal wird am Bett des Gletschers reflektiert und von dem Messgerät an der Oberfläche wieder empfangen. Daraus lässt sich am Ende die Eisdicke ableiten. „Die Eisdicke in diesem Bereich beträgt bis zu 300 Meter“, erzählt sie.

Durch GPS-Messungen die Bewegung der Gletscher nachvollziehen

Ein weiterer wichtiger Aspekt bei der Erfassung von Gletscherentwicklungen ist die Bewegung eines Gletschers. Mithilfe einer GPS-Antenne konnten die Forschenden sehr genau nachvollziehen, wie schnell sich der Gletscher in welche Richtung bewegt. Bei der Installation eines GPS-Punktes nahe der Gletscherfront des Schiaparelli-Gletschers mussten die Forschenden das Solarpanel mit zwei großen Steinen beschweren, um es bei dem für die Gegend typischen starkem Wind vor dem Wegfliegen zu schützen.

Zwei Personen in dicker Winterkleidung stehen auch einer Schneefläche und installieren einen GPS-Punkt, der aussieht wie eine metallische Box.
Installation eines GPS-Punktes nahe der Gletscherfront des Schiaparelli Gletschers. (Bild: L. Langhamer)
Eine GPS-Punkt auf einer Eisfläche, man sieht ein schwarzes Kabel, das zur Station gehört und in das Eis eingesunken ist
Nach fünf Tagen mit einer außergewöhnlichen Hitzewelle ist das schwarze Kabel ins Eis geschmolzen. (Bild: L. Langhamer)

Aber auch außergewöhnlich gutes Wetter kann ein Problem für die Forschungsarbeit darstellen. So ist in diesem Beispiel nach fünf Tagen und einer ungewöhnlichen Hitzewelle ein Kabel ins Eis geschmolzen. „Zum Glück war es an diesem Tag ebenfalls warm, und das Kabel war nicht festgefroren“, erklärt Franziska Temme.

„Es hat mich überrascht, wie stark der Verlust ist“

Die aus ihren Forschungsreisen gesammelten Informationen hat Franziska Temme mit vielen Daten anderer Forschender gebündelt und daraus ihre Modell-Simulationen erstellt. Diese Simulationen zeigen die Entwicklung des Cordillera Darwin-Eisfeldes im Zeitraum von 2000 bis 2023. Nicht zu leugnen: Die Gletscher schmelzen, was besonders durch die starke Temperaturerwärmung in der Region verursacht wird. Unerwartet für die Forschenden war, wie hoch der Massenverlust der Gletscher wirklich ist, und wie stark dieser in den letzten 23 Jahren gestiegen ist.

Außerdem wird deutlich, dass die Windgeschwindigkeit – vermutlich als Resultat des Klimawandels – zugenommen hat.

Die Abbildung zeigt die mittlere jährliche Oberflächenmassenbilanz, basierend auf Franziska Temmes Modellrechnungen. An den Gletscherzungen sieht man die starke Schmelze (negative Massenbilanz in rot) und in den höher gelegenen Bereichen den Masseninput, zum Beispiel durch Schneefall (positive Massenbilanz in blau). Vor allem einige der kleineren Gletscher haben kaum noch positive Bereiche, sondern an der gesamten Oberfläche Massenverlust.
Die Abbildung zeigt die mittlere jährliche Oberflächenmassenbilanz, basierend auf Franziska Temmes Modellrechnungen. An den Gletscherzungen sieht man die starke Schmelze (negative Massenbilanz in rot) und in den höher gelegenen Bereichen den Masseninput, zum Beispiel durch Schneefall (positive Massenbilanz in blau). Vor allem einige der kleineren Gletscher haben kaum noch positive Bereiche, sondern an der gesamten Oberfläche Massenverlust.
Zur Originalpublikation

Weitere Informationen:

Franziska Temme
Institut für Geographie
franziska.temme@fau.de