Teamarbeit in der Kinderklinik: Viele Rettungsengel für David

Teamarbeit: 16 Ärztinnen, Ärzte und Pflegefachkräfte der Kinder- und Jugendklinik des Uniklinikums Erlangen versammeln sich um die Eltern des kleinen David, seine Zwillingsschwester Adele und seinen großer Bruder Lev.
Teamarbeit: 16 Ärztinnen, Ärzte und Pflegefachkräfte der Kinder- und Jugendklinik des Uniklinikums Erlangen versammeln sich um die Eltern des kleinen David, seine Zwillingsschwester Adele und seinen großer Bruder Lev. David liegt zu diesem Zeitpunkt noch in seinem Bettchen in der Neonatologie. Foto: Michael Rabenstein/Uniklinikum Erlangen

Wie ein interdisziplinäres Team der Kinderklinik in Erlangen um das Leben des Frühchens David kämpfte – und trotz aller Widrigkeiten gewann

Es gibt sie, die Patientengeschichten, die einem Wunder gleichen. Doch selten ist das Leben eines Patienten so vielen Menschen zu verdanken wie in diesem Fall: Für ein gemeinsames Foto versammeln sich 16 Ärztinnen, Ärzte und Pflegefachkräfte der Kinder- und Jugendklinik (Direktor: Prof. Dr. Joachim Wölfle) des Uniklinikums Erlangen um die Eltern des kleinen David, seine Zwillingsschwester Adele und seinen großen Bruder Lev. Dass David heute lebt, ist nicht selbstverständlich: Der Junge kam mit einem angeborenen Herzfehler auf die Welt – und das viel zu früh, in der 29. Schwangerschaftswoche mit nur 1.200 Gramm. Nur dank des beherzten Eingreifens eines interdisziplinären und interprofessionellen Teams der Erlanger Kinderklinik überlebte er. „So eine außergewöhnliche interdisziplinäre Leistung habe ich in meinen 25 Jahren ärztlicher Tätigkeit noch nie erlebt“, sagt Prof. Dr. Heiko Reutter, Leiter der Neonatologie und Pädiatrischen Intensivmedizin des Uniklinikums Erlangen. Karolina G., Davids Mutter, ergänzt: „Die Ärztinnen und Ärzte und das Pflegepersonal sind wahre Heldinnen und Helden in dieser Geschichte. Sie sind wie Engel ohne Flügel.“

Bereits während der Schwangerschaft stellten Ärztinnen und Ärzte fest, dass der kleine David schon bald nach der Geburt eine Operation am Herzen benötigen würde. Per Ultraschall diagnostizierten sie bei ihm – anders als bei seiner Zwillingsschwester – eine Transposition der großen Arterien (TGA). Bei diesem angeborenen Herzfehler sind die Ursprünge der Körper- und der Lungenschlagader vertauscht. Das bedeutet: Der Lungenkreislauf, der das Blut mit Sauerstoff anreichert, und der Körperkreislauf, der den Körper mit Sauerstoff versorgt, sind nicht wie gewöhnlich miteinander verbunden, sondern komplett voneinander getrennt. In der Folge pumpt das Herz sauerstoffreiches Blut in die Lunge und sauerstoffarmes Blut in den Körper, was zu einer unzureichenden Sauerstoffversorgung der Organe und – ohne Operation – zum Tod führt. „Eine TGA ist normalerweise sehr gut behandelbar. Dieser Herzfehler kann durch einen Herzkatheter und eine anschließende operative Korrektur kurz nach der Geburt in 95 Prozent der Fälle behoben werden“, erläutert Prof. Dr. Sven Dittrich, Leiter der Kinderkardiologischen Abteilung und Sprecher des Kinderherzzentrums des Uniklinikums Erlangen. „Daher war die Prognose für David eigentlich sehr gut.“

Dramatische Geburt zu Hause

Doch das Leben hatte andere Pläne für David und seine Schwester Adele: In der 29. Schwangerschaftswoche – viel zu früh – setzten bei Karolina G. plötzlich die Wehen ein: „Ich fühlte einen Druck, aber ich hatte keine Schmerzen. Vielleicht wollte mein Kopf es nicht wahrhaben, dass es schon so weit ist“, beschreibt sie. „Mein großer Sohn Lev und ich waren allein zu Hause, als es losging. Mein Mann war auf Geschäftsreise. Also wählte ich den Notruf.“ Als der Rettungsdienst eintraf, waren David und Adele schon geboren: Karolina G. hatte die Zwillinge völlig allein, lediglich mit Unterstützung ihres ersten Sohnes, auf die Welt gebracht. „Ich hab Mama das Handtuch gehalten“, berichtet der sechsjährige Lev sichtlich stolz. David schwebte ab diesem Zeitpunkt in höchster Lebensgefahr. „Er hat nicht geschrien“, erinnert sich die 31-jährige Mutter. Kein Wunder: Aufgrund seines angeborenen Herzfehlers konnte sein Herz den kleinen Körper nicht mit ausreichend Sauerstoff versorgen.

Nachdem die Rettungskräfte das Frühchen reanimiert hatten, brachten sie die Zwillinge in eine Klinik, von wo aus beide noch am ersten Lebenstag in die Neonatologie des Uniklinikums Erlangen verlegt wurden. Auf der hiesigen Intensivstation wurde der gerade einmal 1.200 Gramm schwere David zur Stabilisierung an eine Beatmungsmaschine angeschlossen. „Hier gibt es jetzt mehrere Herausforderungen“, erkannte Neonatologe Prof. Reutter schnell und zog Kolleginnen und Kollegen aus der Kinderkardiologie, der Kinderherzchirurgie und der Kinderchirurgie hinzu.

„Ohne den Eingriff stirbt er“

„Normalerweise würde man bei einem Neugeborenen mit TGA sofort einen Notfall-Herzkathetereingriff, genauer gesagt, ein Rashkind-Manöver machen und später in der Kinderherzchirurgie eine arterielle Switch-Operation“, erklärt Kinderkardiologe Prof. Dittrich. Bei dem minimalinvasiven Verfahren wird eine natürliche kleine Öffnung zwischen den Herzvorhöfen mithilfe eines Ballonkatheters vergrößert. Dies ermöglicht, dass das Herz sauerstoffreiches Blut in den Körper und sauerstoffarmes zur Lunge pumpen kann und sich der Kreislauf bis zur korrektiven Operation stabilisiert. Die Switch-OP dient anschließend dazu, die Positionen der großen Blutgefäße dauerhaft zu korrigieren. „Man kann bei einem Kind mit gerade einmal 1.200 Gramm aber nicht einfach einen Herzkathetereingriff durchführen, geschweige denn eine Switch-Operation. Unser Rashkind-Ballon war zu diesem Zeitpunkt größer als sein Herz. Wir wollten das viel zu kleine Vorkammerloch des in etwa kirschgroßen Herzens daher zuallererst mit einem Mini-Ballon dehnen“, erklärt Prof. Dittrich die heikle Situation. „TGA und extreme Frühgeburtlichkeit – das ist eine der schlechtesten Prognosen, die ein Kind haben kann.“ Prof. Reutter ergänzt: „Wir wussten: Ein Eingriff wird riskant, aber ohne ihn wird David ganz sicher sterben.“

Schließlich beschloss das Team aus Spezialistinnen und Spezialisten – gemeinsam mit den Eltern – dass sie David diese Chance geben wollen. Keine 24 Stunden nach der notfallmäßigen Hausgeburt führte Prof. Dittrich schließlich den ersten Herzkathetereingriff mit Mini-Ballon bei dem Frühchen durch – mit Erfolg, der Kreislauf stabilisierte sich. Doch die Erleichterung nach diesem Zwischenerfolg war nicht von Dauer: Kurz darauf entzündete sich Davids Darm. „Das ist nicht ungewöhnlich für Kinder mit einem angeborenen Herzfehler. Wenn die Sauerstoffversorgung im Darm zu gering ist, steigt das Risiko für eine Entzündung“, erläutert Prof. Dr. Manuel Besendörfer, Leiter der Kinderchirurgischen Abteilung des Uniklinikums Erlangen, der dem Säugling noch vor dessen lebensnotwendiger Herzoperation einen künstlichen Darmausgang anlegte. Mit einem klassischen Rashkind-Manöver einige Wochen später stellte Kinderkardiologe Prof. Dittrich dann sicher, dass Davids Körper weiter heranwachsen konnte, bis ausreichend Blutvolumen für die Korrekturoperation an seinem Herzen vorhanden war. „Es war ein Wunder, dass David zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch lebte“, sagt Karolina G.

Der große Tag

13 Wochen nach seiner Geburt war es schließlich so weit: David war mit rund 2.300 Gramm endlich groß und kräftig genug für die lebenserhaltende Herz-OP. „Wir haben uns sorgfältig auf diese Operation vorbereitet. Für ein so kleines Herz müssen beispielsweise sehr kleine Instrumente bereitgestellt werden“, erklärt Dr. Ariawan Purbojo, leitender Oberarzt der Sektion Kinderherzchirurgie an der Herzchirurgischen Klinik (Direktor: Prof. Dr. Oliver Dewald) des Uniklinikums Erlangen und Davids Operateur. „Man könnte meinen, dass eine OP an einem kleinen Herzen schneller geht. Aber das Gegenteil ist der Fall: Die Naht ist viel filigraner. Alles muss noch sorgfältiger als sonst vernäht werden.“ Die Operation gelang: Davids Herz arbeitet nun so, wie es soll. Für Karolina G. und ihre Familie war der Tag des Eingriffs befreiend: „Bis dahin hingen wir in der Luft, waren zwischen Himmel und Hölle. Nach der OP konnten wir endlich wieder durchatmen.“

Etwa zwei Wochen lang lag der kleine David anschließend noch in der Neonatologie zur weiteren Kontrolle. „Unsere Pflege hat ihn gehegt und gepäppelt und gut auf ihn aufgepasst“, sagt Prof. Reutter. „Das Kind hat auch überlebt, weil unsere Pflegefachkräfte spitzen Arbeit machen!“ Der Neonatologe und das gesamte Team sind sich heute einig: „Davids Chancen stehen gut! Wir sind sehr zuversichtlich, dass er ein ganz normales Leben führen wird.“ Karolina G. ist unendlich dankbar: „Worte können nicht beschreiben, was ich heute fühle, wenn ich ihn in meinen Händen halte. Es ist unglaublich, dass er lebt – nach diesem Marathon. Ich bin so stolz auf ihn“, sagt sie. „Solche Fälle wie den von David gibt es nicht oft. Das ist schon wirklich eine besondere Krankengeschichte und eine ganz außergewöhnliche interdisziplinäre und interprofessionelle Leistung von Ärztinnen, Ärzten und Pflegepersonal aus der Neonatologie, Kinderkardiologie, Kinderherzchirurgie, Kinderchirurgie, Anästhesiologie und Kardiotechnik. Das war in dieser Form nur hier in Erlangen möglich“, fasst es Prof. Dittrich zusammen. Fast vier Monate nach der Notfallgeburt der Zwillinge kann David nun endlich nach Hause entlassen werden – seine Eltern, sein großer Bruder Lev und seine Zwillingsschwester Adele können es kaum erwarten.

Weitere Informationen:

Pressestelle des Uniklinikums Erlangen
Tel.: 09131/85-36102
presse@uk-erlangen.de