Neuronale Netze: KI geht auf die Nerven

Süßer Roboter läuft auf Nervenbahnen.
(Image: made by AI/craiyon)

Physiologen der FAU nutzen neuronale Netze, um die Funktion von Ionenkanälen zu analysieren

Mithilfe tiefer neuronaler Netze kann die Signalübertragung von Nervenzellen künftig in Echtzeit analysiert werden. Das zeigt eine Studie von Physiologinnen und Physiologen der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), die im renommierten Journal Communications Chemistry veröffentlicht wurde. Die vorgestellte Methode ist nicht nur für die Neuromedizin relevant, sondern lässt sich beispielsweise auch für die Erforschung chemischer Reaktionen nutzen.

Nervenzellen sind die Informationsträger unseres Gehirns. Für die Signalübertragung ändern sie ihre elektrische Spannung, indem sie die Konzentration von Natrium- und Kaliumionen über sogenannte Ionenkanäle steuern. Diese Kanäle befinden sich in der Zellmembran und funktionieren wie elektrische Schalter. „Es gibt eine etablierte Methode, mit der man messen kann, ob ein Ionenkanal geöffnet oder geschlossen ist“, erklärt PD Dr. Dr. Tobias Huth vom Institut für Physiologie und Pathophysiologie der FAU. „Dafür wird eine hauchdünne Pipette von nur einem Mikrometer Durchmesser an den Kanal gelegt und Stromänderungen aufgezeichnet.“ Das Problem der sogenannten Patch-Clamp-Technik: Die extrem geringen Ströme, mit denen die Ionenkanäle arbeiten, sind aufgrund zahlreicher Störfaktoren der Umgebung schwer zu detektieren. Sogenannte Tiefpassfilter minimieren das Rauschen, schränken jedoch die Bandbreite der Messung ein. „Am Ende haben wir eine verdichtete Zeitreihenaufzeichnung der Stromausschläge, die wie ein endlos langer Strichcode aussieht“, sagt Efthymios Oikonomou, Doktorand am Institut für Physiologie und Pathophysiologie und Erstautor der Studie. „Für die Auswertung dieser Einzelkanaldatensätze sind enorme Rechenleistungen und sehr viel Zeit erforderlich.“

Die Erlanger Forschenden haben nun eine Möglichkeit vorgestellt, die Auswertung mithilfe tiefer neuronaler Netze erheblich zu beschleunigen. Dafür wandeln sie die Zeitreihenaufzeichnungen zunächst in zweidimensionale Histogramme um. Diese kompakten Grafiken, die man mit QR-Codes vergleichen kann, eliminieren überflüssige Informationen und präsentieren alle wesentlichen Daten auf kleinstem Raum. „Um die KI zu trainieren, haben wir Millionen solcher Histogramme auf einem Großrechner simuliert. Ausschließlich echte Messungen zu verwenden, hätte Jahrzehnte gedauert“, erzählt Oikonomou.

Die trainierten neuronalen Netze sind in der Lage, unbekannte gemessene Stromspuren blitzschnell zu analysieren und so die Arbeitsweise von Ionenkanälen in Echtzeit zu beobachten. „Das eröffnet völlig neue Perspektiven bei der Erforschung von Hirnfunktionen einschließlich neuronaler Störungen und Erkrankungen“, erklärt Tobias Huth. „Wir können nun beinahe live verfolgen, wie Nervenzellen beispielsweise auf neue Medikamente reagieren.“ Die Verarbeitung von Histogrammen durch tiefe neuronale Netze ist nicht nur für medizinische Fragestellungen interessant: Sie könnte überall dort zum Einsatz kommen, wo sehr schnelle und schwer vorhersagbare Zustandsänderungen beschrieben werden sollen – etwa bei chemischen Reaktionen.

Efthymios Oikonomou (Bild: privat)

Efthymios Oikonomou und PD Dr. Tobias Huth  forschen in der Arbeitsgruppe Alzheimer/Huth am Institut für Physiologie und Pathophysiologie. Im Mittelpunkt steht das elektrische Verhalten von Neuronen und neuronalen Netzwerken des Zentralen Nervensystems unter normalen und pathologischen Bedingungen. Mit hochauflösenden neurophysiologischen und optischen Methoden werden Funktionen und Regulation von Ionenkanälen und Synapsen untersucht.

Zum Artikel Zur AG Alzheimer/Huth

Weitere Informationen:

PD Dr. Dr. Tobias Huth
Institut für Physiologie und Pathophysiologie
tobias.huth@fau.de