Forscher wollen elastische Materialien reißfester machen
Studie der FAU zeigt, dass es dabei unter anderem auf das Ausmaß der Quervernetzung unter den Polymer-Molekülen ankommt
Weiche Materialien wie Gummi oder Silikon können unter Zugbelastung leicht reißen. In einem vom European Research Council (ERC) geförderten Projekt suchen Forschende der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) nach Wegen, sie stabiler zu machen. In einer aktuellen Studie zeigen sie, dass es dabei unter anderem darauf ankommt, wie stark die Polymer-Moleküle untereinander quervernetzt sind. Eine zu geringe Vernetzung schadet der Stabilität ebenso wie eine zu starke. Bei der Studie kamen auch komplexe Computersimulationen zum Einsatz. Die Ergebnisse könnten etwa zur Entwicklung von Hightech-Pflastern beitragen, die Wunden ohne Nähte sicher verschließen. Auch für die Robotik oder die Herstellung dehnbarer Elektronik in Kleidungsstücken, sogenannter Wearables, sind stabile weiche Materialien von Interesse. Die Resultate erscheinen in der Fachzeitschrift npj Computational Materials.
Wenn wir immer stärker an einem Gummiband ziehen, wird es früher oder später reißen. Falls das Band etwas breiter ist – etwa wie die Abdichtung eines Einmachglases -, dann sehen wir, dass der Riss in der Regel senkrecht zur Zugrichtung erfolgt. Zudem bildet er sich so plötzlich, dass wir davon oft selbst überrascht sind: Lange Zeit bleibt das Gummi trotz der Dehnung völlig intakt, bis es irgendwann von einem Moment auf den anderen reißt. „Wir nennen dieses Verhalten auch nichtlinear“, erklärt Dr. Miguel Angel Moreno-Mateos vom Lehrstuhl für Technische Mechanik an der FAU. „Es macht die Berechnung des Bruchbeginns und der Rissausbreitung sehr viel komplizierter als bei den meisten festen Materialien.“
Das ist auch der Grund dafür, warum die „Bruchmechanik“ (dazu gehören auch Risse) weicher Materialien bislang noch nicht ausreichend erforscht ist. Die Arbeitsgruppe um den Lehrstuhlinhaber Prof. Dr. Paul Steinmann will das ändern. Steinmann hat dafür 2022 eine Millionenförderung des Europäischen Forschungsrats erhalten, einen sogenannten ERC Advanced Grant. Denn elastische und dennoch stabile Materialien sind begehrt – etwa für die Konstruktion von Roboterhänden, die mit zerbrechlichen Gegenständen hantieren. Oder auch für Pflaster, die Wundränder eisern zusammenhalten, selbst wenn die verletzte Person ihre Muskeln dehnt.
Virtuelle Experimente erleichtern die Entwicklung neuer Materialien
„Wir nutzen hochkomplexe physikalische Modelle, mit denen wir das Verhalten weicher Materialien am Computer simulieren können“, sagt Moreno-Mateos. Da sich die Gleichungen nicht exakt, sondern nur näherungsweise lösen lassen, basieren die Simulationen auf speziellen mathematischen Methoden. Ein Teil der Forschungsarbeiten am Lehrstuhl besteht darin, diese Verfahren so zu verbessern, dass sie schnellere und exaktere Simulationen ermöglichen. „Ziel ist es, am Computer virtuelle Experimente durchzuführen, die in der Realität sehr aufwändig wären“, erklärt der Postdoktorand. „Auf diese Weise können wir untersuchen, welche Ansätze besonders erfolgversprechend sind, wenn wir die Stabilität weicher Materialien verbessern wollen.“
In der jetzt erschienenen Studie simulierten Moreno-Mateos und Steinmann, wie sich die Rissfestigkeit verändert, wenn man die Quervernetzung der Polymer-Moleküle untereinander variiert. Dabei zeigte sich, dass es einen optimalen Vernetzungsgrad gibt, bei dem die Stabilität maximal wird. Das liegt daran, dass sich durch die Vernetzung die Art und Weise ändert, in der sich der Riss vergrößert: Bei einem idealen Vernetzungsgrad reißt das Material zunächst seitlich ein; danach biegt der Riss aber um 90 Grad ab und verlängert sich in Zugrichtung. Das Material wird also nicht vollständig durchtrennt. Die Forscher konnten dieses Ergebnis in anschließenden Experimenten bestätigen. „Es ist wie beim Kuchenbacken“, erläutert der Wissenschaftler: „Je nachdem, welche Zutaten man in welchem Mischungsverhältnis verwendet, erhält man ein ganz unterschiedliches Ergebnis.“
Magnetische Nanopartikel erhöhen die Stabilität ebenfalls
Die Arbeitsgruppe experimentiert aber auch noch mit anderen Verfahren, zum Teil auch in internationalen Kollaborationsprojekten. So konnten sie etwa zeigen, dass die Beimischung magnetisierter Nanopartikel die Rissfestigkeit von Elastomeren deutlich erhöht. Auch durch elektrische Felder lässt sich die Entstehung und Ausbreitung von Rissen beeinflussen. „Dank unserer Simulationen verstehen wir inzwischen recht gut, wie solche Effekte zustande kommen“, sagt Moreno-Mateos. „Es ist gut möglich, dass unsere Ergebnisse mittelfristig zur Entwicklung neuartiger Materialien mit verbesserten Eigenschaften beitragen werden.“
Weitere Informationen:
Dr. Miguel Angel Moreno-Mateos
Lehrstuhl für Technische Mechanik
Tel.: +49 9131 85-28508
miguel.moreno@fau.de