FAU-Physiker untersucht das Innenleben des Covid-19-Impfstoffes

Verabreichung einer COVID-19-Impfung
Verabreichung einer COVID-19-Impfung (Bild: Michael Rabenstein/Uni-Klinikum Erlangen)

Seit Ende 2020 wurden weltweit sehr viele Menschen gegen Covid-19 geimpft, während die genaue Struktur dieser Vakzine bisher gar nicht genau bekannt war. Prof. Dr. Tobias Unruh vom Lehrstuhl für Kristallographie der FAU und sein Team haben jetzt begonnen, das nachzuholen. Die Ergebnisse dieser aufwendigen Analysen weichen zum Teil deutlich von den bisherigen Vorstellungen ab. So scheinen Wirk- und Hilfsstoffe im Innern dieser mRNA-Impfstoffe nicht, wie bisher angenommen, fest zu sein, sondern bestehen aus vielen flüssigen Nano-Tröpfchen.

Flüssige Nanokugeln

„Größe und innerer Aufbau beeinflussen stark, wie der Wirkstoff vom Organismus aufgenommen wird, wie er sich dort verteilt und damit auch, wie er wirkt und welche Nebenwirkungen auftreten können“, erklärt Tobias Unruh. Wer die Struktur eines solchen Medikamentes oder Impfstoffes kennt, hat also bessere Chancen, die Wirkung zu optimieren und kann mögliche Nebenwirkungen einfacher analysieren. Damit steigen auch die Chancen, diese zu mildern oder zu verhindern. Auch wenn die chemische Zusammensetzung der Covid-19-Impfstoffe natürlich bekannt ist, bleiben Struktur-Untersuchungen in der Praxis schwierig.

Das liegt auch daran, dass moderne Wirkstoffe in Wasser häufig instabil oder nur sehr schlecht löslich sind und daher nur schwer in den Blutkreislauf eingebracht werden können. Stattdessen umhüllt man solche Substanzen gern mit so genannten Lipiden. Diese haben oft auf einer Seite eine fettartige Struktur, die solche Wirkstoffe gut einhüllt, während sich das andere Ende gut in Wasser löst. Daraus lassen sich Dispersionen herstellen, in denen dann fettartige Tröpfchen mit dem Wirkstoff im Inneren schwimmen, deren äußere Bereiche gut mit Wasser zurechtkommen. Da solche Lipid-Tröpfchen mit einem Durchmesser von weniger als einem Tausendstel Millimeter bereits Größen im Nanometerbereich haben, werden sie „Lipidnanopartikel“ oder, kurz, LNP genannt.

Da die Struktur solcher Dispersionen und damit auch ihre Wirkung im menschlichen Organismus sehr komplex ist und sich nur sehr aufwendig ermitteln lässt, wurden solche in LNP eingehüllten Wirkstoffe bis zum Jahr 2020 lediglich bei sehr schweren Krankheiten wie zum Beispiel Krebs eingesetzt und daher nur relativ wenigen Menschen gegeben. Mit Covid-19 und den von verschiedenen Unternehmen entwickelten Impfstoffen gegen diese Infektion änderte sich diese Situation schlagartig.

Diese Mittel enthalten einen völlig neuartigen Wirkstoff namens „mRNA“, wie er etwa im von den Firmen BioNTech und Pfizer vertriebenen Präparat Comirnaty enthalten ist. Als „mRNA“ werden in der Biochemie relativ kleine Nukleinsäuren bezeichnet, die eine Abschrift des Erbgutes sind und die damit eine Betriebsanleitung für den Bau bestimmter Proteine transportieren. Bei dem von Tobias Unruh und seinem Team untersuchten Impfstoff Comirnaty enthält diese mRNA alle Informationen für die Herstellung eines Proteins, das dem Spike-Protein fast aufs Haar ähnelt, das aus der Oberfläche des SARS-CoV-2-Virus herausragt. Dieses Protein wiederum heftet sich an bestimmte Oberflächen-Strukturen von Zellen des menschlichen Körpers und startet so die Infektion mit diesem Erreger.

Wird der Impfstoff in den Muskel des Oberarms injiziert, werden einige dieser mRNAs von Zellen des Körpers aufgenommen, die dann nach der enthaltenen Bauanleitung beginnen, das Spike-Protein in den Zellen des betroffenen Menschen herzustellen. Die Immunzellen des Organismus erkennen dieses Protein als potentiell gefährlichen Eindringling und fahren das Abwehrsystem des Körpers hoch. Auf diese Weise baut der Organismus eine Immunreaktion auf, die bei einer späteren echten Infektion der Körperabwehr einen Vorsprung gibt, der entscheidend für die Gesundheit und das Leben der Betroffenen sein kann.

Die für die Wirkung und mögliche Nebenwirkungen des Impfstoffes wichtige genaue Struktur des Präparates war jedoch bisher unbekannt. Tobias Unruh und sein Team sind ihr daher mit einer Reihe moderner Analysemethoden auf den Grund gegangen. Die kleine Gruppe entwickelte dafür etwa eine Methode, mit der die Ergebnisse von Messungen mit der Röntgenkleinwinkelstreuung und der dynamischen Lichtstreuung kombiniert werden können, die beide die Größe von LNPs bestimmen können. Das Resultat dieser Berechnung brachte einige Überraschungen: „Es zeigte sich, dass der innere Aufbau der Lipidnanopartikel im Comirnaty-Präparat deutlich anders aussieht als von BioNTech wohl bisher angenommen“, sagt Tobias Unruh. So haben die weitgehend kugelförmigen Lipidtröpfchen mit dem Wirkstoff mit nur sehr geringen Abweichungen einen Durchmesser von gerade einmal 55 Nanometern, wobei ein Nanometer ein Millionstel eines Millimeters ist.

Allerdings gibt es, so ermittelten Unruh und sein Team, neben diesen sehr einheitlichen Nano-Tröpfchen auch sehr wenige Riesen, die einen Durchmesser von gut 1000 Nanometern haben und damit rund 20-mal größer als die allermeisten anderen Kügelchen sind.

Spektakulär wirkt vor allem ein Test, den Unruhs Kooperationspartner Frank Steiniger am Universitätsklinikum Jena durchgeführt hat: Dabei wird eine Impfstoff-Probe in flüssiges Ethan eingeschossen, das mit einer Temperatur von minus 180 Grad Celsius nur noch 93 Grad wärmer als der absolute Nullpunkt ist. „Dabei kühlt die Probe mit etwa einer Million Grad pro Sekunde extrem schnell ab und das enthaltene Wasser hat beim Gefrieren nicht einmal mehr Zeit, Kristalle zu bilden“, schildert Tobias Unruh die Methode. Diese erstarrte Masse kann dann im Transmissionselektronenmikroskop analysiert werden. Dort sieht man die winzigen Tröpfchen als Scheiben, deren Durchmesser sich auszählen lässt. Mit dieser direkten Messung erhält man die gleichen Ergebnisse wie mit der neu entwickelten Kombinationsmethode – und kann so die Ergebnisse bestätigen.

„Im Lichtmikroskop konnten wir schließlich sogar die sehr wenigen Riesentröpfchen direkt sehen“, erinnert sich Tobias Unruh. Nach einigen weiteren Messungen mit Raman- und Kern-Resonanz-Spektrometern konnte die FAU-Gruppe schließlich auch feststellen, dass die Lipidnanopartikel im Innern flüssig sind und es sich nicht, wie es im Zulassungsverfahren des Comirnaty-Impfstoffes wohl angenommen wurde, um feste Teilchen handelt. Damit schaffen Tobias Unruh und sein Team eine wichtige Grundlage, um die Wirkung und Nebenwirkungen der Covid-19-mRNA-Impfung viel besser als bisher zu verstehen.

Weitere Informationen

https://doi.org/10.1021/acsnano.4c02610

Prof. Dr. Tobias Unruh
tobias.unruh@fau.de