Esoterisch hier, alltäglich dort
Orakel, Gebete, Tanz – was haben diese Themen gemein? Das möchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Kollegforschungsgruppe (KFG) 17 „Alternative Rationalitäten und esoterische Praktiken in globaler Perspektive“ beantworten, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) in einer ersten Phase bis April 2026 gefördert wird.
FAU-Sinologe Prof. Dr. Michael Lackner über die Untersuchung esoterischer Praktiken
Im Interview geht Sprecher Prof. Dr. Michael Lackner nicht nur auf den Begriff der Esoterik ein, sondern berichtet auch von den Zielen und Herausforderungen der KFG sowie seinen persönlichen Highlights.
Herr Professor Lackner, der Titel der Kollegforschungsgruppe lautet ja „Alternative Rationalitäten und esoterische Praktiken in globaler Perspektive“. Wie würden Sie die Arbeit von CAS-E beschreiben? Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass Dinge, die „eso“ sind, gerne einmal belächelt werden?
Esoterik wird in der Öffentlichkeit etlicher westlicher Länder nicht nur belächelt, sondern oft auch als gefährlich eingestuft. Wir konzentrieren uns aber nicht nur auf den Westen, sondern untersuchen solche Methoden weltweit. Dabei zeigt sich, dass die Urteile, ja sogar die Bezeichnung esoterischer Praktiken in unterschiedlichen Kulturen variieren: So sind etwa Magie, Wahrsagung und traditionelle Formen von Heilung in vielen Gegenden unserer Welt fester Bestandteil der alltäglichen Lebenswelt. Es hängt also vom jeweiligen Standpunkt der Betrachtung ab, ob eine religiöse, politische oder szientifische Orthodoxie ein Phänomen als esoterisch behandelt und eventuell auch ausgrenzt.
Welche Ziele hat sich die Kollegforschungsgruppe für ihre Laufzeit gesteckt?
Eines unserer Ziele ist die Erstellung einer Art Landkarte – sogenanntes Mapping – des jeweiligen Status solcher Praktiken in verschiedenen nationalen bzw. regionalen und religiösen Kulturen: Wo werden sie akzeptiert, wo sogar gefördert und wo eher unterdrückt? Eine weitere Aufgabe, die wir uns gestellt haben, hängt damit eng zusammen: Was sind die Gründe für die doch enorme Widerstandsfähigkeit, die Resilienz von Esoterik im Angesicht der Skepsis, die ihr von der modernen Wissenschaft und anderen Dogmen entgegengebracht wird?
Und welche dieser Ziele konnten Sie bereits erreichen oder stehen kurz davor?
Unsere Webseite www.cas-e.de dokumentiert mittlerweile in zahlreichen Blogs die überwältigende Vielfalt der Erfahrungen unserer Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftler im Umgang mit esoterischen Praktiken weltweit. Unser Mapping macht also gute Fortschritte. Unter den zahlreichen Themen finden sich Gebetsrituale für den Ausgang von Gerichtsprozessen in Indien, Heiler im Niger, Liturgien daoistischer Volkspriester in China, esoterische Bewegungen in Russland, die Popularität tantrischer Praktiken im Westen und vieles mehr. Und in diesem Kontext haben wir auch zunehmend bessere Einsichten in die Gründe der Resilienz dieser Praktiken gewonnen, man denke nur an die Verbreitung von Tarot oder Astrologie bei uns bzw. das Fortbestehen magischer Praktiken in vielen asiatischen und afrikanischen Ländern. Viele Menschen haben eben den Eindruck, dass wichtige Lebensfragen nicht von der „Wissenschaft“ oder konventionellen Weltanschauungen beantwortet werden können. Unsere Vorträge sind mittlerweile auf Youtube unter „CAS-E Lecture Series“ zugänglich.
Was sind bis jetzt Ihre persönlichen Highlights als Direktor von CAS-E?
Die Leitung von CAS-E ist ja in den Händen eines kollegialen Direktoriums, und ich bin lediglich dessen Sprecher. Meine persönlichen Highlights bestätigen meine Erfahrungen als Leiter des Internationalen Kollegs für Geisteswissenschaftliche Forschung von 2009 bis 2023: Kaum ein Forschungs-Format ist anregender als eine Lerngemeinschaft von Mitgliedern unterschiedlicher Disziplinen und kultureller Kontexte. Der Versuch, eine gemeinsame Sprache zu finden, ist und bleibt eine tägliche Herausforderung, aber auch ein tägliches intellektuelles Vergnügen.
CAS-E lebt also vom Austausch und erfreut sich der Zusammenarbeit mit Forschenden aus aller Welt. Gibt es Gastwissenschaftlerinnen oder einen Gastwissenschaftler, die Ihnen noch besonders stark in Erinnerung sind?
Die Blogs und die Vorträge, auf die ich bereits hingewiesen habe, zeigen eigentlich die Stärke unseres globalen Ansatzes. Jeder Beitrag – einschließlich der Vorträge auf Workshops und Konferenzen – hatte für mich etwas Bereicherndes, auch und gerade, wenn es bisweilen Überraschungen gab, weil ich zunächst Mühe hatte, mich in einen Vortrag hineinzudenken; unsere Kollegforschungsgruppe lebt ja von ihrer nicht-hierarchischen Organisations- und Zugangsweise, so dass meine persönlichen Highlights sich durchaus von denen der Kolleginnen und Kollegen unterscheiden dürften.
Nun gibt es CAS-E bereits seit mehr als zwei Jahren. Gab oder gibt es Herausforderungen für die Kollegforschungsgruppe, die Sie so nicht erwartet hätten?
Aber durchaus! Zunächst einmal war es gar nicht so leicht, unsere zu Beginn noch eher eurozentrische oder westlich orientierte Vorstellung von Esoterik zu hinterfragen und zu relativieren, obwohl wir uns genau diesen Ansatz vorgenommen hatten. Da gibt es vor allem Sprachbarrieren, denn viele nicht-europäische Sprachen haben gar kein eigenes Wort für „Esoterik“. Und ferner fällt eben der Forschungsstand in den verschiedenen Disziplinen, aber auch in den jeweiligen kulturellen Kontexten recht unterschiedlich aus, so dass die Suche nach einem gemeinsamen Nenner schon mehr Aufwand erfordert, als ich ursprünglich dachte.
Der hawaiianische Hula-Tanz, Yoga und Meditation oder Orakelbefragung aus China – die Spannbreite der Forschungsthemen ist groß. Gibt es Momente, in denen sich die Arbeit mancher Forschenden am CAS-E dennoch überschneidet?
Ja, die gibt es. Wir wollen ja gerade nicht rein additiv ein Repertoire, also eine Liste von Einzelphänomenen erstellen, sondern das über Raum und Zeit Verbindende erkunden.
Es stellt sich natürlich das Problem des Vergleichs: Wir gehen vom Vergleich von Praktiken aus, die wir im Sinne von Ludwig Wittgenstein als „Familienähnlichkeiten“ betrachten. Wir untersuchen sowohl Begegnungs- und Migrationsgeschichten – zum Beispiel die transkontinentalen Einflüsse einer Praktik auf eine andere – als auch vergleichbare Phänomene aus der Vogelperspektive. Beim Verlag Brill/DeGruyter haben wir eine Reihe gestartet, die – neben anderen Bänden – auch eine Sammlung von „tandem papers“ enthalten wird: Das sind Beiträge, die von zwei oder mehreren unserer Gäste verfasst sind, und von Überschneidungen, also von in der Regel höchst überraschenden Familienähnlichkeiten handeln.
Gibt es ein zukünftiges Projekt, auf das Sie sich besonders freuen?
Im akademischen Jahr 2024/25 sind zahlreiche Workshops und andere Veranstaltungen geplant, auf die ich mich sehr freue. Was mir besonders am Herzen liegt, ist unsere Reihe von Podcasts über ausgewählte Themen – bislang Astrologie, demnächst Magie die einer breiteren Öffentlichkeit im Sinne der Wissenschaftsvermittlung zugänglich sein soll.
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Michael Lackner
Kollegforschungsgruppe Alternative Rationalitäten und esoterische Praktiken in globaler Perspektive
michael.lackner@fau.de
CAS-E auf Youtube: www.youtube.com/@cas_erlangen