Was ist und was kommt
Andrea Bréard ist die neue Vizepräsidentin Education. Im Interview erklärt sie, wie sie Benachteiligungen an der FAU abbauen möchte, was es mit Educational Integrity auf sich hat und welche Rolle KI in der Lehre spielen kann.
Frau Prof. Bréard, wie Ihre Vorgängerin möchten Sie die Benachteiligung in der Bildung beenden. Aber haben nicht alle Studierenden den gleichen Zugang zu Veranstaltungen, Bibliotheken und Lehrmitteln?
Der Zugang steht theoretisch allen offen, aber die Möglichkeit, diesen dann auch zu nutzen, besteht manchmal nicht.
Bitte erklären Sie das etwas genauer.
Eine Form der Benachteiligung ist physischer Natur. Ich kann, wenn ich beispielsweise blind bin, nicht so selbstverständlich alle Angebote nutzen. Ich kann kein Buch lesen, das nicht in Blindenschrift geschrieben ist oder ein Hörbuch ist. Eine andere Form der Benachteiligung zeigt sich im persönlichen Hintergrund. Wenn man zum Beispiel ohne Bücher aufgewachsen ist und dann studiert, ist es kein natürlicher Reflex, sich in die Bibliothek zu setzen und Bücher zu wälzen. Es braucht auch einen familiären Hintergrund, in dem jemand angeleitet wird, Literatur zu lesen, um sich zu bilden.
Was hat die FAU in den letzten Jahren schon erreicht, um diese Benachteiligungen zu beseitigen?
Beispielsweise eine Sache, die jetzt gerade zum Abschluss gekommen ist, aber hauptsächlich von meiner Vorgängerin Bärbel Kopp durchgeboxt wurde, ist der Viertversuch. Studierende sollen einen extra Versuch haben, wenn sie bei einer Klausur durchfallen. Das baut bei Studierenden, die unter Prüfungsangst leiden, eine psychologische Barriere ab und nimmt Druck raus, wenn sie nach drei verhauenen Prüfungen nicht direkt exmatrikuliert werden.
Wo bedarf es weiterer Veränderungen und Verbesserungen?
Ein Thema, das wir gerade im Team verfolgen, ist die Anonymisierung von Prüfungen. Es gibt sehr viele empirische Studien, die belegen, dass Prüfungen anders bewertet werden, wenn der Name nicht deutsch klingt, oder dass es eine Korrelation zwischen mündlicher Präsentation und der danach geschriebenen Klausur gibt. Studien zeigen, dass dem ein unconscious bias, also eine unbewusste Voreingenommenheit, zugrunde liegt und in die Bewertung einfließt.
Benachteiligungen für Studierende aus Nichtakademikerfamilien abzubauen, ist mir ebenfalls wichtig, auch weil ich selbst aus solch einer Familie komme. Häufig fehlt zum Beispiel die Fähigkeit zu argumentieren oder konstruktiv Kritik zu üben. Wenn diese Kompetenz fehlt, ist das in der akademischen Welt von großem Nachteil. Hier würde ich gerne das Angebot an der FAU verbessern, um dieses Defizit zu beheben.
An anderer Stelle sagten Sie einmal, dass Sie das Konzept der „Educational Integrity“ verfolgen. Was bedeutet das, und welche Rolle soll dieses Konzept zukünftig im Bereich der Lehre an der FAU spielen?
Jemand, der akademisch integer ist, der plagiiert nicht, der fälscht seine Forschungsdaten nicht. In der Lehre sähe das ähnlich aus: Ein integrer Student verwendet keine Tools in seinen Hausarbeiten, die er nicht deklariert hat oder die nicht erlaubt sind. Aber es umfasst eben auch, wie ich mit einem behinderten Mitstudierenden umgehe, ob ich Diversität achte, sowohl als Studieren[1]der wie auch als Lehrender. Und behandle ich als Lehrender alle Studierenden gleich? Es betrifft also Studierende und Lehrende gleichermaßen.
Warum sollte eine Universität charakterbildende Aufgaben übernehmen? Ist dies nicht vielmehr Aufgabe der Eltern oder Schulen?
Indirekt ist es auch Aufgabe der Universität. Wir wollen ja Talente fördern, zukünftige Forschende heranziehen. Wir bilden Menschen aus! Und zur Bildung gehört mehr als nur Fachwissen, Bildung ist auch Persönlichkeitsbildung. Denn die Studierenden verlassen später die Uni und werden dann in Betrieben und Schulen die nächste Generation von Studierenden prägen. Aber wir sind nicht die Eltern, das ist richtig. Wenn da viel versäumt wurde, können wir das nicht aufholen. Trotzdem denke ich, dass Studieren auch persönlichkeitsbildend sein soll.
„Die KI kann Studierende bei Lernprozessen begleiten. Sie kann aber auch dazu verleiten, sich die Arbeit zu sehr abnehmen zu lassen und die eigene Sprachkompetenz nicht mehr zu trainieren. Das finde ich sehr gefährlich.“
Prof. Dr. Andrea Bréard
Künstliche Intelligenz spielt in immer mehr wissenschaftlichen Bereichen eine wichtige Rolle. Wie schätzen Sie als Vizepräsidentin Education die Bedeutung von KI für die Lehre ein?
Ich sehe Potenzial und Gefahr. Ein Beispiel für das große Potenzial finden Sie bei unseren Informatikern. Dort wurde ein System entwickelt, um mit KI die Studierenden bei Lernprozessen zu begleiten. Studierende können durch wöchentliche Evaluation feststellen, wo es Defizite gibt, was sie nicht verstanden haben und warum sie eine bestimmte Aufgabe nicht lösen konnten. Die KI kann jedem Studierenden sagen, wo er Nachhilfe braucht und wo er nacharbeiten muss. Außerdem sucht die KI auch Lern-Buddys, die in dem, wo man selber Schwächen hat, gut sind. Man kann dann Kontakt zueinander aufnehmen. Solch eine individuelle Dauerbegleitung können Lehrende nicht leisten, vor allem nicht in Studiengängen wie Informatik mit sehr vielen Studierenden. Es gibt natürlich Fächer, in denen die KI bisher weniger eingesetzt wird. Zum Beispiel in den Geisteswissenschaften, die ja etwas weniger logisch präzise modellierbar und eher diskursiv sind.
Und wo sehen Sie Gefahren?
Zu denken, dass es im Studium hilft, dass die Maschine alles schneller und besser macht, zum Beispiel einen Text übersetzen und zusammenfassen. Die Versuchung ist groß, weil es ja super funktioniert mit Übersetzungsmaschinen wie DeepL oder ChatGPT. Und dann lässt man sich die Arbeit ein bisschen zu sehr abnehmen, liest nur noch Zusammenfassungen und nicht mehr den ganzen Text. Oder trainiert seine Sprachkompetenz nicht mehr, weil man sich alles ungeprüft übersetzen lässt. Das finde ich sehr gefährlich.
Wie geht die FAU mit KI in der Lehre um?
Die FAU geht proaktiv an das Thema heran. Wir fordern die Leute auf, sich Gedanken zu machen, wie sie KI aktiv in der Lehre sinnvoll einsetzen oder auch ohne KI innovative Formate entwickeln können. Zum Beispiel durch den Preis für innovative Lehre, der jetzt wieder vergeben wird. Finanziert wird der über den Innovationsfonds Lehre, in den die FAU jedes Jahr 185.000 Euro steckt.
Autor: Boris Mijat
Dieser Artikel ist Teil des FAU Magazins
Innovation, Vielfalt und Leidenschaft – so lauten die drei Grundwerte unserer FAU, so sind sie in unserem Leitbild festgehalten. An der FAU leben wir diese Grundwerte jeden Tag
und in allem, was wir tun – in der Forschung, in der Lehre und wenn es darum geht, Wissen, das an der Universität entsteht, in die Gesellschaft hineinzutragen.
Die zweite Ausgabe unseres FAU Magazins macht dies einmal mehr sichtbar: Es zeigt Forschende, die immer wieder die Grenzen des bislang Machbaren überschreiten. Es stellt Studierende vor, die gemeinsam Höchstleistung für ihre FAU erbringen, erzählt von Lehrenden, die mit Freude und Kreativität ihr Wissen weitergeben. Und es berichtet von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sich mit Weitblick und einem Gespür fürs Wesentliche der (Forschungs-)Infrastruktur an der FAU widmen sowie von Menschen in Schlüsselpositionen, die für ihre Universität da sind und sich für den Forschungsstandort stark machen.
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