Lauschangriff in der Arktis

Prof. Nelles sitzt auf einem großen, orangenen Sessel.
(Bild: FAU/Giulia Iannicelli)

Astrophysikerin Anna Nelles belauscht in der Eisfläche Grönlands Neutrinos. Dadurch erhofft sie sich neue Erkenntnisse über Vorgänge im Weltraum.

Im Weltraum verschmelzen zwei schwarze Löcher zu einem. Eine gewaltige Menge Energie wird frei. Aber die Stelle im Universum bleibt still und dunkel. Denn das Licht kann nicht aus der Umgebung der schwarzen Löcher entweichen und wird absorbiert. Das gilt auch für die meisten Teilchen, die bei dem Prozess frei werden. Nur ein kleines, unscheinbares Elementarteilchen durchdringt ungehindert die Staubwolke, die das schwarze Loch umgibt, durchwandert Galaxien und Planeten, bis es schließlich auf die Erde trifft – und in Grönlands Eisfläche eindringt.

Anna Nelles möchte dieses Teilchen finden. Sie ist Professorin für Experimentelle Astroteilchenphysik an der FAU und Wissenschaftlerin am Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) in Zeuthen. Ihr Forschungsschwerpunkt ist der Nachweis ebendieser Teilchen, sogenannter Neutrinos. „Neutrinos sind kleine, neutrale Elementarteilchen, die sich von fast nichts aufhalten lassen“, erklärt Nelles. Ungehindert durchdringen sie Galaxien, Planeten, Wände –und uns. In jeder Sekunde durchqueren uns Milliarden Neutrinos. Wir bekommen davon allerdings nichts mit, da Neutrinos nur selten mit anderer Materie wechselwirken. Deshalb können sie nur schwer aufgespürt werden. Das ändert sich im Bereich der höchsten Energien – also bei Vorgängen im Weltraum, bei denen sehr viel Energie frei wird. Das passiert beispielsweise, wenn zwei schwarze Löcher zu einem verschmelzen oder ein schwarzes Loch einen Stern zerreißt. „Es gibt verschiedene Neutrinos“, erläutert Nelles. „Die Sonne produziert viele Neutrinos, außerdem kommen sie in unserer Atmosphäre vor. Bei den höchsten Energien im Universum entstehen extragalaktische Neutrinos. Diese extrem energiereichen Neutrinos aus dem Weltall interessieren mich.“ Das Problem: Neutrinos werden immer seltener, je energetischer sie sind. „Ein solches Neutrino kommt in einem Kubikkilometer Eis vielleicht einmal im Jahr vor. Deswegen müssen wir sehr viel Eis gleichzeitig im Blick haben.“

Neutrinos im Eis belauschen

Genau das machen Nelles und ihr Team jetzt in Grönland – und zwar mit Antennen. Denn wenn ein energiereiches Neutrino mit einem Atomkern interagiert, entstehen Radiowellen, die mit besonderen Antennen aufgefangen werden können. Dafür, dass sie Neutrinos ausgerechnet in Grönland belauschen möchte, nennt Anna Nelles zwei Gründe: „Menschen emittieren viel Strahlung. Jedes Tablet, jedes Feuerzeug, das man klickt, erzeugt Radiostrahlung. Vor lauter Hintergrundsignalen könnten wir die Neutrinos nicht identifizieren. Wir brauchen deshalb eine völlig abgelegene Gegend.“ Außerdem, so Nelles, sind die Signale in einem Block Eis deutlicher zuzuordnen als beispielsweise in unserem Fußboden, der Radiostrahlung absorbieren würde. „Wenn aus einem Block Eis aus dem Nichts ein Radioimpuls kommt, dann wissen wir, es muss ein Neutrino gewesen sein.“

Nimmt man eine Karte von Grönland und markiert den höchsten Punkt direkt in der Mitte, weiß man, wo das FAU-Team seine Antennen aufbaut. Bei minus 20 Grad stehen die Forschenden im Schnee, eingepackt in dicke Winterkleidung und Schutzbrillen, und bohren in den Boden. Eine Überdachung schützt sie vor Wind und fliegendem Schnee. 100 Meter tief und 23 Zentimeter breit müssen die Löcher sein, in welche die Antennen eingelassen werden. Dafür braucht es einen besonderen Bohrer: „Wir verwenden den weltgrößten Bohrer mechanischer Art. Der kommt eigentlich aus der Glaziologie, also der Eisforschung“, erzählt Nelles. Jede Station hat drei dieser Löcher, die insgesamt 24 Antennen fassen. Rote Fahnen markieren nach der Installation, wo genau sich die Antennen befinden. Solarpanels und Windturbinen sorgen für die Stromversorgung. Bis 2027 sollen 35 dieser Stationen gebaut werden, die zusammengerechnet 50 Kubikkilometer Eis abhören können. Acht Stationen gibt es bereits. Finanziert wird dieses umfangreiches Bauprojekt durch verschiedene Fördergelder, welche die Beteiligten zusammengelegt haben – Nelles steuerte unter anderem einen Emmy-Noether-Grant der DFG bei. Da die Stationen unabhängig voneinander agieren, gelangen schon jetzt Daten aus Grönland 3000 Kilometer weiter nach Deutschland.

Was passiert mit den Daten?

Die Messungen in Erlangen finden in speziellen Abschirmkammern statt. (Bild: FAU/Giulia Iannicelli)

Diese Daten müssen dann von Nelles und ihrem Team in Erlangen und Berlin analysiert werden. Um das zu finanzieren, wird sie seit 2023 mit einem ERC Starting Grant gefördert. Die Starting Grants vergibt der Europäische Forschungsrat (ERC) an junge Forschende, um es ihnen zu ermöglichen, eigene Forschergruppen aufzubauen und selbstständig Forschungsprojekte mit hohem Innovationspotenzial voranzutreiben. Nelles erhofft sich, durch die Neutrinos neue Erkenntnisse über Vorgänge im Weltraum wie die Verschmelzung schwarzer Löcher zu erhalten – und wünscht sich etwas Unerwartetes: „Ich fände es langweilig, wenn wir nur Neutrinos sehen, die von genau der Quelle kommen, die wir im Blick hatten. Ich wünsche mir zumindest ein Neutrino von einer komplett unerwarteten Quelle, die unsere bekannten Modelle auf den Kopf stellt.“

(Bild: FAU/Georg Pöhlein)

 

hat an der RWTH Aachen Physik und Wirtschaftswissenschaften studiert, ab 2010 promovierte sie an der Radboud Universität Nijmegen, Niederlande, in Physik. Anschließend ging sie 2015 als Postdoc an die University of California. Ihre letzte Station vor der FAU war die einer Emmy-Noether-Gruppenleiterin an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit 2019 ist Nelles Professorin für Experimentelle Astroteilchenphysik an der FAU. Gleichzeitig arbeitet sie als Wissenschaftlerin am Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) in Zeuthen. Ihre Forschung wird seit 2023 mit einem ERC Starting Grant gefördert.

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Autorin: Miriam Weigand


Dieser Artikel ist Teil des FAU Magazins

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