Warum für die Bildung zur nachhaltigen Entwicklung an Schulen Spiritualität ein wichtiger Aspekt sein sollte
Menschen zu befähigen, die Auswirkungen des eigenen Handelns auf die Welt zu verstehen und auf dieser Basis verantwortungsvolle, nachhaltige Entscheidungen zu treffen – das ist das Ziel der 2020 gestarteten UN-Initiative „Bildung für nachhaltige Entwicklung“. Insbesondere gilt es, Kindern und Jugendlichen in Schulen und Bildungseinrichtungen dieses Wissen zu vermitteln, damit sie ihre eigene Zukunft und die Zukunft der Welt gestalten können.
Doch was müssen junge Menschen dafür wissen? Wie kommen die Inhalte in die Lehrpläne von Schulen?
„Wir stehen vor einer Wissen-Handlungs-Kluft“: Interview mit Religionspädagoge Prof. Dr. Manfred Pirner
FAU-Religionspädagoge Prof. Dr. Manfred Pirner arbeitet gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern unterschiedlicher Religionen und spirituellen Gemeinschaften an Empfehlungen für die Lehrpläne. Für einen intensiven Austausch hat er sie zu einem Forum in Nürnberg eingeladen.
Herr Prof. Pirner, warum glauben Sie, dass Spiritualität in der Bildung für nachhaltige Entwicklung unbedingt eine Rolle spielen sollte?
Weil wir vor dem Problem einer Wissen-Handlungs-Kluft stehen: Wir alle wissen, dass wir eigentlich eine andere Lebensweise, eine andere Art von Wirtschaft und Politik bräuchten, um die Öko-Krise wirklich bewältigen zu können – aber wir handeln nicht danach. Und das liegt auch daran, dass wir nicht bis zu den tieferen Fragen vordringen, die man als spirituelle Fragen bezeichnen kann: Was ist wirklich wichtig im Leben? Was macht gelingendes Leben aus? Wie prägt unser Verhältnis zur Natur unser Leben? Was ist der Sinn von Ökonomie? Was sollte ihr Ziel sein?
Die Glücksforschung zeigt zum Beispiel, dass immer mehr, immer schneller, immer reicher nicht unbedingt glücklicher machen. Spirituelle Traditionen vermitteln die Erfahrung, dass ein einfaches, verlangsamtes und dafür achtsames, naturnahes Leben mehr Erfüllung geben kann. Solche Erfahrungen und Einsichten zu erschließen ist vielversprechender als die unablässigen moralischen Forderungen: Du solltest eigentlich weniger konsumieren, weniger Müll produzieren, weniger Autofahren und so weiter.
Welche unterschiedlichen Perspektiven kommen beim Forum „Education for Sustainable Development – Spiritual Dimensions“ zusammen?
Wir wollen Vertreterinnen und Vertreter aus unterschiedlichen Religionen und säkularen Weltanschauungen, aber auch aus unterschiedlichen Kulturen, zum Beispiel auch aus indigenen Völkern und Gemeinschaften in ein wissenschaftlich fundiertes Gespräch miteinander zu bringen.
Spiritualität ist ja nicht einfach etwas Irrationales. Es gibt etliche empirisch-wissenschaftliche Studien, die zeigen, dass die nachhaltige, im Einklang mit der Natur praktizierte Lebensweise der Aborigines in Australien ebenso wie von Stammesvölkern in Afrika oder Amerika auf deren spirituellen Glaubenstraditionen beruhen.
Aber auch in den großen Weltreligionen finden sich ökologisch relevante Sichtweisen wie zum Beispiel der Glaube, dass Gott die Welt gut und wertvoll erschaffen hat und der Menschen für sie Verantwortung trägt. Die weltweite Organisation Religions for Peace, mit der wir die Tagung veranstalten, betont zurecht, dass Religionen schon seit Jahrtausenden auch Bewahrer der Natur sind. Diese Perspektiven können wir heute mehr denn je gut gebrauchen. Spiritualität macht Sinn.
Nicht alle Menschen können mit Spiritualität etwas anfangen, sie plädieren vielmehr dafür, das Thema gerade in Schulen gänzlich außen vor zu lassen. Wie gewinnen Sie Skeptiker für Ihr Anliegen?
Wie ich schon angedeutet habe, verstehen wir Spiritualität mehrdimensional. Es gibt dezidiert religiöse Spiritualität, aber es gibt auch religionsdistanzierte oder ganz säkulare Spiritualität. Gemeinsam sind diesen Spielarten von Spiritualität aber Fragen und Praktiken, die sich auf Grundfragen des Lebens richten.
Auch säkulare Menschen können zum Beispiel durch Meditation ein tieferes Verständnis von sich selbst, ihrer Beziehung zu anderen Menschen und zur Natur gewinnen. Und übrigens zeigen Untersuchungen, dass meditative Elemente in der Schule auch das Klassen- und Lernklima positiv beeinflussen können.
Wichtig ist uns dabei aber, dass es nicht nur um Innerlichkeit geht, sondern dass spirituelle Impulse auch zu politischem Handeln anregen können. Wir haben das ja in unserer deutschen Geschichte bei den Friedensgebeten und Montagsdemonstrationen erlebt, die mit zur Wiedervereinigung beigetragen haben. Und es gibt junge Leute, die aus Glaubensmotiven heraus an den Fridays-for-future-Demos teilnmehmen. Bei unserer Podiumsdiskussion am Dienstag werden wir einen jungen Aktivisten von „Christians for future“ dabei haben.
Wie sollen konkret die Ergebnisse aus dem Forum aussehen – und wie finden sie ihren Weg in die Lehrpläne?
Zunächst einmal ist uns wichtig, dass wir durch den Austausch von einander lernen und selbst neue Einsichten gewinnen, vielleicht auch Impulse für das eigene wissenschaftliche Denken und Forschen. Aber uns geht es schon auch darum, konkrete Anregungen für ökologische Bildung in der Schule und – nicht zu vergessen – auch in religiösen Gemeinschaften zu erarbeiten.
Dazu wollen wir am Ende der Tagung ein Fazit ziehen und wenn möglich ein Memorandum zur Integration spiritueller Aspekte in Bildung für nachhaltige Entwicklung verabschieden. Es soll auch konkrete Anregungen für Lehrpläne, didaktische Konzepte und die unterrichtliche Praxis enthalten. Außerdem werden die meisten Vorträge auf unserem YouTube-Kanal und, verschriftlicht, in einem Tagungsband frei zugänglich veröffentlicht.
Schon im Vorfeld das Forums haben Sie sich mit vielen der Eingeladenen ausgetauscht. Was hat Sie am meisten überrascht oder begeistert?
Begeistert hat mich, wie viele und vielfältige inspirierende Ideen in den über 20 Vortragskonzepten, die eingereicht wurden, zu finden sind.
Am meisten überrascht hat mich die Bitte unseres Keynote-Redners aus Kanada, Professor Stonechild, der die Perspektive der indigenen indianischen Tradition einbringt: Er hat mich gefragt, ob ich ihm vorab ein wenig Tabak schicken könnte, weil der Austausch von Tabak in seiner indianischen Tradition üblich ist, bevor man miteinander diskutiert. Leider mussten wir beide feststellen, dass die Einfuhr von Tabak nach Kanada strengstens verboten ist. So werde ich nun erst bei seinem Vortrag selbst, den er online aus Kanada halten wird, symbolisch etwas Tabak überreichen – und hoffen, dass der dazu beiträgt, dass sein Vortrag bei vielen Zuhörenden zündet.
Weitere Informationen
Webseite des Nuremberg Forum 2024
Prof. Dr. Manfred Pirner
Lehrstuhl für Religionspädagogik und Didaktik des Evangelischen Religionsunterrichts
manfred.pirner@fau.de