Physikstudentin Anabel Kummer hat am Seminar „Strahlungsgegenstände, die Geschichte schrieben“ teilgenommen und sich mit den Auswirkungen von Naturwissenschaften auf unsere Gesellschaft auseinandergesetzt. Hier erzählt sie von ihren Erfahrungen.
Als Physikstudentin an der PhilFak die Schnittfläche von Naturwissenschaft und Gesellschaft erkunden
Anabel Kummer studiert im 3. Mastersemester Physik mit Schwerpunkten auf Quantenmechanik und Teilchenphysik und ist Tutorin für Laborpraktika in der Physik.
Während ihres Studiums wollte sie nicht nur Theorie lernen, sondern auch Einblicke in die Auswirkungen der Naturwissenschaften auf unsere Gesellschaft erhalten. Deshalb hat sie am Seminar “Strahlungsgegenstände, die Geschichte schrieben” am Lehrstuhl für Science, Technology und Gender Studies von Prof. Dr. Maria Rentetzi teilgenommen.
Wer Lust bekommt, selbst an interdisziplinären Seminaren zu Naturwissenschaften in der Gesellschaft teilzunehmen, findet weiter unten mehr Infos.
Als Naturwissenschaftlerin an der Philosophischen Fakultät
Versunken in den Naturwissenschaften
Als Physikstudentin – und ich spreche hier vermutlich auch für meine Kommiliton:innen aus der Chemie und Biologie – verbringt man sein Studium damit, seine Naturwissenschaft von Grund auf zu lernen. Somit bestanden meine Bachelorjahre aus Vorlesungen der Experimentalphysik und theoretischen Physik, geschmückt mit Laborpraktika und Programmierkursen. Für Wahlfächer war damals leider wenig Zeit.
An der philosophischen Fakultät
Auch wenn es ein Schritt aus meiner Komfortzone war, mein gewohntes Habitat des Südgeländes zu verlassen und mich an der philosophischen Fakultät wiederzufinden, ist es meiner Meinung nach wichtig, als Naturwissenschaftler:in über den eigenen Tellerrand zu schauen und seinen Horizont zu erweitern. Da mein Studium danach ausgerichtet ist, Vollblutwissenschaftler:innen auszubilden, fehlte mir der Kontakt zur Außenwelt und die Möglichkeit, sich damit auseinanderzusetzen, was passiert, wenn unsere Wissenschaft auf die Gesellschaft trifft. Genau diese Schnittstelle habe ich in den Seminaren des Lehrstuhls für Science, Technology und Gender Studies gefunden und erkunden dürfen
Wo Naturwissenschaft auf Gesellschaft trifft
In meinem Masterstudium habe ich mehr Freiraum, Seminare auch außerhalb des Physikdepartments zu besuchen und mir die ECTS-Punkte für meinen Abschluss anerkennen zu lassen. Mit dem Wunsch, mich mit der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu beschäftigen, ging ich in Campo auf die Suche. Dort stieß auf den Lehrstuhl für Science, Technology und Gender Studies von Prof. Dr. Maria Rentetzi, der die Naturwissenschaften mit ihrer Geschichte und der Gesellschaft verbindet. In ihren Seminaren diskutiert sie Themen wie die Geschichte der Wissenschaften während des Kalten Krieges, die Geschichte der Frauen in der Physik oder eben auch Strahlungsobjekte, die Geschichte schrieben.
Wenn eine Physikstudentin, eine Geschichtsstudentin, eine Soziologiestudentin und ein Philosophiestudent zusammentreffen
Am Seminar „Strahlungsgegenstände, die Geschichte schrieben“, geleitet von Prof. Dr. Maria Rentetzi und Dr. Aske Nielsen, die das Seminar leiteten, nahmen neben mir noch drei weiteren Studierende unterschiedlicher Fachbereiche teil: Physik traf auf Geschichte, Soziologie und Philosophie. In unserer kleinen Gruppe diskutierten wir Themen wie die Bedeutung von Objekten und ihrer Materialität, die Definition eines wissenschaftlichen Objektes und historischen Objektes sowie deren Verbindung zu Museen. Besonders von Bedeutung war für mich die Interdisziplinarität des Seminars: So hatten alle einen anderen Standpunkt bezüglich der Themen, geprägt von der eigenen Disziplin.
Objekte studieren: ein Konzept der Museums- und Geschichtsstudien
Während die Untersuchung von Objekten in den Museums- und Geschichtsstudien bereits etabliert ist, wird diese Technik nun auch von Wissenschaftshistoriker:innen angewandt: Es werden Objekte, die in Verbindung zu Strahlung (hier ausschließlich Röntgenstrahlung und Radioaktivität) stehen, auf deren geschichtliche Bedeutung untersucht.
Strahlungsobjekte, die Geschichte schrieben – der Hintergrund
Wissenschaftliche Objekte haben seit Langem fasziniert, Angst verursacht und Debatten ausgelöst: von der Entdeckung der Röntgenstrahlung über die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki bis zu den Reaktorschmelzen der Kernkraftwerke in Tschernobyl und Fukushima. All diese Vorkommnisse haben unsere Haltung gegenüber den Wissenschaften beeinflusst und Wissenschaftsgeschichte geschrieben. Was sie gemeinsam haben: Sie alle können auf Strahlungsobjekte zurückgeführt werden. Doch was sind eigentlich Strahlungsobjekte?
Was sind Strahlungsobjekte?
Ein Strahlungsobjekt kann eine Röntgenröhre sein, die Röntgenstrahlung produziert, oder ein Geigerzähler, der Radioaktivität misst, oder der Strom, der durch Atomkraft erzeugt wurde. Aber auch weniger physikalische und physische Objekte wie beispielsweise die Strahlenschutzverordnung sind Strahlungsobjekte.
Strahlenschutzobjekte
Nachdem wir im Seminar viel über Strahlungsobjekte und Strahlenschutz diskutiert hatten, war die Aufgabe unserer Seminararbeit, nach ungewöhnlichen Strahlenschutzobjekten – also Strahlungsobjekten, die zum Strahlungsschutz beitragen, wie zum Beispiel die Bleischürze beim Röntgen in einer Arztpraxis – zu suchen. Zu meinen Objekten zählten unter anderem Wasser und Seife. Das mag im ersten Moment nicht nach Strahlenschutzobjekten klingen, doch: Der erste Schritt einer jeden Dekontamination ist das Abwaschen mit Wasser und Seife. Das Interessante hierbei: Jede gewöhnliche Seife kann verwendet werden, allerdings sollte unbedingt lauwarmes Wasser benutzt werden. Warum? Bei Gebrauch von heißem Wasser würde der erhöhte Blutfluss eine Aufnahme von radioaktivem Material ermöglichen, während bei kaltem Wasser radioaktives Material in den Poren der Haut eingeschlossen werden kann. Auf keinen Fall darf Haarconditioner verwendet werden, da dieser dazu führen könnte, dass radioaktives Material im Haar eingeschlossen wird. Weitere Strahlenschutzobjekte sind Bleischutzbrillen, die um 1900 erfunden wurden, oder der „Sarkophag“, der nach dem Unfall 1986 über den zerstörten Kernreaktor in Tschernobyl gebaut wurde, um den Austritt von radioaktiver Strahlung zu verhindern, und der 2016 durch einen neuen ersetzt wurde.
Die Synergie der Interdisziplinarität – in der Gruppe und thematisch
Was das Seminar für mich besonders wertvoll machte, war zum einen die kleine Gruppengröße, die guten Diskussionsrunden ermöglichte, wobei die Teilnehmenden durch ihre Interdisziplinarität ihre eigenen Sichtweisen zur Diskussion beitrugen. Zum anderen die Interdisziplinarität der Themen, die wir besprochen haben: Von Museumsstudien über Wissenschaftsgeschichte bis hin zur Physik – alles war dabei! Die Vernetzungen der verschiedenen Studienfächer zu finden war etwas Neues, das mir in meinem restlichen Studium noch nicht begegnet war, und was ich in diesem Seminar besonders genossen habe. Es zeigte mir, dass die Physik viele Berührungen mit der Gesellschaft aufweist, die mir erst durch das Seminar aufgefallen sind, und welche essentiell für das Verständnis der geschichtlichen Entwicklung der Naturwissenschaften sind.
Wie kann ich an interdisziplinären Seminaren teilnehmen?
Weitere Infos zu den interdisziplinären Seminaren des Lehrstuhls für Science, Technology und Gender Studies gibt es auf deren Webseite (www.stgs.fau.de) sowie auf Campo. Für kommendes Wintersemester 2024/25 sind Seminare zu den Themenfeldern Geschichte der nuklearen Medizin und der Geografie der Wissenschaft geplant.