Drogenersatzstoffe helfen in der Haft

Eine Flasche mit Tabletten zur Visualisierung der Opiodsubstitution, die von Forschenden der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg untersucht wurde.
Bild: Adobe Stock/Milan

Erlanger Rechtspsychologie erforscht die Substitution opioidabhängiger Strafgefangener

Die Substitution von heroinabhängigen Gefangenen wirkt sich positiv auf deren Leben im Gefängnis und nach Haftentlassung aus. So erlitten Personen, die in Haft mit medizinischen Drogenersatzstoffen substituiert wurden, seltener Opioid-Rückfälle als nicht Substituierte. Zu diesem Ergebnis kommt eine in dieser Form weltweit einmalige Langzeitstudie, durchgeführt von einem Forschungsteam der Rechtspsychologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU).

Das Projekt zur Behandlung opioidabhängiger Strafgefangener im bayerischen Strafvollzug (Titel: „Haft bei Opioidabhängigkeit – eine Evaluationsstudie“, kurz: HOpE-Studie) wurde vom Bayerischen Justizministerium mit fast 540.000 Euro gefördert. Hintergrund war die Klage eines Häftlings, der vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) rügte, dass die Verweigerung einer Substitutionstherapie gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen habe. Die Richter gaben ihm Recht. Der EGMR stellte in seinem Urteil fest, dass eine kategorische Ablehnung einer Substitutionsbehandlung, ohne ärztliche Prüfung des Einzelfalles, gegen das Verbot der unmenschlichen Behandlung (Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention) verstößt (Urteil v. 01.09.2016, Az. 62303/13).

Die aufgrund der Rechtsprechung steigenden Fälle der Substitutionsbehandlungen waren unter anderem der Anlass für den Freistaat Bayern, eine wissenschaftliche Untersuchung in Auftrag zu geben, um die Effekte einer Opioidsubstitution zum Beispiel durch Methadon zu eruieren. Das Forschungsteam um Prof. Dr. Mark Stemmler vom Lehrstuhl für Psychologische Diagnostik, Methodenlehre und Rechtspsychologie untersuchte eine Stichprobe von 247 Gefangenen in bayerischen Haftanstalten und befragte zusätzlich Justizvollzugspersonal. In einer Längsschnittstudie wurden die Opioidabhängigen kurz vor ihrer Entlassung, einen Monat nach der Haftentlassung sowie drei bis sechs und zwölf Monate nach der Entlassung zum Drogen- und Substitutionsgebrauch befragt. Auch wurden Speichelproben ausgewertet sowie Justizpersonal befragt.

Die Behandlungspraxis mit medizinischen Drogenersatzstoffen während der Haft kann den Forschenden zufolge als wirksam bezeichnet werden. Vermindert wurde nicht nur der Konsum von Opioiden, sondern auch der von illegal erlangten Substitutionsmitteln. Auch verringerte sich durch die Teilnahme an der Substitution die Langeweile in Haft, die als Risikofaktor für Drogenkonsum anzusehen ist.

Es zeigte sich, dass substituierte im Vergleich zu nicht substituierten Probandinnen und Probanden auch nach der Haftentlassung (drei bis sechs Monate später) weniger illegale Opioide und nicht verschriebene Substitutionsmedikamente konsumierten, sie ein geringeres Suchtverlangen verspürten und in dieser Zeit auch weniger Betäubungsmitteldelikte begingen als nicht Substituierte.

Die Effekte der Substitution waren zwar auch zwölf Monate in Freiheit zum Teil noch spürbar, jedoch stark reduziert. Aus Sicht der Forschenden besteht daher weiterer Handlungsbedarf: „Die Substitution ist kein Allheilmittel. Die rein medikamentöse Behandlung von opioidabhängigen Strafgefangenen sollte unbedingt fortgeführt, aber auch ergänzt werden. So sollten diese Menschen sowohl in der Haft, als auch in Freiheit durch zusätzliche psychosoziale Maßnahmen wie Drogentherapien unterstützt werden“, sagt Prof. Mark Stemmler. Sein Forschungsteam bereitet gerade eine vierte Follow-up-Untersuchung (zwei Jahre nach Haftentlassung) vor.

Weitere Informationen:
Prof. Dr. Mark Stemmler
Lehrstuhl für Psychologische Diagnostik, Methodenlehre und Rechtspsychologie
mark.stemmler@fau.de