Völkerrechtler begrüßt Haftbefehls-Anträge gegen Netanjahu und Hamas

Porträt Prof. Dr. Christoph Safferling
Prof. Dr. Christoph Safferling, Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht (Bild: Lérot)

Er ist ein gefragter Experte: Professor Christoph Safferling machte etlichen Medien gegenüber deutlich, wie er den Antrag auf Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs gegen die Hamas und Israels Premier Netanjahu einordnet. Im Interview unten erläutert der Völkerrechtler, warum er die Haftbefehls-Anträge begrüßt, was die nächsten Schritte des Internationalen Gerichtshofs sind und warum Israels Recht auf Selbstverteidigung unangetastet bleibt.

Völkerrechtler Safferling begrüßt die Haftbefehls-Anträge. Eine Einschätzung

Der Chefankläger am Internationalen Strafgerichtshof hat Haftbefehle gegen Israels Regierungschef Netanjahu, seinen Verteidigungsminister Joav Galant und mehrere Hamas-Anführer beantragt. Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit – so lautet die Anklage. Prof. Dr. Christoph Safferling erklärt, warum der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs einen Haftbefehl beantragt hat und welche Folgen dieser hätte.

Warum wurde nicht nur gegen drei Führungsmitglieder der Hamas einen Haftbefehl beantragt, sondern auch gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und seinen Verteidigungsminister?

Christoph Safferling: Der Chefankläger wirft Israel schwere Verbrechen im Gazastreifen vor, etwa den Einsatz von Hunger als Kriegswaffe oder vorsätzliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung. Israel hingegen betont, sich nach den Massakern des 7. Oktober gegen die Hamas zu verteidigen.

Es geht bei dem Haftbefehlsantrag gar nicht darum, ob Israel sich verteidigen darf und zu Recht zu den Waffen gegriffen hat, was es meiner Ansicht nach tut. Es geht darum, wie die militärischen Operationen durchgeführt werden und ob diese mit humanitärem Völkerrecht vereinbar sind. Der Ankläger in Den Haag ist der Meinung, dass das tausendfache Leid der Zivilbevölkerung eben nicht mehr in Ordnung ist und die israelischen Befehlshaber für die desolate humanitäre Situation der Palästinenser im Gazastreifen verantwortlich sind.

Aktuell ist der Haftbefehl beantragt. Wie geht es jetzt weiter?

Christoph Safferling: Eine Vorverfahrenskammer untersucht die Beweise, die der Chefankläger zur Unterstützung seines Antrags vorgelegt hat. Dabei wird genau abgewogen, ob tatsächlich ein hinreichender Verdacht besteht, dass Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit von den beiden israelischen Politikern begangen wurden. Das wird sehr genau geprüft. Wie lange diese Prüfung dauert ist schwer zu sagen – wahrscheinlich werden wir ein paar Wochen warten müssen.

Das Selbstverteidigungsrecht Israels besteht nach wie vor. Was bedeutet das?

Christoph Safferling: Israel wurde von der Terror-Organisation Hamas am 7. Oktober 2023 auf furchtbare Art und Weise angegriffen. Die an diesem Tag verschleppten Geiseln sind teilweise immer noch nicht in Freiheit, Israel wird noch immer aus dem Gazastreifen heraus beschossen. Gegen diese Angriffe darf sich Israel grundsätzlich verteidigen, zumal die Vereinten Nationen nicht eingreifen.

Bei den Vorwürfen, die zu den Haftbefehls-Anträgen geführt haben, geht es um eine andere Frage, nämlich, ob Israel für die aktuelle humanitäre Misere im Gazastreifen verantwortlich ist, die wegen der militärischen Operationen der Armee entstanden ist.

Sinn und Zweck des humanitären Völkerrechts ist es, das Los und Schicksal der Menschen zu verbessern, die nichts für einen Krieg können. Vor diesem Hintergrund muss Israel alles tun, um die katastrophale humanitäre Lage zu verbessern und Hilfslieferungen zuzulassen. Tut es das nicht, liegt der Verdacht nahe, dass die Not als Mittel des Krieges eingesetzt wird und das wäre ein Verbrechen.

Geht es auch um einen Genozid-Vorwurf, wie er auf pro-palästinensischen Demonstrationen erhoben wird?

Christoph Safferling: Nein, der wurde hier auch zu Recht nicht erhoben. Der Völkermord ist eine sehr spezielle Norm, der voraussetzt, dass eine geschützte Gruppe als solche ganz oder teilweise vernichtet werden soll. Die Palästinenser im Gazastreifen sind zwar als solche geschützt, aber man kann nicht behaupten, Ministerpräsident und Verteidigungsminister wollen die Palästinenser vernichten. Sie kämpfen gegen die Terroristen der Hamas.

Unter anderem das Auswärtige Amt kritisiert, dass der Chefankläger einen “unzutreffenden Eindruck der Gleichsetzung” erweckt habe, weil er die Anträge gegen Netanjahu gleichzeitig mit denen der Hamas-Führer beantragt hat. Teilen Sie diese Auffassung?

Christoph Safferling: Politisch kann das als Gleichsetzung verstanden werden. Aber rechtlich wird da nichts gleichgesetzt. Da wird jeder Haftbefehl individuell bewertet, schließlich kommt es auf die individuellen Vorwürfe an.

In früheren Situationen wurde die Den Haager Anklagebehörde immer wieder dafür kritisiert, parteiisch zu sein. Nun bemüht sich der Chefankläger um Gleichheit und wird dafür erneut kritisiert. Das Recht ist sehr klar: Jede Seite muss sich daran halten!

Welche Konsequenzen hätte ein Haftbefehl für Netanjahu

Christoph Safferling: Im eigenen Land droht ihm nichts. Israel gehört im Gegensatz zu Palästina nicht zu den Mitgliedern des IStGH. Aber er könnte sich kooperativ zeigen, um die Vorwürfe zu klären, also auf Den Haag zugehen, ohne gleich dort hinzufahren. Es könnte eine Untersuchungskommission in Israel eingerichtet werden, die ihrerseits unabhängig die Vorwürfe untersucht. Der IStGH muss diesen nationalen Bemühungen Vorrang einräumen.

Zudem gäbe es die Möglichkeit, von der Straftat zurückzutreten: Wenn eine mit Haftbefehl gesuchte Person dafür sorgt, dass sich die humanitäre Situation verbessert, könnte die Tat als zurückgetreten betrachtet und der Haftbefehl zurückgezogen werden.

Völkerrechtler Prof. Dr. Christoph Safferling

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Bild: FAU/Anna Tiessen

Professor Dr. Safferling leitet an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg den Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht.

Er ist Mitglied des FAU Forschungszentrums Center for Human Rights Erlangen-Nürnberg (CHREN). Die Arbeit des FAU CHREN hat zum Ziel, den Schutz der Menschenrechte zu stärken und deren universelle Umsetzung voranzutreiben.

Neben seiner umfangreichen Lehr- und Forschungstätigkeit bekleidet Prof. Safferling zahlreiche außeruniversitäre Ämter, er ist beispielsweise Direktor der Internationalen Akademie Nürnberger Prinzipien.

Prof. Dr. Heiner Bielefeldt vom Lehrstuhl für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
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