Stadtentwicklungsexperte: „Städte klimawandelresilient und sozial gerecht umbauen“

Prof. Dr. Fred Krüger vom Institut für Geographie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg im Gespräch auf Sessel mit Mikrofon
Prof. Dr. Fred Krüger (Bild: NRW-Landesvertretung/Marc Beckmann)

Ein Interview mit Fred Krüger, Experte für Stadtentwicklung

Rund um den Globus wachsen die Städte – und damit der Bedarf an Infrastruktur. Prof. Dr. Fred Krüger, Professor für Geographie, sieht Herausforderungen und Chancen.

Herr Prof. Krüger, im Jahr 2022 lebte in den USA rund 83 Prozent der Gesamtbevölkerung in Städten, in Deutschland immerhin schon rund 77,7 Prozent – und selbst Afrika, der Kontinent, der mit am stärksten ländlich geprägt ist, wird von einer Urbanisierungswelle überrollt. Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe dafür? Und ist diese Urbanisierung unvermeidbar?

Städte wachsen in vielen Regionen der Erde meist aufgrund starker Zuwanderung von Menschen aus ländlichen Räumen, die dort kein Auskommen mehr finden, weil Bevölkerungswachstum, unzureichende Einkommen aus der Landwirtschaft, gewaltsame Konflikte oder voranschreitende Umweltdegradation die Existenzgrundlagen für viele massiv beeinträchtigen. In den Städten erhoffen sich sie sich Jobs im Industrie- und Dienstleistungssektor, auch wenn es sich häufig um prekäre Arbeitsverhältnisse unter mitunter ausbeuterischen Bedingungen handelt. Obwohl es grundsätzlich keinen Zweifel an einer rapiden Urbanisierung gibt, sind die in der Frage genannten Zahlen jedoch mit großer Vorsicht zu betrachten: Es gibt weder weltweite statistische Standards zur Messung von Urbanisierung noch verlässliche Daten zu den Einwohnerzahlen. In einigen skandinavischen Ländern etwa gilt jede Siedlung mit über 200 Einwohnern bereits als Stadt, in Japan erst ab 50.000. Neben der Zuwanderung kommt eine weitere Wachstumsursache zum Tragen: In Ländern mit hohem Geburtenüberschuss wirkt dieser natürlich auch in den Städten. Beispiel Dar es Salaam in Tansania: Die Hälfte des Einwohnerzuwachses von jährlich mehreren Hunderttausend Menschen dürfte auf den Geburtenüberschuss in der Stadt zurückzuführen sein. So lange sich in den betroffenen Ländern die Lebensstandards nicht nachhaltig ändern und Bildungs- und Beschäftigungsverhältnisse nicht massiv verbessert werden, ist das Städtewachstum dort nicht zu stoppen.

Mit der Urbanisierung wächst der Bedarf an eine gute und gerechte Infrastruktur – wo sind denn hier die größten Herausforderungen?

Urbaner Gartenbau in Dar es Salaam (Bild: F. Krüger)
Urbaner Gartenbau in Dar es Salaam (Bild: F. Krüger)

Es sind vor allem der Umfang und die angesprochene Dynamik des städtischen Wachstums, die in vielen Regionen der Erde dazu führen, dass Stadtentwicklung gar nicht kontrolliert werden kann. Weder Personal- noch Sach- oder Finanzressourcen sind ausreichend, um eine sozial und ökologisch nachhaltige und flächenschonende Stadtentwicklungsplanung umzusetzen. Der Infrastrukturausbau kann mit dem Stadtwachstum schlicht nicht mithalten. Zahlreiche Stadtbewohnerinnen und -bewohner haben daher keinen Zugang zu Versorgungs- oder Mobilitäts-Infrastrukturen. Sie sind darauf angewiesen, eigene kreative Lösungen zu entwickeln, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Es fehlen ja staatliche soziale Sicherungssysteme. Auf sogenannten Marginalstandorten, zum Beispiel in hochgradig überflutungsgefährdeten Flussniederungen oder an labilen Hängen, errichten sie einfachste Wohnunterkünfte oder betreiben urbanen Gartenbau zur eigenen Ernährungssicherung. Meist ist diese aus Mangel an Alternativen „gewählte“ Flächennutzung illegal – Stadtverwaltungen tolerieren sie im besten Fall, oft kommt es aber zu wiederkehrenden, gewaltsamen Vertreibungen.

Sie haben viel zu Urbanisierung in Afrika geforscht: Wir unterscheiden sich denn die Bedingungen dort von denen europäischer Städte?

München ohne Menschen
München ohne Menschen (Bild: AdobeStock/Siegfrie Eichhorn)

Die angesprochene hohe Vielfalt und Dynamik der urbanen Transformation sowie die Problematik der unzureichenden Existenzsicherung unterscheiden die Urbanisierungsprozesse in Subsahara-Afrika und andernorts im „Globalen Süden“ von Europa. In vielen afrikanischen Städten kämpfen Hunderttausende alltäglich damit, ihren Lebensunterhalt gerade eben noch so bestreiten zu können, und hausen unter teilweise unzumutbaren Bedingungen. In Europa ist die Situation meist weit weniger dramatisch und andere Herausforderungen drängen in den Vordergrund. In manchen europäischen Ländern, auch in Deutschland, sind in einigen städtischen Regionen die Bevölkerungszahlen sogar rückläufig. Dort geht es im Unterschied zu den Wachstumspolen (zum Beispiel München und Umland) darum, die bestehende Infrastruktur für immer weniger Menschen „am Laufen“ zu halten. Die wichtigste zentrale Aufgabe der kommenden Jahre wird es bei uns sein, unsere Städte klimawandelresilient und sozial gerecht umzubauen.

Vielen Menschen machen Metropolen oder gar Megaregionen Angst. Lässt sich dagegen etwas tun?

Die Schaffung ökologisch nachhaltiger und sozial inklusiver Städte kann nur gelingen, wenn diese Stadtlandschaften auch lebenswert ausgestaltet werden. Dies wiederum gelingt nur, wenn der unter anderem wegen des Klimawandels notwendige Stadtumbau mit für Städterinnen und Städter erstrebenswerten und unmittelbar erfahrbaren Zielen verknüpft wird. Städtische Bürgerschaft muss auf dem Weg zur gesunden, gerechten und umweltsensiblen Stadt mitgenommen werden. Es bedarf innovativer Konzepte der Beteiligung, aber auch einer klaren Kommunikation, warum Maßnahmen der Stadtentwicklung und eines mehrere Jahre dauernden Stadtumbaus sinnvoll sind, auch wenn sie manchmal als ungewohnt, schmerzhaft oder schlicht als zu teuer empfunden werden.

Dass Infrastrukturprojekte vielen Menschen auch Angst machen, zeigt sich bereits im Kleinen – etwa im Augenblick hier in Erlangen, in der die Menschen sich für oder gegen eine Stadtumlandbahn entscheiden müssen. Wie bewerten Sie das Thema aus wissenschaftlicher Perspektive?

Ehemaliger Himbeerpalast und zukünftiges Geisteswissenschaftliches Zentrum der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und davor Straßenbahn an Halstestelle mit Menschen
Sieht so die Zukunft aus? Straßenbahnhaltestelle am zukünftigen Geisteswissenschaftlichen Zentrum in Erlangen. (Bild: Zweckverband Stadt-Umland-Bahn)

Die Stadtumlandbahn und die aktuellen Debatten darüber sind ein gutes Beispiel für die angesprochenen Hoffnungen, Erwartungen und Ängste, die sich im Zuge eines geplanten Stadtumbaus auftun. Zunächst: Dass es überhaupt eine so sichtbare und kontroverse Debatte gibt, ist der beste Beleg für eine funktionierende, aufmerksame und in den Planungsprozess auch teilweise eingebundene Bürgerschaft. Aus Sicht der Stadtforschung gilt es unter anderem, die Bilder und Argumente, die in dieser Kontroverse zum Vorschein kommen, und die Akteure und deren Interessenslagen zu analysieren. Aus fachwissenschaftlicher Perspektive gibt es indessen kaum Zweifel: Die Stadtumlandbahn bietet nicht nur eine bequeme, schnelle und umweltfreundliche neue Mobilitätsoption für Erlangen und die Metropolregion. Sie liefert auch ein langfristig verlässliches Grundgerüst für die Stadtentwicklung und den von Befürwortern und Gegnern gleichermaßen geforderten weiteren Ausbau eines zeitgemäßen Bussystems und Radwegenetzes in die einzelnen Stadtteile. Es gibt unzählige Belege aus vergleichbaren Stadtregionen in Deutschland, Europa und Übersee, die zeigen, dass derartige Stadtbahnprojekte entscheidende Impulse für die Entwicklung lebenswerter und nachhaltiger Stadtlandschaften gaben.

StUB-Bürgerentscheid: Was bedeutet er für die FAU?

Erlangen von oben. Markierung wo die Stadtumlandbahn neben dem Geistes- und Sozialwissenschaften der FAU fahren würde. Screenshot: https://www.stadtumlandbahn.de
Die StUB könnte die verschiedenen Universitätsstandorte miteinander verbinden (Bild: Zweckverband Stadt-Umland-Bahn)

Am 9. Juni 2024 entscheiden die Erlanger Bürgerinnen und Bürger mit einem Bürgerentscheid über den Bau einer Straßenbahn in Erlangen: der Stadt-Umland-Bahn (StUB).

Was bedeutet der Bau und und das Fahren einer Straßenbahn durch Erlangen für die FAU? Wie würden Studierende und Beschäftigte von der Stadt-Umland-Bahn profitieren? Antworten auf diese Fragen finden Sie auf:

„Die FAU und die Stadt-Umland-Bahn“ –  jetzt informieren!