Studie untersucht die Erreichbarkeit von Gedächtnisambulanzen in Bayern

Übersicht: „Erreichbarkeit von GDA in Bayern“
Wie lange brauchen Menschen mit Demenz in Bayern, um die nächste Gedächtnisambulanz zu erreichen? In ländlichen Gegenden sind es besonders weite Wege – die Hälfte der Betroffenen dort ist fast 40 Minuten unterwegs. (Bild: digiDEM Bayern)

Weite Wege zur Demenzdiagnostik

Um eine Demenz frühzeitig zu diagnostizieren, sind Gedächtnisambulanzen von zentraler Bedeutung. Diese hochspezialisierten Einrichtungen ermöglichen eine Diagnostik nach den aktuellen medizinischen Standards. Ein interdisziplinäres Forschungsteam der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) hat nun die Erreichbarkeit von Gedächtnisambulanzen in Bayern und damit die Fahrtdauer untersucht, um vom Wohnort zur nächstgelegenen Gedächtnisambulanz zu gelangen. Menschen mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen sowie Menschen mit Demenz, die speziell in ländlichen Gemeinden leben, müssen deutlich längere Fahrtzeiten auf sich nehmen als Menschen aus städtischen Gebieten. Dies berichten die Forschenden des Digitalen Demenzregisters Bayern (digiDEM Bayern) in der renommierten Fachzeitschrift „Das Gesundheitswesen“.*

Computertomographie (CT), Magnetresonanztomographie (MRT), sogenannte Biomarker oder psychologische Testverfahren: Mit der zunehmenden Verfeinerung der diagnostischen Möglichkeiten werden Gedächtnisambulanzen für Menschen mit Gedächtnisbeeinträchtigungen künftig immer wichtiger. Gedächtnisambulanzen tragen als spezialisierte Einrichtungen maßgeblich zu einer qualitativ hochwertigen Diagnose und damit zu einer abgesicherten Abklärung bei, ob eine Demenz vorliegt – oder ob eine andere Erkrankung für Einbußen bei der Gedächtnisleistung verantwortlich ist. So können zum Beispiel Depressionen, Stoffwechselstörungen und Schilddrüsenunterfunktionen zu einem Rückgang der kognitiven Leistungsfähigkeit führen.

Demenzen häufig nicht oder viel zu spät diagnostiziert

Diese Abklärung ist gerade dann wichtig, wenn es um die zeitgerechte Diagnostik von demenziellen Erkrankungen geht. „Demenzerkrankungen werden häufig überhaupt nicht oder erst viel zu spät und in weit fortgeschrittenen Stadien diagnostiziert“, erläutert Jana Rühl, Erstautorin der Studie und wissenschaftliche Mitarbeiterin bei digiDEM Bayern. Je früher aber eine Demenz erkannt wird, desto früher können die damit einhergehenden Symptome wie beispielsweise Unruhe, Angst oder Teilnahmslosigkeit, entsprechend behandelt werden „Außerdem steht An- und Zugehörigen mehr Zeit zur Verfügung, um sich auf die Erkrankung einzustellen und die künftige Versorgung zu planen“, sagt Jana Rühl.

Strategische Schlüsselfunktion der Gedächtnisambulanzen

Gedächtnisambulanzen kommt zudem eine strategische Schlüsselfunktion zu. Nur sie können jene Patientinnen und Patienten identifizieren, die für die Therapien mit neuen Anti-Alzheimer-Medikamenten geeignet sind. Dazu gehören Betroffene, bei denen gleichzeitig eine sogenannte leichte Gedächtnisbeeinträchtigung (Mild Cognitive Impairment, MCI) und eine diagnostisch nachgewiesene sogenannte Alzheimer-Pathologie vorliegt. In Bayern ist auf der Grundlage von internationalen epidemiologischen Studien und den aktuellen Bevölkerungsdaten von rund 313.000 Patientinnen und Patienten mit MCI und gleichzeitig einer Alzheimer-Pathologie auszugehen.

Längere Fahrtzeiten in ländlichen Räumen

Welche entscheidende Rolle deshalb die Erreichbarkeit der in Bayern bestehenden Gedächtnisambulanzen spielt, unterstreichen die Studienergebnisse. Nur fünf der insgesamt 29 Gedächtnisambulanzen in Bayern befinden sich in den ländlichen Regionen. Zwischen städtischen und ländlichen Räumen zeigten sich also große Unterschiede. „In ländlichen Räumen müssen Betroffene häufig weite Wege zurücklegen“, erklärt die Humangeographin Jana Rühl. „Die Hälfte der Menschen mit Demenz, die im ländlichen Bereich leben, muss fast 40 Minuten fahren.“

„Für betagte und hochbetagte Menschen können 40 Minuten eine große Beschwernis bedeuten, wobei die Rückfahrt noch gar nicht eingerechnet ist“, sagt der Neurologe Prof. Dr. Peter Kolominsky-Rabas, Co-Autor und digiDEM Bayern-Projektleiter. „Mehr als ein Viertel – was rund 27.500 Menschen entspricht – müssen sogar mehr als 40 Minuten Fahrtzeit zur nächsten Gedächtnisambulanz in Kauf nehmen“, weiß Jana Rühl. Anders hingegen die Hälfte der Betroffenen, die in städtischen Räumen leben. Sie können die nächste Gedächtnisambulanz in unter 20 Minuten erreichen.

Dringender Handlungsbedarf

Dieses Missverhältnis gilt den Forschenden zufolge besonders für bayerische Gemeinden nahe der tschechischen und österreichischen Grenze. „Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Betroffene haben nicht nur besonders weite Wege zur nächsten Gedächtnisambulanz zurückzulegen. Zukünftig werden diese Gemeinden verstärkt von Überalterung betroffen sein. Dies bedeutet, dass mit mehr Demenzpatientinnen und Demenzpatienten und mit einem Mehr an Demenzdiagnostik zu rechnen ist“, erläutert Prof. Dr. Peter Kolominsky-Rabas.

Die Analysen der Reisezeiten beruhen dabei auf geschätzt 234.032 Menschen mit Demenz, die zum Stichtag 31.12.2020 in Bayern lebten. Dies entspricht einem Anteil von 8,6 Prozent an den über 65-jährigen Bayerinnen und Bayern.

In der Studie kommt das Forschungsteam um Jana Rühl aber auch zu dem Schluss: Der Großteil der Menschen mit Demenz in Bayern erreicht die jeweils nächstgelegene Gedächtnisambulanz im Durchschnitt in unter 40 Minuten Fahrtzeit.

Wie Fahrtzeiten reduziert werden könnten

Im Rahmen der Publikation simulierte die Autorengruppe ergänzend verschiedene Szenarien für die Oberpfalz mit einem oder mehreren zusätzlichen Standorten für eine Gedächtnisambulanz. Prof. Dr. Peter Kolominsky-Rabas kommt zum dem Schluss: „Der gezielte Ausbau von Gedächtnisambulanzen in Gebieten, die lange Fahrtzeiten erfordern, wäre sinnvoll. Als Innovation ist auch eine auf die Menschen zugehende Diagnostik in Form mobiler Diagnostikangebote denkbar.“

Der Neurologe betont: „Ähnlich wie dem in Bayern bereits etablierten Mammo-Mobil könnte ein ‚digiDEM Bayern Diagnostik-Mobil‘ die Abklärung vor Ort wohnortnah ermöglichen und damit den Zugang zur Diagnostik niederschwellig und zeitsparend gestalten.“

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Über digiDEM Bayern

digiDEM Bayern baut ein digitales Demenzregister für Bayern auf, um den Langzeitverlauf der Erkrankung besser zu verstehen und die Versorgungssituation von Menschen mit Demenz und deren An- und Zugehörigen in ganz Bayern zu verbessern. Dafür werden Menschen mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen oder Demenz und ihre pflegenden An- und Zugehörigen zu ihrer Situation systematisch befragt. Mit 1.500 Studienteilnehmenden aus ganz Bayern hat das Digitale Demenzregister Bayern (digiDEM Bayern) mittlerweile einen Rekordstand erreicht. Damit ist digiDEM Bayern das größte Demenzregister in Deutschland und gehört im Bereich Demenzforschung zu einem der umfangreichsten Projekte zur Erfassung von Langzeitdaten in der Europäischen Union (EU). digiDEM Bayern ist ein interdisziplinäres Forschungsprojekt der FAU, des Uniklinikums Erlangen und des Innovationsclusters Medical Valley Europäische Metropolregion Nürnberg.

Weitere Informationen:

Ilona Hörath
Digitales Demenzregister Bayern – digiDEM Bayern
Tel.: 0163/883 884 5
ilona.hoerath@fau.de