Neue Studie identifiziert NECTIN4-Amplifikation als vielversprechenden Biomarker
Gezielter Einsatz von Enfortumab Vedotin zur Behandlung von fortgeschrittenem Urothelkarzinom
Bonn, 25. April 2024 – Unter der Leitung von PD Dr. Niklas Klümper, Assistenzarzt der Klinik für Urologie am Universitätsklinikum Bonn (UKB) und Clinician Scientist des BMBF-geförderten ACCENT-Programmes, und PD Dr. Markus Eckstein, Oberarzt des Pathologischen Instituts des Uniklinikums Erlangen der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), hat ein interdisziplinäres Forschungsteam neue Erkenntnisse veröffentlicht, die darauf hinweisen, welche Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittenem Urothelkarzinom insbesondere von der neuen gezielten Therapie mit dem Antikörper-Wirkstoff-Konjugat Enfortumab Vedotin profitieren könnten. Die Studie, gestern im renommierten Fachjournal „Journal of Clinical Oncology“ veröffentlicht, identifiziert die NECTIN4-Amplifikation als vielversprechenden genomischen Biomarker zur Vorhersage des Therapieansprechens auf Enfortumab Vedotin. Diese Erkenntnisse könnten einen bedeutenden Fortschritt zur verbesserten Behandlung dieses Krebsleidens darstellen.
Als Alternative zu Chemotherapien, die zur Behandlung aggressiver fortgeschrittener und metastasierter Urothelkarzinome eingesetzt werden, gibt es seit Kurzem eine neue Wirkstoffklasse von Medikamenten, sogenannte Antikörper-Wirkstoff-Konjugate: Enfortumab Vedotin (EV) ist das erste Medikament dieser neuen Wirkstoffklasse, das von der EMA zur Behandlung von Patientinnen und Patienten mit metastasiertem Urothelkarzinom zugelassen wurde. Angesichts der äußerst vielversprechenden Ergebnisse der EV-302 Studie, welche eine nahezu Verdopplung des Überlebens durch die Kombinationstherapie von EV und Pembrolizumab, einem Immuncheckpoint-Inhibitor, im Vergleich zur herkömmlichen Platin-basierten Chemotherapie bei unbehandelten Patientinnen und Patienten mit metastasiertem Urothelkarzinom aufzeigt, ist zu erwarten, dass der Einsatz von EV in Zukunft erheblich steigen wird.
Moderne zielgerichtete onkologische Therapie
Antikörper-Wirkstoff-Konjugate bestehen aus einem Antikörper, der gegen eine Zielstruktur auf Tumorzellen gerichtet ist und mit einem hochtoxischen Chemotherapeutikum verbunden ist. Dadurch wird die Selektivität einer zielgerichteten Antikörpertherapie mit dem zytotoxischen Potenzial einer konventionellen Chemotherapie kombiniert, was einen innovativen und neuen onkologischen Therapieansatz darstellt.
Forschung für zielgerichtetere Therapie: Präzisionsonkologie
Eine langfristige Wirksamkeit des neuen Medikaments EV zeigte sich bislang bei einer nicht näher charakterisierten Gruppe von Patientinnen und Patienten mit metastasiertem Urothelkarzinom. Das Forschungsteam um PD Dr. Niklas Klümper (UKB) und PD Dr. Markus Eckstein (Uniklinikum Erlangen) wollte deswegen nun genauer analysieren, welche Patientinnen und Patienten wirksam von einer EV-Therapie profitieren um diese gezielter einsetzen und können – und im Umkehrschluss Betroffene, die weniger bzw. nicht von EV profitieren zu identifizieren, da diese eventuell mit anderen Therapien wirksamer behandelt werden könnten.
NECTIN4, die Zielstruktur von EV, ist auf dem Chromosom 1q23.3 lokalisiert. Dieser Genabschnitt ist im Urothelkarzinom in circa 20-25 Prozent vermehrt, man spricht dann von einer sogenannten Amplifikation. Die neue Studie beabsichtigte, NECTIN4-Amplifikationen als potenziellen genomischen Biomarker zu untersuchen, um das Therapieansprechen auf das Medikament EV bei Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittenem Urothelkarzinom vorherzusagen.
„Wir haben erfolgreich einen simplen FISH-Test (Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung) entwickelt und angewendet, der spezifisch für NECTIN4 ist. Dieser Test erwies sich als zuverlässige Methode zur Identifizierung einer NECTIN4-Amplifikation. Unsere Untersuchungen ergaben, dass das Vorhandensein einer NECTIN4-Amplifikation ein robuster Biomarker für das Ansprechen auf die EV-Therapie ist. Tatsächlich zeigte sich bei über 90 Prozent der Patientinnen und Patienten mit einer NECTIN4-Amplifikation ein Ansprechen des Tumors auf die EV-Therapie, im Vergleich zu etwa 30 Prozent der Patientinnen und Patienten ohne diese Amplifikation“, erklärt PD Dr. Markus Eckstein. Diese neuen Erkenntnisse können in Zukunft helfen, die Patientinnen und Patienten besser für diese vielversprechende Therapie auszuwählen. „Die NECTIN4-Amplifikation ist ein vielversprechender Biomarker zur Vorhersage des Therapieansprechens auf EV. Spannenderweise kommt die NECTIN4-Amplifikation neben dem Urothelkarzinom auch in anderen soliden Tumoren häufig vor, zum Beispiel beim Lungen- und Brustkrebs. Die Berücksichtigung der NECTIN4-Amplifikation könnte somit auch für andere Tumortypen eine spannende Option sein, um Patientinnen und Patienten für eine anti-NECTIN4-gerichtetete Therapie zielgerichteter auszuwählen. Weitere Studien zu dem Thema sind vonnöten, jedoch könnte unsere Arbeit der Startschuss für die Etablierung neuer zielgerichteter Behandlungsstrategien sein“, sagt PD Dr. Niklas Klümper.
Beide Studienleiter sind auch darin übereinstimmend, dass ohne die großartige Unterstützung aller beteiligten Kolleginnen und Kollegen aus den zahlreichen onkologischen Zentren in Deutschland, Österreich, den Niederlanden und den USA sowie natürlich ohne die Zustimmung der Patientinnen und Patienten zur Teilnahme an der Studie, diese niemals hätte erfolgreich durchgeführt werden können.
Die Studie wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen der DFG-Nachwuchsakademie UroAgeCare der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) gefördert und initiiert. „Dies unterstreicht die hohe Relevanz der Förderung von Clinician Scientist Programmen für den medizinischen Fortschritt“, sagt Prof. Michael Hölzel, Mentor von PD Dr. Klümper innerhalb des Programmes.
Publikation: Niklas Klümper et al.; NECTIN4 Amplification is Frequent in Solid Tumors and Predicts Enfortumab Vedotin Response in Metastatic Urothelial Cancer
Weitere Informationen:
PD Dr. Markus Eckstein
Pathologisches Institut des Uniklinikums Erlangen
markus.eckstein@uk-erlangen.de
Bildunterschrift: (v. l.) Ngoc Khanh Tran, PhD-Studentin, PD Dr. Niklas Klümper und Prof. Michael Hölzel (bei Universitätsklinikum Bonn) und mit PD Dr. Eckstein haben untersucht, wie Patient/-innen besser behandelt werden könnten.
Bild: Universitätsklinikum Bonn/R. Müller