Soziolinguist erhält Heisenberg-Förderung in Höhe von über einer halben Million

PD Dr. Markus Schiegg, Lehrstuhl für Germanistische Sprachwissenschaft
Briefe, Notizen und Tagebücher aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert: Damit beschäftigt sich PD. Dr. Markus Schiegg vom Lehrstuhl für Germanistische Sprachwissenschaft. Oft macht er dabei spannende Entdeckungen. (Bild: FAU/Thomas Hillenbrand)

Zeitreisen mit historischen Briefen

Thomas Mann hatte es wohl nicht so mit den neuen Rechtschreibregeln seiner Zeit – wer hätte das von einem bedeutenden Schriftsteller des 20. Jahrhunderts gedacht? Das ist bisher aber nur eine Erkenntnis aus dem neuen Forschungsprojekt von Dr. Markus Schiegg, Privatdozent am Lehrstuhl für Germanistische Sprachwissenschaft. Schiegg untersucht, wie sich die Sprache von Menschen um 1900 in ihrem Lebensverlauf verändert hat. Für das Projekt ist der Forscher nun in das renommierte Heisenberg-Förderprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) aufgenommen worden.

Genauso wie heute gab es auch im 19. und frühen 20. Jahrhundert Diskussionen darüber, wie bestimmte Wörter richtig geschrieben werden. Ein wichtiger Wendepunkt: Die orthographische Konferenz von 1901 – und mit ihr nur kurze Zeit später das Erscheinen des Dudens. Doch wie haben die Menschen auf dieses Ereignis reagiert?

Unter anderem das untersucht PD Dr. Markus Schiegg, Lehrstuhl für Germanistische Sprachwissenschaft an der FAU, in seinem Projekt. Dafür taucht er in die Vergangenheit ein, analysiert Notizen, Tagebücher und Briefe von Personen, die um 1900 gelebt haben.

Wie wir schreiben, zeigt wie wir sind

Es geht um Menschen unterschiedlicher gesellschaftlicher Schichten: vom einfachen Schuster und der Dienstmagd bis zu bekannten Schriftstellern oder Gelehrten. Indem Schiegg konkrete sprachliche Variablen ausarbeitet, wie beispielsweise die Schreibweise einzelner Wörter, kann er diese miteinander vergleichen. So kann er Rückschlüsse auf das Leben der Personen ziehen und wie stabil oder instabil ihr Sprachgebrauch war.

„Vor 1901 wurde die ‚Tür‘ meist noch mit ‚Th‘ geschrieben. Mit Aufkommen der Rechtschreibreform war das offiziell nicht mehr der Fall“, erklärt Schiegg. „Anhand der archivierten Schriftstücke kann ich auswerten, ob die neue Schreibweise sich durchgesetzt hat – und falls ja, wie schnell.“ Damit rekonstruiert er nicht nur, wie sich ihre Sprache verändert hat, sondern erhält auch Einblicke in die Lebenswelten und sozialen Kontexte von Personen unterschiedlicher sozialer Gruppen.

Historische Briefe eines Patienten einer psychiatrischen Einrichtung um 1900 aus dem Archiv des Bezirkskrankenhauses Kaufbeuren. Briefe wie diese untersucht Schiegg für sein Projekt. (Foto: FAU/Bezirkskrankenhaus Kaufbeuren/Schiegg)

Erstaunlich: Thomas Mann hat sich nicht so schnell auf die neuen Rechtschreibregeln eingelassen, sondern sich diesen wohl zunächst sogar bewusst widersetzt. Das hat Schiegg aus mehreren Briefen und Notizbüchern des bekannten Schriftstellers bereits herauslesen können. „Thomas Mann hat zwei Jahrzehnte gebraucht, bis er die neuen Regeln in der schriftlichen Sprache umgesetzt hat. Manche einfachen Leute waren da schneller“, sagt Schiegg. „Auch wenn sie weniger gebildet waren, konnten sie ihre Sprache in öffentlichen Schreiben gezielt anpassen und haben sich dabei beispielsweise am Sprachgebrauch der Zeitungen orientiert.“

Einfache Leute, weniger Quellen

Hier liegen allerdings die Herausforderungen: Während es von Gelehrten aus dieser Zeit allein in der Erlanger Universitätsbibliothek über 20.000 archivierte und großenteils noch unerschlossene Schriftstücke gibt, sieht es bei den Menschen aus anderen sozialen Gruppen oft mau aus. „Briefe von einfachen Leuten sind nur in Ausnahmefällen archiviert“, erklärt Schiegg.

Deshalb hat er bereits in einem Vorgängerprojekt mit seinem Team ein Sprachkorpus aus über 4.000 Briefen von Menschen erstellt, die in psychiatrischen Anstalten untergebracht waren. Denn dort wurden die Patientenbriefe häufig nicht abgesendet, sondern von den Ärzten aufbewahrt. Sie dienen als Grundlage für Schieggs neues Projekt.

Eine andere Quelle sind auch Auswandererbriefe. „Viele Menschen sind im 19. Jahrhundert aus wirtschaftlichen Gründen nach Amerika ausgewandert. Das macht die sprachliche Entwicklung der Personen besonders spannend, denn sie haben sich in einem veränderten sprachlichen Kontext ein neues Leben aufgebaut“, sagt Schiegg.

Heisenberg-Förderung

Mit dem Programm fördert die DFG herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf ihrem Weg zu einer unbefristeten Professur. Schieggs Projekt „Instabilität des individuellen Sprachgebrauchs“ wird dabei mit über 500.000 Euro über insgesamt fünf Jahre gefördert. Mit der Aufnahme in das Heisenberg-Programm rückt Schiegg einen bedeutenden Schritt näher an sein Ziel der Professur.

Die Stelle wird vorerst für drei Jahre mit knapp 320.000 Euro unterstützt. Anschließend ist eine Verlängerung und Weiterförderung in Höhe von knapp 215.000 Euro in Aussicht gestellt. Die Gelder fließen in erster Linie in Personal, Sachmittel und wichtige Konferenzreisen.

Weitere Informationen

PD Dr. Markus Schiegg
Lehrstuhl für Germanistische Sprachwissenschaft
https://www.germanistik.phil.fau.de/person/dr-markus-schiegg/
Markus.schiegg@fau.de