„Menschenrechte sind immer schon umstritten“

Gruppenbild mit Wissenschaftler/-innen des CHREN.
Sind die Menschenrechte noch zeitgemäß? Unter anderem diese Frage diskutieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Disziplinen am Center for Human Rights Erlangen-Nürnberg (FAU CHREN). (Bild: FAU/Anna Tiessen)

Interview mit Migrations- und Menschenrechtlerin Anuscheh Farahat

Anuscheh Farahat ist Professorin für Öffentliches Recht, Migrationsrecht und Menschenrechte an der FAU. Ein Gespräch über ihre Forschung – und darüber, warum die FAU der ideale Ort dafür ist.

Frau Farahat, was reizt Sie am Thema Menschenrechte?

Ich bin über das Thema Migration dazu gekommen. Häufig geht es um die Frage, welche Rechte Menschen haben, die sich in einer Gesellschaft in der Minderheit befinden. Das trifft natürlich insbesondere auf Migrantinnen und Migranten zu. Gerade Menschen, die aus ihrem Heimatland fliehen mussten, sind darauf angewiesen, effektiven Schutz zu bekommen und fair behandelt zu werden. Hierbei spielen Menschenrechte eine zentrale Rolle. Dasselbe gilt aber auch für die Frage, wie man Beschäftigte in globalen Lieferketten schützen kann, wo sie sehr mächtigen Akteurinnen und Akteuren, insbesondere Unternehmen, ausgesetzt sind. Als Juristin reizt es mich, rechtliche Lösungen und Ansätze zu finden, wie man unterprivilegierten Menschen helfen und ihre Lage verbessern kann.

Anuscheh-Farahat
Bild: FAU/Anna Tiessen

Prof. Dr. Anuscheh Farahat studierte Rechtswissenschaften in Frankfurt, Paris und Berkeley. 2011 wurde sie an der Goethe-Universität Frankfurt promoviert. Von 2006 bis 2009 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin und von 2014 bis 2017 wissenschaftliche Referentin am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg. 2020 wurde sie am Fachbereich Rechtswissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt habilitiert. Seit 2019 ist Farahat Professorin für Öffentliches Recht, Migrationsrecht und Menschenrechte an der FAU. 2022 wurde sie zum Max-Planck-Fellow am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle (Saale) ernannt.

Worin liegen Ihre Schwerpunkte?

In meiner Forschung versuche ich, die Themen Migration und Menschenrechte zu verbinden. Aber mich interessieren auch ganz grundsätzliche Fragen: Wie kommt es, dass viele Staaten die Menschenrechte ganz bewusst missachten und versuchen, sie zu delegitimieren und infrage zu stellen? Zudem ist es aus meiner Sicht interessant, wie sich gesellschaftliche Transformationsprozesse – von der Digitalisierung bis zum Klimawandel – auf die Möglichkeiten auswirken, Menschenrechte durchzusetzen. Wir müssen uns mit der Frage beschäftigen, ob Menschenrechte heute andere Funktionen erfüllen müssen als vor 75 Jahren, als die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von den Vereinten Nationen verkündet wurde.

Sind die in der UN-Charta formulierten Menschenrechte nicht mehr zeitgemäß?

Anuscheh-Farahat im Gespräch
Sie forschen gemeinsam am FAU CHREN: Prof. Dr. Anuscheh Farahat, Völkerrechtler Prof. Dr. Markus Krajewski und Dr. Janina Heaphy, Postdoktorandin am CHREN. (Bild: FAU/Anne Tiessen)

Sie sind zeitgemäßer und wichtiger denn je. Wir müssen uns vor Augen halten, dass Menschenrechte immer schon umstritten waren. Sie mussten von denjenigen, die benachteiligt oder unterdrückt wurden, in harten Auseinandersetzungen gegen diejenigen erkämpft werden, die Macht hatten. Heute sind die Formen von Unterdrückung, Benachteiligung oder Ausbeutung andere. Deshalb gibt es neue Auseinandersetzungen darüber, wie die Menschenrechte zu interpretieren und anzuwenden sind. Aber unumstößlich bleibt: Menschenrechte formulieren sehr grundlegende Überzeugungen, wie wir miteinander umgehen wollen. Nur die Frage, was das im Einzelfall konkret bedeutet und wie man dies am besten umsetzt und gegeneinander abwägt, muss immer wieder neu diskutiert werden.

Wo sehen Sie den größten Änderungs- und Anpassungsbedarf?

Wenn beispielsweise in Entscheidungsprozessen zunehmend Algorithmen eingesetzt und zugleich eine immense Menge an Daten über uns gesammelt werden können, bedarf es eines entsprechenden Schutzes der Persönlichkeitsrechte, aber auch mit Blick auf Diskriminierung. Hinzu kommt die Frage: Wer hat eigentlich welche Rechte, und wie weit gelten diese – sowohl inhaltlich als auch räumlich? Konkret: Ab welchem Moment ist ein Staat in der Pflicht, Menschen, die über das Mittelmeer kommen, zu schützen? Inwiefern muss er es sich zurechnen lassen, wenn er sich privater Initiativen oder eines dritten Staates bedient, die Menschenrechte verletzen? Eine weitere neue Herausforderung: Normalerweise beziehen sich Menschenrechte auf das Hier und Jetzt. Aber mit Blick auf den Klimawandel müssen wir uns fragen, wie wir die Rechte zukünftiger Generationen sinnvoll schützen können. Grundsätzlich denke ich, dass es wichtig ist, die Menschenrechtsforschung und -praxis systematischer miteinander zu verbinden und für die Probleme vor Ort an vielen verschiedenen Stellen der Welt zu sensibilisieren.

Ist die FAU ein guter Ort, um zu diesen Themen zu forschen und zu arbeiten?

Aus meiner Sicht bietet die FAU aus verschiedenen Gründen ideale Bedingungen für die Menschenrechtsforschung. Das hat einerseits damit zu tun, dass bei uns in verschiedenen Fachrichtungen intensiv dazu geforscht wird. Allein die Tatsache, dass 2009 ein Lehrstuhl für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik eingerichtet wurde und an der FAU seit 2015 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Center for Human Rights Forschungsbeiträge zu regionalen, nationalen und internationalen Entwicklungen im Bereich der Menschenrechte leisten, unterstreicht den hohen Stellenwert. Diese Schwerpunkt­setzung macht es möglich, das Thema Menschenrechte aus unterschiedlichen Perspektiven zu analysieren. Daran mitwirken zu können, macht mir sehr viel Freude. Hinzu kommt die enge Zusammenarbeit mit dem Menschenrechtsbüro der Stadt Nürnberg, der Internationalen Akademie Nürnberger Prinzipien und dem Nürnberger Menschenrechtszentrum. Man muss sich bewusstmachen, dass wir hier an einem ganz besonderen historischen Ort Menschenrechts­forschung betreiben dürfen. Das Bewusstsein in der Region für das Thema Menschenrechte ist allein aufgrund der Historie sehr groß und deutlich spürbar.

Autor: Michael Kniess

Forschungszentrum FAU CHREN

Straße der Menschenrechte in Nürnberg
Bild: FAU/Anna Tiessen

Das Forschungszentrum Center for Human Rights Erlangen-Nürnberg (FAU CHREN) konzentriert sich auf aktuelle Fragen der Theorie und Praxis der Menschenrechte. Dazu zählen die Anerkennung der Menschenwürde, die Unteilbarkeit der Menschenrechte und das Prinzip der Nichtdiskriminierung. Das Zentrum untersucht, welche Anforderungen an die Politik sich aus diesen universalen Rechten ergeben. Darüber hinaus setzt es sich für die Weiterentwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes und dessen universelle Umsetzung ein.

www.humanrights.fau.de


Dieser Artikel ist Teil des FAU Magazins

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