Welten verbinden
Wie sich klassische Elektronik und Quantentechnologien zusammenbringen lassen
Quantentechnologien sind auf dem Vormarsch. Doch die klassische Elektronik wird nicht verschwinden. Kai Phillip Schmidt und Janina Maultzsch gehen der Frage nach, wie beide Welten zusammengebracht werden können.
Er ist so groß wie ein Wasserboiler und wird im Inneren auf zehn Millikelvin gekühlt, also fast auf den absoluten Temperaturnullpunkt. So sieht aktuell ein Quantencomputer mit supraleitenden Prozessoren – den Qubits – im Forschungslabor aus. Schwer vorstellbar, dass wir diese Technologie irgendwann auf dem Schreibtisch stehen haben oder gar in der Jackentasche tragen. „Dennoch wollen wir uns schon jetzt mit den physikalischen Fragen beschäftigen, die wir beantworten müssen, damit in Zukunft vielleicht unser Handy mit einem Quantenchip oder einem Quantensensor ausgestattet sein könnte“, sagt Janina Maultzsch.
Maultzsch ist Professorin für Experimentalphysik am Department Physik der FAU. Gemeinsam mit einem Konsortium aus der experimentellen und theoretischen Physik, der Elektrotechnik, der Chemie und den Werkstoffwissenschaften hat sie sich einer ehrgeizigen Aufgabe verschrieben: Sie will untersuchen, wie Quantentechnologien mit klassischer Photonik und Elektronik zusammengebracht werden können – nicht nur auf der Mikro-, sondern auch auf der Makroebene. „Herkömmliche Komponenten spielen bei der Konstruktion eines Quantencomputers oder -sensors ohnehin eine Rolle“, erklärt sie. „Ein Quantensensor beispielsweise schwebt ja nicht in der Luft, er muss verdrahtet werden, es gibt Kontakte, und er ist in einen klassischen Kristall eingebettet. Was uns darüber hinaus interessiert, ist: Wie sollen Quantenbauteile künftig generell in bestehende Strukturen eingebunden werden? Wie können wir uns das Zusammenspiel von klassischen Eigenschaften und Quanteneffekten zunutze machen und dafür geeignete Materialplattformen finden?“
Flexibel in zwei Dimensionen
In ihrem Forschungsalltag beschäftigt sich Janina Maultzsch mit niedrigdimensionalen Festkörpern, deren faszinierende Eigenschaften von der Struktur ihres Atomgitters bestimmt werden. Graphen ist ein prominentes Beispiel dafür: Während mehrlagige Kohlenstoffgitter wie Graphit in Bleistiftminen und als Schmiermittel verwendet werden, ist das einlagige Graphen ein transparenter und flexibler Leiter, der zum Beispiel in flexiblen Touchscreens zum Einsatz kommt. Vor einigen Jahren hat ein Forschungsteam am renommierten MIT herausgefunden, dass zwei Graphenlagen supraleitend werden, wenn man sie nur um ein Grad gegeneinander verdreht. Rollt man eine Graphenlage hingegen zusammen, können die gebildeten Nanoröhrchen wahlweise halbleitend oder metallisch sein – je nachdem, in welchem Winkel die Graphenlage aufgerollt wurde.
Analog zu Graphen gibt es eine Vielzahl sogenannter zweidimensionaler Materialien, die als atomar dünne Lage überraschende Charakteristika aufweisen. Sie können durch Änderung der Größe, Einbindung „fremder“ Atome oder Wechselwirkung mit Molekülen funktionalisiert werden. Ein besonders spannender Aspekt sind die mathematisch definierten Gitter, die durch die Verdrehung von zwei Lagen zueinander entstehen: Dadurch können Korrelationen oder Quanteneigenschaften erzeugt werden, die in der einzelnen Lage so nicht vorhanden sind. Janina Maultzsch untersucht die Wechselwirkungen von Photonen, Elektronen und mechanischen Schwingungen in diesen Strukturen. „Bei diesen Arbeiten ist die Grenze zwischen klassischer und Quantenphysik fließend“, sagt sie. „Deshalb interessiere ich mich so sehr dafür, wie eine hybride Welt der Quanten- und klassischen Physik aussehen kann.“
Quantencomputer sind inselbegabt
Kai Phillip Schmidt stellt sich diese Frage auch. Man könnte den Professor für Theoretische Physik als Sparringspartner von Janina Maultzsch bezeichnen. Schmidt untersucht, wie sich Materie untereinander und im Zusammenspiel mit Licht verhält. Insbesondere fragt er sich, wie klassische und Quanten-Phasen ineinander übergehen und inwiefern Quanteneigenschaften auch in makroskopischen Systemen überleben können. „Je mehr wir über solche Korrelationen wissen, umso präziser können wir Quantenphänomene vorhersagen und lokalisieren“, sagt er. Das ist notwendig, um etwa sicherzustellen, dass nur jene Quantenbits miteinander wechselwirken, die gerade an einer Rechenoperation beteiligt sind. Oder um Befehle so einzugeben und Ergebnisse so auszulesen, dass die extrem fragile Architektur nicht gestört wird. „Der Quantencomputer ist inselbegabt“, sagt Schmidt. „Er liefert herausragende Rechenleistungen für eng umrissene Aufgaben, reagiert aber sehr empfindlich auf seine Umgebung.“ Deshalb beschäftigt Schmidt sich in diesem Konsortium beispielsweise mit der Frage, wie das Rechenzentrum der Zukunft aussehen wird: Welche Aufgaben übernimmt der Quantencomputer? Haben die klassischen Serverfarmen ausgedient, oder bilden sie die Peripherie? Können Quantentechnologien und neuronale Netze auf einem Chip integriert werden?
Ähnliche Fragen stellen sich auch bei anderen quantenbasierten Anwendungen, etwa Sensorik und Bildgebung. Erste Konzepte zielen darauf, den magnetischen Effekt von Elektronenspins mithilfe von Farbzentren optisch zu messen. Farbzentren sind Leerstellen in Ionenkristallen, bei denen ein Anion durch ein oder mehrere Elektronen besetzt wird. „Das verspricht einen nie dagewesenen Einblick in das faszinierende Verhalten komplexer Materie“, erklärt Kai Phillip Schmidt. „Interessant zum Beispiel für das grundlegende Verständnis von Supraleitern.“ Auch hier gilt es zu klären, in welche mikroelektronische Infrastruktur Quantensensoren eingebunden und wie sie mit klassischen Komponenten besser werden können.
Vor der Welle surfen
Quantenmechanische und klassische Prozesse von Licht, Materie und Spin in neuen Architekturen zu vereinen – das ist das große Ziel von Maultzsch und Schmidt. Sie suchen nach einem Weg, die Vorteile der Technologien zu kombinieren und zugleich ihre Nachteile zu eliminieren: Die klassische Elektronik ist vielseitig und robust, stößt jedoch an die Grenzen ihrer Miniaturisierung und hat zudem einen hohen Energieverbrauch. Die neu entwickelten Quantentechnologien versprechen einen exponentiellen Leistungszuwachs für spezielle Aufgaben, sind aber empfindlich gegenüber äußeren Störungen. Und neuronale Netze zeichnen sich durch eine hohe Energieeffizienz aus, sind für bestimmte Rechenaufgaben aber ungeeignet.
Die aktuelle Erforschung und Entwicklung von Quantentechnologien ist – durchaus zu Recht – von einer Welle der Euphorie geprägt. Janina Maultzsch und Kai Phillip Schmidt versuchen, vor dieser Welle zu surfen und Dinge zusammenzubringen, die bislang eher getrennt betrachtet wurden. Sie forschen daran, Welten zu verbinden, die wir in wenigen Jahrzehnten ganz selbstverständlich als eine begreifen werden.
Autor: Matthias Münch
Profilzentrum Licht.Materie.Quantentechnologien
Die wissenschaftliche und technologische Entwicklung unserer Gesellschaft ist ohne Photonik und Elektronik nicht vorstellbar, welche das Rückgrat unserer heutigen Informationstechnologie bilden. In den letzten Jahren hat sich der Fokus an der FAU auf die gemeinsame Betrachtung von Licht und Materie gerichtet, was viele neue Phänomene und Technologien verständlich machen wird und damit die Grundlage für Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts bildet. Dies erfordert substanzielle Anstrengungen in der Grundlagen- wie in der angewandten Forschung, die im Profilzentrum Licht.Materie.Quantentechnologien der FAU gebündelt werden.
Dieser Artikel ist Teil des FAU Magazins
Eine Universität lebt durch die Menschen, die dort forschen, studieren, lehren und arbeiten. Eine Universität wird getragen von Menschen, die ihr als Alumni, Freunde sowie Förderinnen und Förderer verbunden sind und sich in aller Welt für ihre Belange einsetzen.
Sie alle bringen einzigartige Talente, Fähigkeiten und Perspektiven ein. Diese Vielfalt ist es, die unsere FAU zu einem Ort der Innovation macht und damit zu einem Ort, an dem sich viele Talente gemeinsam und mit Leidenschaft den großen Fragestellungen unserer Zeit widmen. Und immer wieder auch Antworten finden.
Weitere Artikel online lesen Download: FAU Magazin (PDF)