„In der Medizin braucht man manchmal Mut“

Georg Schett hält einen Vortrag, im Hintergrund: Banner des Deutschen Zentrums für Immuntherapie
Er hat eine bahn­brechende Therapie für schwere Auto­immunkrankheiten entwickelt: Georg Schett. (Bild: FAU/Simone Kessler)

Georg Schett und seine bahnbrechende Autoimmuntherapie

Vor zwei Jahren hat Georg Schett erstmals Menschen, die unter schweren Autoimmunerkrankungen litten, mit körpereigenen, genmanipulierten Zellen behandelt. Und zwar so erfolgreich, dass die Betroffenen keine andere Therapie mehr benötigen.

Mut hat Prof. Dr. Georg Schett, Direktor der Medizinischen Klinik 3 des Uni­klinikums Erlangen. 2021 hat er als Erster eine Patientin mit lebensbedrohlichem Systemischem Lupus Erythematodes (SLE) einer sogenannten CAR-T-Zelltherapie unter­zogen. Wir haben den Mediziner, der 2023 mit dem wichtigsten deutschen Forschungspreis, dem Leibniz-Preis, ausgezeichnet wurde, zum Stand seiner Forschung befragt.

Herr Schett, was genau ist eine CAR-T-Zelltherapie?

Bei dieser Therapie werden den Betroffenen Immunzellen, sogenannte T-Zellen, entnommen und mit einem chimären Antigenrezeptor, kurz CAR, ausgestattet. Im Körper dockt der CAR an Immunzellen an, und zwar an B-Zellen, die sich fälschlicherweise gegen das eigene Gewebe richten. So sorgt er dafür, dass die B-Zellen von den gentechnisch veränderten T-Zellen abgetötet werden. Dadurch erfolgt eine Art Neustart des Immunsystems, das sich danach nicht länger gegen die körpereigenen Strukturen richtet.

Sie haben nach der ersten Patientin auch weitere Erkrankte behandelt. Wissen Sie, wie es ihnen jetzt geht?

Allen 15 Personen geht es gut. Ihr Zustand hat sich entweder deutlich gebessert, oder sie sind komplett gesund. Besonders wichtig: Sie brauchen keine weitere Therapie mehr. Das ist neu. Die einmalige Verabreichung der CAR-T-Zellen hat dafür ausgereicht.

Sie haben nach diesen Erfolgen nun eine klinische Studie für die CAR-T-Zelltherapie begonnen.

Ja, die sogenannte CASTLE-Studie. Es handelt sich um eine CAR-T-Zellstudie zu drei Autoimmunerkrankungen – dem SLE, der autoimmunen Muskelentzündung und der syste­mischen Sklerose. 24 schwerkranke Patientinnen und Patienten werden von uns in den kommenden zwölf bis 18 Monaten behandelt. Die Liste von Inte­ressierten, die gern teilnehmen würden, ist deutlich länger. Schon bevor wir die Studie begonnen haben, hatten wir genug Kandidatinnen und Kandidaten – nicht zuletzt, weil die bisherigen Daten sehr gut sind. Interessanterweise sehen die Patientinnen und Patienten die Behandlung als eher natürliche Therapie an. Denn sie erhalten eigene Zellen, die gegen die fehlgeleiteten Immunzellen vorgehen.

Gibt es Nebenwirkungen?

Bei jeder Therapie gibt es potenzielle Risiken. Zum Beispiel erhalten die Erkrankten vor der Gabe der CAR-T-Zellen zwei Immunsuppressiva, allerdings jeweils nur sehr kurz: das eine nur für einen Tag, das andere für drei Tage. Dadurch sinkt die Zahl der weißen Blutkörperchen, jedoch nur für eine Dauer von etwa einer Woche bis zehn Tagen. Im Gegensatz zur Leukämie, bei der die CAR-T-Zelltherapie auch angewendet wird, haben wir wenig Probleme, dass eine anhaltende Immunschwäche entsteht. Die Vorbehandlung wird erstaunlich gut vertragen. Das zweite Risiko liegt darin, dass Entzündungen entstehen können, wenn die CAR-T-Zellen im Körper aktiviert werden. Das kann zu Fieber und schlimmstenfalls zum Schock führen. Bislang haben wir das jedoch noch nicht beobachtet.

Eine angeregte Diskussion der Osteoimmunologin Prof. Dr. Aline Bozec, Gewebsbiologe Prof. Dr. Stefan Uder­hardt, Dermatologin Prof. Dr. Carola Berking, Immunologe Prof. Dr. Georg Schett und Gewebeforscher Prof. Dr. Kristian Franze (v.l.n.r.)
Sie forschen gemeinsam daran, immunologische Prozesse besser zu verstehen: Osteoimmunologin Prof. Dr. Aline Bozec, Gewebsbiologe Prof. Dr. Stefan Uder­hardt, Dermatologin Prof. Dr. Carola Berking, Immunologe Prof. Dr. Georg Schett und Gewebeforscher Prof. Dr. Kristian Franze (v.l.n.r.). (Bild: FAU/Anna Tiessen)

Sie waren der Erste, der diese Therapie bei Autoimmunerkrankungen angewendet hat. Wie fühlt man sich, wenn man Pionier auf einem solchen Gebiet ist?

Wir haben uns natürlich ein bisschen gefürchtet. Doch es war ein Abwägen zwischen Risiken und Nutzen. Wir haben eine gute Chance gesehen, dass sich die Erkrankung deutlich bessert. Und wir haben die Chance, einer jungen Frau ein neues Leben zu schenken, über das mögliche Risiko gestellt. Zudem sind wir davon ausgegangen, dass wir eventuell auftretende Probleme mit Medikamenten managen können. Im Rückblick war es richtig, das so zu machen. In der Medizin braucht man manchmal ein bisschen Mut, denn sonst passiert nichts, sonst macht man immer das Gleiche.

Prof. Dr. Georg Schett studierte Humanmedizin an der Universität Innsbruck, wo er auch promoviert wurde und als Universitätsassistent arbeitete. 2001 wurde er Facharzt und 2003 Assistenzprofessor für Innere Medizin an der Medizinischen Universität Wien. Nach einem Forschungsaufenthalt am Biotechnologie-unternehmen Amgen, USA, wurde Schett 2006 Professor für Innere Medizin und Direktor der Medizinischen Klinik 3 der FAU. Er ist Sprecher des Forschungsschwerpunkts Infektiologie und Immunologie und Vizepräsident Research der FAU. Georg Schett ist Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Gesellschaften und Gremien, Gastprofessor an mehreren Universitäten in den USA und China sowie Träger renommierter Auszeichnungen. Er zählt zu den weltweit gefragtesten Wissenschaftlern auf dem Gebiet der Rheumatologie und Immunologie.

Prof. Dr. Georg Schett
Foto: Simone Kessler/Uniklinikum Erlangen

Könnten Sie sich vorstellen, dass die Therapie irgendwann auch bei anderen Autoimmunerkrankungen, zum Beispiel bei Multipler Sklerose, anwendbar wäre?

Auch bei der Multiplen Sklerose produzieren B-Zellen schädigende Antikörper. Deshalb ist durchaus vorstellbar, dass MS-Kranke von dieser Therapie profitieren könnten. Wichtig ist jedoch bei Autoimmunerkrankungen immer, dass die Therapie nicht zu spät einsetzt, weil sich ein bereits entstandener Schaden nicht mehr reparieren lässt. Bei der MS werden ja Nervenzellen geschädigt, die nicht regenerierbar sind. Deshalb ist der Zeitpunkt der Therapie wichtig. Ich kann mir vorstellen, dass schon in den nächsten Monaten eine Person, die an MS oder Myasthenia gravis erkrankt ist, mit der CAR-T-Zelltherapie behandelt wird. Das muss man einfach machen und schauen, wie es funktioniert.

Bleibt die CAR-T-Zelltherapie eine Behandlung für sehr schwere Erkrankungsfälle, bei denen etablierte Medikamente nicht anschlagen und bei denen man weiteren Schäden vorbeugen will?

Zunächst ja, denn diese Kranken stehen mit dem Rücken zur Wand. Im zweiten Schritt wird sie vielleicht auch bei Patientinnen und Patienten angewendet, bei denen sich schon sehr früh schwere Verläufe abzeichnen, um zu verhindern, dass es zu einer kompletten Entgleisung der Krankheit kommt.

Sie haben sich auf entzündliche Erkrankungen spezialisiert und noch weitere Ent­deckungen in diesem Bereich gemacht. Was treibt Sie am stärksten an, was interessiert Sie am meisten?

Entzündungen besser zu verstehen und besser zu behandeln, ist grundsätzlich meine Triebfeder. Außerdem bin ich immer an Neuem interessiert. Denn das ist das Schöne an der Forschung: Es lässt sich immer etwas Neues entdecken. Besonders begeistert mich die CAR-T-Zelltherapie, denn die Konsequenz für die Menschen ist sofort sichtbar. Wir haben etwas begonnen, das nun in anderen Ländern aufgenommen und wohl wirklich vielen Leuten helfen wird. Und das erlebt man nicht allzu häufig. Ich bin dankbar, dass das möglich war.

Autorin: Simone Harland

Profilzentrum Immunmedizin (FAU I-Med)

Im Fokus ist eine Pipette, mit der gerade eine Probe übertragen wird
Bild: FAU/Anna Tiessen

Ein fehlgesteuertes Immunsystem kann zu Allergien, Autoimmunerkrankungen, chronischen Entzündungen oder bösartigen Tumor­erkrankungen führen. Das Profilzentrum Immunmedizin erforscht die Funktionen und Fehlfunktionen des Immunsystems in einem Netzwerk verschiedener Disziplinen der FAU, des Uniklinikums Erlangen, des Max-Planck-Zentrums für Physik und Medizin sowie des Max-Planck-Instituts für die Physik des Lichts. Ziel ist es, ein besseres Verständnis von immunologischen Prozessen zu erlangen und neue Therapieansätze für immunvermittelte Erkrankungen zu finden.


Dieser Artikel ist Teil des FAU Magazins

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