Die Muster-Forscherinnen
Wenn KI hilft, Erkrankungen vorherzusagen und die beste Therapie zu finden
Katharina Breininger arbeitet mit Bilddaten, Paula Andrea Pérez-Toro mit Audiosignalen. Beide erforschen, wie KI dabei helfen kann, Erkrankungen vorherzusagen, Operationen verträglicher zu machen und die beste Therapie zu finden.
Wenn es um medizinischen Fortschritt geht, denken wohl die wenigsten Menschen an Datenverarbeitung. Dabei kann maschinelles Lernen helfen, die Erfolgsaussichten von Operationen zu verbessern, Krebserkrankungen zuverlässiger einzuschätzen oder komplexe Diagnosen bei der Magnetresonanztomografie zu beschleunigen. Und damit ist das Einsatzspektrum künstlicher Intelligenz in der Medizin längst nicht erschöpft.
Sprache gibt Hinweise auf spätere Erkrankung
Paula Andrea Pérez-Toro ist Informatikerin am Lehrstuhl für Mustererkennung der FAU. Hier untersucht sie die Emotionen von Kindern, vor allem aber fahndet sie nach frühen Anzeichen für bisher unheilbare Krankheiten, bei denen in späteren Stadien zunehmend Nervenzellen im Gehirn ausfallen. Das häufigste dieser Leiden ist die Alzheimer-Krankheit, bei der im höheren Alter die geistigen Fähigkeiten der Betroffenen erheblich in Mitleidenschaft gezogen werden. Weltweit an zweiter Stelle steht die Parkinson-Schüttellähmung, bei der – ebenfalls meist im Seniorenalter – starke Bewegungsstörungen auftreten.
In einer abgelegenen Region in Kolumbien aber leiden etliche Menschen schon in der Lebensmitte unter solchen Zerstörungen im Gehirn. Bereits in ihren Dreißigern zeigen sie erste Symptome der Alzheimer-Krankheit, im fünften Jahrzehnt ihres Lebens sind die geistigen Fähigkeiten dieser Menschen deutlich beeinträchtigt. Die Ursache ist eine einzige kleine Veränderung im Erbgut der Betroffenen, die sich vermutlich seit Anfang des 18. Jahrhunderts in einer dünn besiedelten Gebirgsregion des Departamento de Antioquia ausbreitet.
Weil sich eine solche Mutation heutzutage einfach bestimmen lässt, können erste Symptome bei den Betroffenen in sehr frühen Stadien der Krankheit erkannt werden, die bei Menschen ohne diese Mutation in den allermeisten Fällen unentdeckt blieben. Die Universidad de Antioquia (UdeA), die älteste Universität Kolumbiens, ist deshalb ein wichtiges Zentrum der Alzheimer-Forschung.
Im September 2019 kam Paula Andrea Pérez-Toro im Rahmen ihrer Masterarbeit an der UdeA mit einem Forschungsstipendium für ein halbes Jahr an die FAU. Unmittelbar vor ihrer Rückreise nahm die Covid-19-Pandemie Fahrt auf – und Kolumbien schloss die Landesgrenzen. Paula Andrea blieb am Lehrstuhl für Mustererkennung der FAU. Hier sucht sie mithilfe des maschinellen Lernens Veränderungen in der Sprache, die sich noch vor den ersten typischen Alzheimer-Symptomen zeigen. „Die Betroffenen reden nicht nur monotoner, sie machen auch längere Pausen zwischen den Wörtern“, erklärt die junge Informatikerin. „Die KI ist in der Lage, solche abweichenden Muster in Audiosignalen zu erkennen.“ Es sei jedoch noch sehr viel Forschung nötig, bis solche Ergebnisse den Kranken wirklich helfen können, sagt Pérez-Toro. Die Tür für diese Hilfen aber hat sie bereits aufgestoßen – und setzt das maschinelle Lernen längst auch ein, um der Parkinson-Schüttellähmung besser und früher auf die Schliche zu kommen.
„Landkarte“ der Blutgefäße bei Operationen
Der Zufall hat auch in der wissenschaftlichen Karriere von Katharina Breininger eine wichtige Rolle gespielt. Die Informatikerin kam genau zum richtigen Zeitpunkt an den richtigen Ort. Nach ihrem Bachelor in Marburg wechselte sie für den Master an die FAU: „Auch weil mich die medizinische Bildverarbeitung sehr interessiert hat, zu der in Erlangen geforscht wird“, erinnert sie sich. „Als ich dann 2015 mit meiner Promotion begann, schafften die neuronalen Netzwerke in unserem Gebiet gerade so richtig den Durchbruch.“
In ihrer Doktorarbeit verfolgte Breininger das Ziel, mit maschinellem Lernen minimalinvasive Operationen zu unterstützen, bei denen gefährliche Aneurysmen der Aorta behandelt werden. Dabei handelt es sich um Aussackungen der Hauptschlagader, die aufreißen und zu heftigen, lebensgefährlichen Blutungen führen können. Für die notwendigen Eingriffe erhalten die Betroffenen ein jodhaltiges Kontrastmittel, das die Adern auf Röntgenbildern sichtbar macht. Dadurch kann das Operationsteam die Gefäße live beobachten, an denen es gerade arbeitet.
Jodhaltige Kontrastmittel können jedoch Überempfindlichkeitsreaktionen auslösen. Katharina Breininger entwickelte Algorithmen, mit denen sich diese Nebenwirkungen reduzieren lassen. Bereits vor dem Eingriff erzeugte Abbildungen der Blutgefäße werden dabei dynamisch so angepasst, dass sie während der Operation mit den intraoperativen Röntgenbildern überlagert und – ähnlich wie eine Landkarte – zur Orientierung genutzt werden können. „Dadurch gelingt der Eingriff schneller und benötigt weniger Kontrastmittel“, erklärt sie. „Gleichzeitig wird die Belastung mit Röntgenstrahlen reduziert.“
Inzwischen automatisieren Katharina Breininger und ihr Team auch die Auswertung von Mikroskop-Aufnahmen und weiteren Bilddaten mithilfe künstlicher Intelligenz. So wollen sie die Tumorzellen bei Brustkrebs genauer als bisher charakterisieren, um zuverlässiger abzuschätzen, welche Therapie den besten Erfolg verspricht. Mit automatischer Bildverarbeitung will die Gruppe auch die Rolle bestimmter Immunzellen, sogenannter Makrophagen, bei Entzündungserkrankungen wie Rheuma untersuchen, um neue Ansätze für eine Behandlung zu identifizieren und die Entwicklung neuer Medikamente zu ermöglichen. Obendrein will das Team gemeinsam mit anderen Forschungsgruppen verschiedene Bildaufnahme-Verfahren kombinieren, um Brustkrebs, Parkinson oder Nierenleiden besser diagnostizieren zu können.
Autor: Roland Knauer
Profilzentrum Medizintechnik (FAU MT)
Angesichts der demografischen Entwicklung ist die Medizintechnik von höchster gesellschaftlicher Relevanz. Sie kann entscheidend zur Verlängerung der Lebenserwartung, Verbesserung der Lebensqualität und Optimierung der Kostenstrukturen im Gesundheitswesen beitragen. Im Forschungsschwerpunkt Medizintechnik arbeiten nahezu alle Fakultäten der FAU und das Uniklinikum Erlangen eng zusammen. Das Profilzentrum bündelt diese Aktivitäten und koordiniert unter anderem Förder- und Entrepreneurship-Beratung, Netzwerkveranstaltungen und den Aufbau von Studiengängen.
Dieser Artikel ist Teil des FAU Magazins
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