Deutsche Botschafterin in China: FAU-Alumna Dr. Patricia Flor im Interview

Frau sitzt lächelnd in Stuhl und erzählt
Bild: Botschaft Peking

Seit Juli 2022 ist sie deutsche Botschafterin in der Volksrepublik China und leitet die Deutsche Botschaft Peking: Dr. Patricia Flor. Als Diplomatin vertritt die gebürtige Nürnbergerin die deutschen Interessen im Gastland. Ihr Promotionsstudium der osteuropäischen Geschichte, Volkswirtschaftslehre und Philosophie an der FAU schloss sie 1995 ab. Was das Besondere an ihrer Arbeit ist, was sie antreibt und wie ihre Zeit an der FAU sie geprägt hat – das und einiges mehr erzählt Patricia Flor im Alumni-Interview mit dem FAU Alumni-Management.

Frau Dr. Flor, Sie haben 1995 in den Fächern Osteuropäische Geschichte, Philosophie und Volkswirtschaftslehre an der FAU promoviert. Zuvor absolvierten Sie, ebenfalls an der FAU, ein Magisterstudium in den Fächern Geschichte, Philosophie, Slawistik, Mittelalterliche und Osteuropäische Geschichte. Warum haben Sie sich damals für die FAU entschieden?

Schon als Schülerin und Journalistin zogen mich fremde Länder, Kulturen und Sprachen an, aber es gab die große Unbekannte – die Sowjetunion als Gegenspieler der USA im Kalten Krieg, die Macht hinter der deutschen Teilung. Ich wollte mehr erfahren über diesen fremden Staat, dieses andere System. Die FAU mit ihrem Lehrstuhl für osteuropäische Geschichte, damals in der Obhut von Prof. Dr. Ruffmann, ermöglichte mir, für den Magister meinen Studienschwerpunkt auf die Entwicklung der Sowjetunion im 20. Jahrhundert zu legen.

Welche Rolle hat die Zeit an der FAU für Ihren beruflichen Weg gespielt?

Sie war entscheidend, denn sie hat mir die Augen geöffnet für die historischen Wurzeln und Determinanten der Gegenwart, aber auch für die Rolle von Personen in der Gestaltung internationaler Beziehungen. Mein Promotionsstudium bei Prof. Altrichter führte mich mit einem DAAD-Stipendium 1991 nach Moskau. In diesem Jahr wurde große Geschichte geschrieben – Putschversuch, Jelzin als neue russische Führungsfigur, Abdankung Gorbatschows, Zusammenbruch der Sowjetunion. Ich war bei der sowjetischen Akademie der Wissenschaften akkreditiert; plötzlich gab es diese nicht mehr. Ich erlebte diese Zeitenwende persönlich mit. Der Entschluss, dass ich jenseits der Kenntnis von Geschichte gerne am Zeitgeschehen mitwirken möchte, führte mich ins Auswärtige Amt, in den deutschen diplomatischen Dienst.

Seit bald einem halben Jahr sind Sie nun deutsche Botschafterin in China. Ihr Engagement ist bestimmt durch das tagesaktuelle Geschehen auf nationaler und internationaler Ebene. Was genau sind Ihre Aufgaben?

Als Botschafterin vertrete ich deutsche Interessen und Anliegen gegenüber der chinesischen Seite. Das ist nicht immer einfach, zum Beispiel in den Feldern, wo unsere Auffassungen nicht geteilt werden, wie bei Menschenrechten oder dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Meine Aufgabe ist aber auch, nach Wegen der Zusammenarbeit zu suchen im ständigen Kontakt und Dialog mit hiesigen Ministerien und Behörden, aber auch Vertretern von Wirtschaft, Kultur und Zivilgesellschaft.

Was heißt das konkret?

Zum Beispiel: Am Morgen Treffen mit deutschen Wirtschaftsvertretern, um sich über deren Ziele und Sorgen zur Wirtschaftspolitik in China auszutauschen; dann Vortrag zu 50 Jahren deutsch-chinesischer Beziehungen an einer Pekinger Universität; oder ein Bericht an Berlin zur Rede von Staatspräsident Xi Jinping vor dem Nationalen Volkskongress; oder eine von vielen Besprechungen zum Besuch von Ministerin Baerbock; nachmittags vielleicht eine dringliche Demarche im Außenministerium, damit China die Ukraine Resolution in der UNO unterstützt, oder Videoaufnahme für Post/Tweet zur deutschen Klimapolitik; abends Empfang in der Residenz zur Vernissage einer Kunstausstellung. Zwischendurch Maileingang prüfen, Telefonate…

„Die FAU mit ihrem Lehrstuhl für osteuropäische Geschichte, damals in der Obhut von Prof. Dr. Ruffmann, ermöglichte mir, für den Magister meinen Studienschwerpunkt auf die Entwicklung der Sowjetunion im 20. Jahrhundert zu legen.“

Winston Churchill sagte einst: „Diplomatie ist die Kunst, jemanden so zur Hölle zu schicken, dass er sich auf die Reise freut.“ Worin besteht das Geheimnis guter Diplomatie, vor allem, wenn man mit Skepsis oder sogar Misstrauen seitens des Gegenübers konfrontiert wird?

Zuallererst muss eine fähige Diplomatin sich vorm Gespräch, Vortrag oder vor der Reise fragen, was unser Ziel, unsere Interessen und Positionen sind: was will ich für Deutschland erreichen? Ich muss durchdenken, was möglicherweise erreichbar oder als Kompromiss akzeptabel ist. Gibt es rote Linien, die nicht überschritten werden dürfen?

Zweitens muss man die Fähigkeit und Geduld haben, dem Gegenüber zuzuhören, auch wenn das nicht angenehm oder sogar konfrontativ ist und auch, wenn die Sicht des Anderen völlig abweicht. Nur so kann man Gegensätze und divergierende Interessen einordnen, Gemeinsamkeiten ausloten, nur so kann man einen Einstieg in Verhandlungen und Ansatzpunkte für Kooperation, Kompromiss und Ausgleich finden – oder zumindest offene Konfrontation abwenden oder Eskalation stoppen.

Von 2006 bis 2010 waren Sie deutsche Botschafterin in Georgien und von 2018 bis 2022 Botschafterin der EU in Japan. Was hat Sie an diesen beiden Ländern besonders beeindruckt?

In beiden Ländern hat mich die lebendige und gelebte alte Kultur und Geschichte des georgischen und des japanischen Volkes sehr beeindruckt – stark besuchte Klöster im hohen Kaukasus, Tempel und Schreine auf Shikoku. Georgische Gastfreundschaft, georgische Küche und exzellenter Wein sind unvergesslich und ein japanisches Gericht ist ein ästhetischer Genuss fürs Auge und für den Gaumen. Beide Völker mussten Katastrophen überstehen – Krieg, Eroberung, Erdbeben, Tsunami, aber sie haben sich ihre Widerstandskraft und ihre Tradition bewahrt.

Wie entspannen Sie am liebsten nach einem anstrengenden Arbeitstag in Peking?

Klavierspielen und mit meinem Mann über die Merkwürdigkeiten der Zeitläufe diskutieren.

Wenn Sie an Ihre fränkische Heimat denken, welche drei Dinge kommen Ihnen als erstes in den Sinn?

Die fränkische Schweiz, Lebkuchen, Albrecht Dürers Hase.

Welche Bedeutung haben Netzwerke in Ihrem Beruf? Haben Sie beispielsweise noch Kontakt zu ehemaligen Mitstudierenden?

Netzwerke sind in der Diplomatie enorm wichtig, auch aus Studienzeiten, aber insbesondere innerhalb der internationalen Gemeinschaft unter Diplomatenkolleginnen und Diplomatenkollegen aller Länder. Außerdem habe ich meinen Mann an der FAU kennengelernt.

Welche Aspekte der deutschen Kultur finden Menschen in China besonders spannend?

Unser Oktoberfest in Peking im vergangenen Herbst war sehr populär, denn Chinesen trinken gern Bier und die weltbekannte Tsingtao Brauerei wurde von Deutschen gegründet. Auch deutsche Kunst und Design finden viele Liebhaber in China. Die Ausstellung „Crossing Parallels: German Design 1945-1990“, ein vom Auswärtigen Amt gefördertes Gemeinschaftsprojekt des deutschen Vitra Design Museums und des Tsinghua University Art Museums in Peking, war äußerst gut besucht. Alle kennen natürlich einen großen deutschen Philosophen – Karl Marx.

„Der Entschluss, dass ich jenseits der Kenntnis von Geschichte gerne am Zeitgeschehen mitwirken möchte, führte mich ins Auswärtige Amt, in den deutschen diplomatischen Dienst.“

Man hört oft, es sei schwierig eine Karriere im diplomatischen Dienst zu verwirklichen. Was sind die wichtigsten Voraussetzungen?

Freude am Kontakt mit fremden Menschen, Kulturen und Sprachen; die Fähigkeit, sich auch schwierigen Situationen und Herausforderungen in einer ungewohnten Umgebung zu stellen und Krisen zu managen; Offenheit für eine neue Aufgabe irgendwo auf der Welt alle paar Jahre.

Was möchten Sie den Studierenden der FAU, die über eine Karriere im Auswärtigen Dienst nachdenken, mit auf den Weg geben?

Wenn Sie Deutschland vertreten und zur Völkerverständigung beitragen wollen, sich vorstellen können, einen Großteil Ihres Lebens im Ausland zu verbringen (auch unter weniger komfortablen Bedingungen als in Deutschland), weitgefächerte Interessen haben für politische Fragen und Konfliktlösung, Wirtschaftsbeziehungen ebenso wie Kultur, Wissenschaftsaustausch und internationale Organisationen wie die UNO und keinen ruhigen Bürojob suchen, dann sind Sie beim Auswärtigen Amt richtig.

Zu guter Letzt: Verraten Sie uns noch ganz kurz Ihren Lieblingsort an der FAU oder in Erlangen?

Der Dechsendorfer Weiher.

Vielen Dank für das Interview, Frau Dr. Flor!

(Interview: Sebastian Schroth, Juni 2023)

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