Roboter mit Taktgefühl

Eine Dame in pinken Oberteil sitzt auf dem Boden, mit ihrem Lapotp auf dem Schoß und hält diesen mit ihrer Handprothese fest.
Picture: Adobe Stock/shurkin_son

Unser zentrales Nervensystem als Vorbild für Handprothesen

Künstliche Hände sind menschlichen noch weit unterlegen – das gilt selbst für solche Prothesen, deren Design bereits sehr fortschrittlich ist. Was ihnen fehlt und für ihre Geschicklichkeit von zentraler Bedeutung ist, ist die die Fähigkeit zu fühlen und zu ertasten. Darüber hinaus steht es noch aus, bei Roboterhänden den Tastsinn erfolgreich mit einer Handlung – und damit mit der Nutzerin oder dem Nutzer – zu verbinden. Prof. Dr. Beckerle von der FAU hat sich mit internationalen Kolleginnen und Kollegen zusammengeschlossen, um die aktuellsten Erkenntnisse aus diesem Bereich der Robotik zusammen zu fassen – und um eine Agenda für zukünftige Forschungsarbeit zu etablieren.

Im Journal Science Robotics schlagen die Forschenden für eine Roboterhand mit haptischen Fähigkeiten ein Modell vor, welches sensomotorisch kontrollierbar ist. Ziel ist es, eine Schnittstelle zwischen Tastsinn und Bewegung in einer nutzerorientierten künstlichen Hand zu schaffen. Das europäisch-amerikanische Forschungsteam verspricht sich von dieser Herangehensweise Prothesen mit mehr Fingerfertigkeit.

Der Tastsinn muss künftig eine zentrale Rolle spielen

„Berühren und ertasten zu können ist für die Fingerfertigkeit der menschlichen Hand von zentraler Bedeutung,“ erklärt Prof. Beckerle, der an der FAU Inhaber des Lehrstuhls für Autonome Systeme und Mechatronik (ASM) ist. „Personen mit intakten motorischen Fähigkeiten aber tauben Fingerspitzen kann es schwerfallen, Objekte zu greifen und zu benutzen.“ Dieser Umstand zeige, dass der Tastsinn für die Geschicklichkeit unserer Hände notwendig ist, erklärt der Mechatroniker.

„Bioinspiriertes Design geht der Annahme nach, dass Prinzipien der menschlichen Haptik die aktuell limitierte Gewandtheit von künstlichen Händen verbessern können. Dennoch kommen die vielfach verfügbaren Tastsensoren heutzutage in Roboterhänden und Handprothesen kaum zum Einsatz, weshalb es ihnen an Fingerfertigkeit mangelt.“

Im nun veröffentlichten Paper „A hierarchical sensorimotor control framework for human-in-the-loop robotic hands“ präsentiert Beckerle zusammen mit seinen internationalen Kolleginnen und Kollegen, wie hochentwickelte Technologien heute nicht nur mechatronische und rechnergestützte Komponenten für anthropomorphe Gliedmaßen liefern, sondern zudem auch solche mit Fokus auf Tastempfindung.

Die Forschenden schlagen deshalb vor, diese neuen Verfahren in das Konzept „elektronische Haut“ zu integrieren. Das schließt auch Tastelemente ein, die in dichtgelagerter Anordnung normalen Druck wahrnehmen können – im Gegensatz zu Fingerspitzen, die ein umfangreicheres Druckempfinden haben,“ heißt es im Paper. „Das ermöglicht eine gebündelte Verteilung von Druck über die gesamte fühlende Oberfläche sowie komplexe drei-dimensionale Strukturen, die sowohl die mechanischen Eigenschaften als auch das multimodale Spüren von Fingerspitzen nachstellen.“ Durch Tastsysteme, die an mechatronischen Gliedmaßen angebracht sind, könnten Robotersysteme so ausgestattet werden, dass sie beispielsweise Objekte erkennen und handhaben können.

Prinzipien des menschlichen Nervensystems als zukünftige Designinspiration

Des Weiteren schlagen die Forschenden vor, das hierarchisch strukturierte zentrale Nervensystem (ZNS) des Menschen als Inspiration für zukünftige Maschinen zu nutzen. Dieses kontrolliert, welche Signale des Tastsinns an das Gehirn weitergegeben werden und welche es zurück zum Körper schickt. Auf Basis dessen empfehlen Beckerle und seine Kolleginnen und Kollegen ein System, bei dem ein biosinspirierter, tastfähiger Roboter sich die Kontrolle mit seinem Menschen teilt – natürlich nur in dem von Anwenderin bzw. Anwender gesetzten Maße.

Eine voll funktionsfähige Verbindung zwischen Mensch und tastfähiger Roboterhand herzustellen, ist jedoch nach wie vor eine Herausforderung. „Wenn wir Handprothesen engmaschig mit Sensoren für das Erfühlen ausstatten, verbessert dies zwar ihre Fingerfertigkeit – doch bleibt die Antwort auf die Frage offen, wie wir diese Signale bestmöglich an Userin oder User weiterleiten. Wie können geteilte Wahrnehmungen und Handlungen in Mensch-Maschine-Systemen navigiert werden?“, schreiben die Autorinnen und Autoren. „Besonders herausfordernd ist außerdem die Frage, wie die verschiedenen und umfangreichen Daten genutzt werden sollen, die die Handprothesen generieren. Doch hier liefern Prinzipien des menschlichen Körpers Anregungen für die Entwicklung künftiger mechatronischer Systeme, welche Seite an Seite mit Menschen und wie diese funktionieren können.“

Philipp Beckerles Lehrstuhl ist sowohl Teil des Departments Elektronik-Elektronik-Informationstechnik als auch Teil des Departments Artificial Intelligence in Biomedical Engineering. „Unsere Mission hier am ASM ist es, bei der Erforschung von anwenderorientierter Mechatronik und Robotik Lösungen zu finden, die die gewünschte Leistung mit möglichst intuitiven Interaktionsmöglichkeiten vereint“, erklärt Beckerle. „Unser Fokus liegt auf tragbaren Systemen wie Prothesen und Außenskeletten, auf kognitiven Systemen wie kollaborativen oder humanoiden Robotern und generell auf Handlungen, die eine enge Mensch-Maschine-Interaktion erfordern. Die menschliche Erfahrung ist für all diese Szenarien ausschlaggebend: So können wir die Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer erfüllen und eine synergetische Verbindung zwischen Mensch und Maschine erzielen.“

Neben Prof. Beckerle waren Forschende von den Universitäten in Genua, Pisa, Rom, Aalborg, Bangor und Pittsburgh sowie vom Imperial College London und der University of Southern California, Los Angeles am Paper beteiligt.

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Prof. Dr. Philipp Beckerle
Telefon: 09131/85-23141
philipp.beckerle@fau.de

Die Professur wird im Rahmen der Hightech Agenda Bayern gefördert. Mit diesem Programm schafft die Bayerische Staatsregierung unter anderem 1.000 neue Professuren in zentralen Zukunftsbereichen wie Künstliche Intelligenz, Clean Tech und Luft- und Raumfahrt, stärkt so die Spitzenstellung Bayerns in Forschung und Lehre und fördert die Entwicklung neuer Ideen und neuester Technologien sowie deren Umsetzung in die Praxis.