Diversität in schwedischer Kinder- und Jugendliteratur
FAU-Wissenschaftlerin Karina Brehm im Gespräch
Schwedische Kinderbücher sind echte Klassiker und wecken in vielen von uns ein Gefühl von Nostalgie. Aber schon mal darüber nachgedacht, wie Pippi Langstrumpf, das stärkste Mädchen der Welt, alle Gender-Stereotypen auf den Kopf stellt? Und das ist kein Einzelfall in der schwedischen Kinder- und Jugendliteratur, denn die gilt als besonders fortschrittlich und ist somit auch Forschungsgegenstand der Skandinavistik.
Hier stehen ganz selbstverständlich Kinder mit alleinerziehende Vätern, mit Behinderungen oder genderneutrale Personen als Hauptfiguren im Mittelpunkt. An der FAU beschäftigt sich Karina Brehm, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Komparatistik (Vergleichende Literaturwissenschaft) mit dem Schwerpunkt nordeuropäische Literaturen/Skandinavistik, unter anderem mit dem Thema Inklusion, Gleichstellung und Diversität in der aktuellen schwedischen Kinder- und Jugendliteratur.
Woran liegt es, dass sich schwedische Kinder- und Jugendliteratur häufig mit Diversität beschäftigt?
Karina Brehm: Der aktuelle Lehrplan in Schweden legt fest, dass ein kulturelles Angebot unabhängig von Herkunft, Funktionalität, Sexualität, Klassenzugehörigkeit, Hautfarbe, Geschlecht und Erfahrung schon in der Vorschule angeboten werden soll. Es ist wichtig, sich in Geschichten und Illustrationen wiederfinden zu können und gleichzeitig die Vielfalt an Lebensrealitäten kennen zu lernen um vorgefassten Meinungen und stereotypen Rollenbildern in der Gesellschaft entgegenzuwirken.
Die schwedische Märchentradition ist vom pädagogischen Reformkonzept zu Beginn des 20. Jahrhunderts geprägt. Astrid Lindgren, die auch in Deutschland sehr beliebt ist, hat eine feste Verankerung in der schwedischen Märchentradition. In ihren Märchen ist der Fokus auf dem Kind genauso präsent wie in den älteren schwedischen Märchen, wie zum Beispiel Selma Lagerlöfs Schulbuch „Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen“.
In der modernen schwedischen Kinderliteratur begegnen uns Kinder aus den verschiedensten Familienkonstellationen und kulturellen Hintergründen. Die Literatur erweitert den Horizont und bietet den Kinder die Möglichkeit sich so zu toleranten Mitmenschen entwickeln zu können. Als aktuelles Beispiel kann erwähnt werden, dass in Schweden Märchenstunden für Kinder mit Drag Queens staatlich gefördert werden um Vielfalt zu fördern.
Und kommt das in der Bevölkerung durchweg positiv an?
Karina Brehm: Naja, soviel Gleichheit ist einigen dann doch zu viel. Das geschlechtsneutrale Wort hen und die Märchenstunden mit Drag Queens sind auch in Schweden nicht unumstritten. Genauso wie früher das freche Mädchen Pippi Langstrumpf für Empörung sorgte.
Wo liegen die Schwerpunkte deutscher Kinder- und Jugendliteratur? Ist hier Diversität ein Thema?
Karina Brehm: Auch in der deutschen Kinder- und Jugendliteratur ist Diversität ein Thema. Trotz der Vielfalt im Alltag der Kinder im 21. Jahrhundert findet sich oftmals der aktuellen Kinder- und Jugendliteratur, wenn es um die Darstellung von Familie geht, zumeist ein gesellschaftliches Idealbild. Die aktuelle Kinderliteratur, sowohl in Deutschland als auch in Schweden, ist im Punkto Diversität auf einem guten Weg, spiegelt unsere vielfältigen Gesellschaften trotzdem nicht wider. Hier kann mehr gemacht werden.
Veranstaltungen zum Thema Diversität in schwedischer Kinder- und Jugendliteratur
Montag, 19. Juni 2023, 18.30 Uhr
Inklusion und Diversität in schwedischer Kinderliteratur – Vortrag von Karina Brehm und Studierenden der Skandinavistik an der FAU
Stadtbibliothek Erlangen – Bürgersaal (Marktplatz 1, 91054 Erlangen)
Eintritt frei
Montag, 26. Juni 2023, 18 Uhr
Gleichstellung und Geschlechterrollen in der schwedischen Kinder- und Jugendliteratur – Vortrag von Karina Brehm
Kleiner Hörsaal, Bismarckstraße 1a, Erlangen
Weitere Informationen und Zoom-Link für Online-Teilnahme