FAU-Wissenschaftler einig: Kein Rütteln am Strafmündigkeitsalter

Prof. Mark Stemmler, Ph.D., Leiter des Lehrstuhls für Psychologische Diagnostik, Methodenlehre und Rechtspsychologie der FAU.
Prof. Mark Stemmler, Ph.D., Leiter des Lehrstuhls für Psychologische Diagnostik, Methodenlehre und Rechtspsychologie der FAU.

Zahlen in der Jugendkriminalität stabil niedrig

Wenn Kinder töten oder andere schwer verletzen, kocht die Diskussion um die Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters – wie jüngst im Fall der zwölfjährigen Luise – in den Medien immer wieder hoch. Dabei sind diese Fälle extrem selten. Bei einer Podiumsdiskussion im Rahmen des Rechtspsychologischen Kolloquiums befassten sich Wissenschaftler der FAU sowie Praktiker aus der Region mit dem Thema. Die einhellige Meinung lautet: Das Strafmündigkeitsalter von 14 Jahren ist sinnvoll und reicht aus. Über die Gründe sprachen wir mit Prof. Mark Stemmler, Inhaber des Lehrstuhls Psychologische Diagnostik, Methodenlehre und Rechtspsychologie an der FAU.

Es gibt Länder, wie die Schweiz oder das Vereinigte Königreich, in denen die strafrechtliche Verantwortlichkeit ab dem 10. Lebensjahr gegeben ist.  Warum liegt die Altersgrenze in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern bei 14 Jahren?

Mark Stemmler: Die Altersgrenzen variieren weltweit und sind traditionell bedingt. Das Alter von 14 Jahren hat sich für die Strafmündigkeit als plausibel und sinnvoll erwiesen. Aus entwicklungspsychologischer Sicht ist das moralische Denken, die Gehirnentwicklung und die Fähigkeit, bestimmte Entwicklungsaufgaben zu bewältigen, bei Kindern unter 14 Jahren noch nicht so ausgeprägt, als dass man sie jugendstrafrechtlich zur Verantwortung ziehen sollte.

Die Unter-14-Jährigen begehen zudem größtenteils Bagatelldelikte wie kleinere Diebstähle oder Sachbeschädigungen, die auch ohne die Härte des Strafrechts geahndet werden können. Gewaltdelikte sind noch immer die Ausnahme in dieser Altersgruppe.

Was geschieht mit Straftäter*innen unter 14 Jahren?

Stemmler: Es existiert eine Fülle von Jugendhilfemaßnahmen, meistens angeordnet durch die Jugendämter und Familiengerichte, mit denen man der Kinderkriminalität erzieherisch beikommen kann – von Weisungen bis hin zu Unterbringungen in Pflegefamilien oder im Heim, in schweren Fällen der Gewaltkriminalität auch in geschlossenen Jugendhilfeeinrichtungen. Besteht eine schwere psychische Störung, kann auch eine Unterbringung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie erfolgen. Übrigens landen auch in der Schweiz kindliche Straftäter nicht gleich im Jugendstrafvollzug, sondern sie erfahren wie hierzulande erst einmal erzieherische Maßnahmen.

Warum werden Kinder und Jugendliche überhaupt straffällig?

Stemmler: Viele Faktoren können dazu beitragen. Dass die Mehrheit aller Kinder und Jugendlichen irgendwann einmal kleine Delikte begeht, ist jugendtypisch. Allerdings haben schwerere Straftaten und Gewaltdelikte ihre Ursachen oft in Gewalterfahrungen in der Familie; auch ein schwieriges soziales Umfeld, straffällige Peers, Impulsivität und Empathiemangel tragen zur Jugendkriminalität bei. Das haben Studien immer wieder ergeben. Festzustellen ist jedoch, dass die Zahlen der Jugendkriminalität über viele Jahre hinweg stabil niedrig waren. Seit der Corona-Pandemie sind die Zahlen angestiegen, was womöglich mit einem gewissen Nachholbedarf und unterdrückten Aggressionen zu erklären ist.

Weitere Informationen:

Prof. Mark Stemmler, Ph.D.
Lehrstuhl für Psychologische Diagnostik, Methodenlehre und Rechtspsychologie
mark.stemmler@fau.de