Der Informatiker und die Prinzessin
Warum ein FAU-Student ein schwedisches Kinderbuch übersetzt
Eigentlich sind „Verteilte Systeme“ sein Ding: Computerumgebungen, in denen einzelne Komponenten ein Netzwerk bilden, um Aufgaben effizienter zu bewältigen als ein einzelnes Gerät. Eigentlich. Dass er einmal ein Kinderbuch aus dem Schwedischen ins Deutsche übersetzen würde, das hat sich Stefan Eschenbacher wohl nicht träumen lassen. Der Kulmbacher studiert im zweiten Mastersemester Informatik an der FAU und belegt nebenbei Schwedisch-Sprachkurse an der Uni. Doch als Skandinavistik-Dozentin Karina Brehm zum Wintersemester 2022/23 ein Seminar anbot, in dem die Teilnehmenden schwedische Kinderbücher übersetzen sollten, die sich speziell dem Thema Inklusion widmen, ließ er sich von der Idee begeistern – und entschied sich für das Buch „Prinsessan Victoria“ von Kristina Murray Brodin.
Das Buch handelt von einer obdachlosen Frau und einem Kind, das mit ihr Freundschaft schließt. Die Erzählung hat Stefan Eschenbacher berührt: „Als die Frau dem Kind erzählt, sie heiße Victoria, fragt das Kind nach: ‚Wie Prinzessin Victoria?‘“ Doch unterschiedlicher könnten die Lebensumstände der Protagonistin und der schwedischen Kronprinzessin wohl kaum sein: Das Buch beginnt im Herbst, es wird immer kälter, das Kind – das mit seinem Vater in einem Mehrfamilienhaus lebt – bringt Victoria nach und nach Mütze und andere Kleidungsstücke. Als es schneit, fragt es Victoria, ob sie kein Zuhause habe. Victoria erklärt dem Kind, wenn sie nur in dem großen Mehrfamilienhaus im Dachboden schlafen könne, würde sie sich wirklich fühlen wie eine Prinzessin. Daraufhin legt das Kind immer einen Stein unter die Haustür, um sie für Victoria einen Spalt offen zu halten.
Warum er sich genau dieses Buch ausgesucht hat? „Natürlich fand ich die Handlung sehr schön. Aber das Thema Inklusion interessiert mich generell – und ich fand es spannend, wie das Buch mit Vorurteilen, Klischees, aber auch einfach Erwartungen bricht“ erklärt der Informatikstudent. „Das lässt sich sehr schön an den handelnden Figuren zeigen: Wir erfahren nie, ob das Kind Mädchen oder Junge ist. Victoria nennt es immer nur „Du lilla“ – also, auf Deutsch ‚Du Kleines.‘ Das Kind ist schwarz. Und es lebt ganz offenbar mit einem alleinerziehenden Vater. Aber all das ist eigentlich für die Geschichte völlig unwichtig,“ sagt Stefan. Ihn fasziniert, wie Titel und Inhalt in einem Spannungsverhältnis stehen. Und er mag die Illustrationen.
Stück für Stück hat er die 31 Seiten liebevoll übersetzt, so wie die anderen fünf Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Karina Brehms Kurs die von ihnen gewählten Bücher. Nun überlegen sie gemeinsam im Seminar, die Manuskripte deutschen Verlagen anzubieten. „Sicher bedient das Buch keinen Massenmarkt – aber der Verlag, in dem es in Schweden erschienen ist, hat sich ja ebenfalls auf Kinderbücher spezialisiert, die den Diversitätsgedanken aufnehmen“ meint Stefan. Ähnliche Verlage gebe es auch in Deutschland. Dozentin Karina Brehm jedenfalls hat den Markt schon ausgelotet – und wird mit den Manuskripten ihrer Studierenden auf passende Verlage zugehen. Außerdem werden die Studierenden am 19. Juni „ihre“ Bücher bei einem Vortrag im Rahmen des Projekts „Viele Sprachen, ein Erlangen“ der Stadt Erlangen vorstellen.
Ein von ihm übersetztes Buch, das in Deutschland verlegt wird, das wäre für Stefan natürlich ein Highlight. Aber auch so hat ihm der Kurs viel gebracht, fachlich, aber auch persönlich: „Wann beschäftigt man sich als Informatiker schon einmal mit der Kinderliteratur eines anderen Landes? Und gerade der Diversitätsaspekt ist mir auch selbst sehr wichtig“, sagt er. Darüber hinaus sei es auch spannend, selbst ein Buch zu übersetzen.
Worauf er sich aber besonders freut, ist, das Buch seiner kleinen Nichte vorzulesen, die bald zwei Jahre alt wird. „Wir schauen uns immer gemeinsam ihre Bilderbücher an und ich finde es interessant, was es da so für Bücher gibt“, sagt Stefan. „Nun wird sie auch Prinsessan Victoria kennenlernen.“