Uniklinikum Erlangen versorgt kontinuierlich ukrainische Kriegsopfer
Therapie von Kriegsverletzungen erfordert Erfahrung und interdisziplinäre Zusammenarbeit
Seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine im Februar 2022 sind 96 ukrainische Patientinnen und Patienten nach Bayern transportiert worden. Von den Flughäfen in Nürnberg und Memmingen aus wurden sie in verschiedene Kliniken des Freistaats gebracht – 13 von ihnen ins Uniklinikum Erlangen.
Hier wurden bislang 11 ukrainische Soldaten und 2 Tumorpatienten behandelt, unter anderem in der Unfallchirurgischen und Orthopädischen Klinik, der Hals-Nasen-Ohren-Klinik – Kopf- und Halschirurgie und der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgischen Klinik. Zudem haben private Initiativen weitere Patientinnen und Patienten, darunter auch Kinder, ans Uniklinikum Erlangen vermittelt. Weil Kriegsverletzungen oft multipel und die Therapien anspruchsvoll und komplex sind, bedarf es einer engen interdisziplinären Zusammenarbeit.
So befindet sich aktuell ein ukrainischer Patient in der Erlanger MKG-Chirurgie, der durch Artilleriegranaten offene Schädel- und Gesichtsverletzungen erlitt und von einem Team um Klinikdirektor Prof. Kesting eine chirurgische Rekonstruktion des Gesichts und des Gaumens erhielt. Die Ärztinnen und Ärzte der Unfallchirurgie-Orthopädie des Uniklinikums Erlangen kümmern sich indessen unter anderem um die Versorgung verstümmelter Gliedmaßen, um Gelenkersatz und Prothesen.
Vom Studenten zum Soldaten
Einer dieser unfallchirurgischen Patienten ist ein 24-jähriger ukrainischer Student, der zum Kriegsdienst verpflichtet wurde. Im August 2022 geriet er nahe Donezk unter Panzerbeschuss, während er mit anderen Soldaten zu Fuß unterwegs war und gerade versuchte, eine Deckung zu errichten. Ein Schrapnell verletzte seinen rechten Oberarm massiv, das Schulterblatt brach und er erlitt multiple offene Wunden, ebenso Verletzungen der linken Hand und Flanke sowie des linken Knies. Der zertrümmerte Arm wurde in einer Klinik vor Ort mit einem Fixateur erstversorgt. Ende Oktober 2022 wurde der junge Mann schließlich nach Erlangen gebracht. „Die Frage, ob ich in diesen Krieg ziehen will, stellte sich mir nicht. Ich habe einfach die Aufforderung dazu bekommen und musste kämpfen“, berichtet der junge Ukrainer, dessen Eltern noch immer in ihrer Heimat leben.
Prof. Dr. Hans-Georg Palm, leitender Oberarzt der Unfallchirurgie-Orthopädie, erklärt: „Bei Menschen aus Kriegsgebieten sind meist Schuss- und Explosionsverletzungen zu versorgen, die oft mit großen Defekten beziehungsweise Verstümmelungen einhergehen. Wir sprechen von sogenannten penetrierenden Verletzungen, wenn zum Beispiel Metallsplitter in den Körper eindringen.“ Das Uniklinikum Erlangen ist als überregionales Traumazentrum auf die Maximalversorgung Schwerstverletzter spezialisiert. Je nach Ausmaß und Art der Verletzungen werden die Betroffenen im Rahmen des TraumaNetzwerks Mittelfranken den verschiedenen kooperierenden Kliniken zugewiesen.
„Oft gibt es viele Lokalisationen am ganzen Körper“, so Prof. Palm weiter, der früher selbst als Einsatzchirurg bei der Bundeswehr tätig war. „Zudem können Wundverunreinigungen und sich ausbreitende Keime ein großes Problem darstellen, das wir bei uns im Haus unter anderem dank der Zusammenarbeit mit Mikrobiologie und Klinischer Pharmazie in den Griff bekommen können.“
Bei dem 24-jährigen Studenten entnahm das Team der Erlanger Unfallchirurgie-Orthopädie zunächst Proben aus dem Arm, um sicherzustellen, dass sich dort aktuell keine Keime ausbreiten. Im nächsten Schritt erhält er nun ein künstliches Ellenbogengelenk – eine Spezialprothese, wie sie auch bei Tumorpatientinnen und -patienten verwendet wird. „Ich wünsche mir, dass ich meinen Arm bald wieder beugen kann, denn momentan geht das überhaupt nicht“, so der junge Mann.
Prof. Dr. Mario Perl, Direktor der Unfallchirurgie-Orthopädie, unterstreicht, dass eine optimale Versorgung von Kriegsopfern in Erlangen nur interdisziplinär und im engen Austausch mit Oberarzt Dr. Albert Schiele von der Anästhesiologischen Klinik des Uniklinikums Erlangen möglich sei. Dr. Schiele ist Kleeblattkoordinator für Bayern – für das Kleeblatt Süd. Er lenkt seit 2020 im Freistaat nicht nur die Patientenströme im Zuge der Coronapandemie, sondern seit dem Frühjahr 2022 auch die ankommenden ukrainischen Kriegsverletzten.
Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek und der ukrainische Konsul Oleksandr Prokopenko hatten am 24. November 2022 ukrainische Soldaten am Uniklinikum Erlangen besucht und sich dabei auch über die Arbeit des Kleeblatts informiert. Der Minister betonte: „Mein besonderer Dank gilt den Koordinatoren für das Kleeblatt Süd, Herrn Dr. Albert Schiele und Herrn Marc Gistrichovsky, für ihren unermüdlichen Einsatz. Sie finden unter Einbindung aller Akteure, insbesondere der Ärztlichen Bezirkskoordinatoren, immer die passende Behandlung am passenden Ort. Das ist medizinisch wie organisatorisch eine Mammutaufgabe!“
Das Kleeblattprinzip
Sollen Menschen aus den ukrainischen Kriegsgebieten in deutsche Krankenhäuser gebracht werden, koordiniert das zunächst das Gemeinsame Melde- und Lagezentrum von Bund und Ländern (GMLZ). Die konkrete Verteilung der Behandlungsbedürftigen innerhalb Deutschlands regelt dann das Kleeblattprinzip, das im Frühjahr 2020 im Rahmen der Coronapandemie etabliert wurde. Es soll eine regionale Überlastung von Intensivstationen verhindern und so für alle Patientinnen und Patienten eine bestmögliche Behandlung gewährleisten. Ein bis fünf deutsche Bundesländer haben sich jeweils zu einem Kleeblatt zusammengeschlossen.
Entsprechend gibt es die Kleeblätter Nord, Ost, West und Südwest. Bayern bildet allein das Kleeblatt Süd. Das GMLZ ist das sechste Kleeblatt. Der Mechanismus greift seit März 2022 auch für Hilfeleistungsersuchen aus der Ukraine – sowohl für Zivilistinnen und Zivilisten als auch für ukrainische Soldatinnen und Soldaten.
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