Kunstgeschichte im 3D-Format erlebbar
FAU-Studierende rekonstruieren Erlanger Filialgemäldegalerie digital
Das Institut für Kunstgeschichte der FAU hat im Projekt „Orangerie digital“ die Erlanger Filialgemäldegalerie (1906-1934) digital erfasst und die Ausstellung in einem 360° Rundgang rekonstruiert – mithilfe ihrer Studierenden. Für diese war das Projekt ein guter Einblick in Forschung und Berufsleben.
Unter einem täuschend echt erscheinenden „Stillleben“ des Pieter Horemans, einer pyramidalen Komposition aus Nahrungsmitteln, Küchenutensilien und einem gerupften Rebhuhn, hängt Aert van der Neers stilvolles Nachtstück „Mondlandschaft“ und David Ryckaerts Werk „Spielende Gassenjungen“ – die 1906 gewählte Anordnung der Gemälde in der Orangerie folgte der damals üblichen symmetrischen Galeriehängung, durch die ganze Bilderwände arrangiert wurden. Im Wassersaal waren von 1906 bis 1934 Werke der niederländischen Malerei, der Spätrenaissance und des Barocks ausgestellt, in den Seitenräumen italienische und deutsche Kunst. Die Ausstellung in der Filialgemäldegalerie, die primär Lehrzwecken diente, aber auch fürs Stadtpublikum als „Kleine Pinakothek“ geöffnet war, umfasste Werke aus dem Besitz der Königlich Bayerischen Gemäldesammlung, darunter auch historische Kopien nach berühmten Werken, wie etwa Leonardos Mona Lisa. Der komplette Objektbestand wurde von Studierenden des Instituts für Kunstgeschichte in einem Online-Katalog zusammengefasst.
Die Idee, die Ausstellung in der Orangerie digital zu rekonstruieren, ist bereits Anfang der 2000er Jahre entstanden, erzählt Prof. Dr. Heidrun Stein-Kecks, Projektleiterin am Institut für Kunstgeschichte. Im Laufe der Zeit wurde die Projektidee in Seminaren und Abschlussarbeiten immer wieder aufgegriffen, präzisiert und 2019 in der „Langen Nacht der Wissenschaften“ vorgestellt. Woraufhin die IT-Firma „ercas.solutions“, die das Projekt sehr spannend fand, auf die Studierenden zukam – von da an wurde gemeinsame Sache gemacht.
Zum digitalen 360° RundgangDigitale Kompetenzen für digitale Kunst
Im Rahmen eines Seminars haben die Studierenden die Realisierung der 3D-Rekonstruktion begleitet und der IT-Firma Informationen und Abbildungen zur Verfügung gestellt. „Das Seminar hatte Workshop-Charakter“, erzählt Studentin Madlen Gulitsch, die an der Umsetzung von „Orangerie digital“ beteiligt war. Sie und ihre Kommiliton/-innen haben für die einzelnen Gemälde im virtuellen Rundgang und die Gemäldesammlung im Online-Katalog Informationstexte verfasst und dabei gelernt, die Menge an Informationen, die es zu den Werken gibt, kurz und prägnant zusammen zu fassen. Bei 169 Gemälden war es gar nicht so leicht, den Überblick zu behalten! Im Peer-Review Verfahren wurden die Texte gegengelesen. Während der Erstellung der Gemäldebeschreibungen haben die Studierenden mit der von der FAU mitentwickelten Software „WissKI“ (siehe Kasten) gearbeitet. Madlen erzählt, dass im Zuge dessen die Grundlagen der Informatik vertieft wurden: „Wir haben gelernt wie eine Datenbank funktioniert und was Userinnen und User für die Benutzung brauchen, was relevant und was redundant ist.“
„In der Lehre vermitteln wir digitale Kompetenzen, weil diese für die kunsthistorische Forschung und die berufliche Praxis unerlässlich sind – und schließlich auch weil es digital produzierte Kunst gibt“, erklärt Heidrun Stein-Kecks. Daher gelte es im Interesse der zeitgenössischen Kunst auch zu vermitteln, wie Kunst im virtuellen Raum gemacht wird.
Die Erarbeitung eines virtuellen Museums im Rahmen eines Uniseminars bereitet also optimal aufs Berufsleben vor. Denn in den meisten Museen ist digitale Rekonstruktion inzwischen Standard. Wissen über Kunst- und Kulturobjekte werde so vermittelt, ohne die Kulturgüter zu belasten. „Eine tolle Chance“, findet Madlen Gulitsch. In der „Orangerie digital“ kann die jahrhundertalte europäische Kunst auf jeden Fall wieder hautnah erlebt werden. In Zukunft soll der virtuelle Rundgang mit Hilfe von Augmented Reality (AR) sogar noch erweitert werden. Die Gemälde könnten dann durch eine „AR-Brille“ besichtigt werden – Institut und Studierende arbeiten bereits an der Umsetzung.
Digitales Netz für Kulturgüter
Das Kürzel „WissKi“ steht für Wissenschaftliche Kommunikations-Infrastruktur und bezeichnet eine virtuelle Forschungsumgebung, die vernetztes und kollaboratives wissenschaftliches Arbeiten ermöglicht. Entwickelt wurde WissKI von der Digital Humanities Group des Departments für Informatik der FAU in Kooperation mit dem Germanischen Nationalmuseum (GNM) und dem Zoologischen Forschungsmuseum Koenig (ZFMK). „Durch das Abbilden spezifischer und komplexer Zusammenhänge mithilfe von Semantic-Web-Technologien ist die Open-Source-Software besonders attraktiv für geisteswissenschaftliche Projekte und wird in der Kunstgeschichte daher gerne auch für studentische Abschlussarbeiten und für Dissertationen benutzt“, sagt Heidrun Stein-Kecks. Unerlässliche Unterstützung bietet dabei die FAU Competence Unit for Research Data and Information CDI, die auch das Hosting und die Wartung der an der Uni entstandenen WissKI-Instanzen – darunter Orangerie digital – übernimmt.
Wie WissKi entstanden ist und was genau darunter zu verstehen ist, lesen Sie in dieser Meldung zum Start von WissKI.
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Heidrun Stein-Kecks
Senior Professor of History of Arts
Institut für Kunstgeschichte
heidrun.stein-kecks@fau.de