Die Philosophie der künstlichen Intelligenz

Porträt eines Mannes im Labor mit Roboter im Hintergrund
Prof. Dr. Vincent C. Müller, Inhaber des Lehrstuhls für Theory and Ethics of Artificial Intelligence. (Bild: Humboldt-Stiftung/Elbmotion)

Prof. Dr. Vincent C. Müller ist seit Juni 2022 als Humboldt-Professor an der FAU. Der Philosoph forscht an den Schnittstellen von Philosophie und künstlicher Intelligenz.

Noch vor zehn Jahren unterschied sich die die öffentliche Wahrnehmung von künstlicher Intelligenz (KI) drastisch von der heutigen. Zurückführen lässt sich das auf technische, aber auch kulturelle Entwicklungen. Heute kann KI, was sie lange nicht konnte, zum Beispiel Menschen im Schach schlagen und Programme und Systeme produzieren, die sichtbar Probleme lösen. Theoretische Fragen zur KI – was Intelligenz überhaupt ist, was menschliche Intelligenz ausmacht und worin sie sich von der künstlichen unterscheidet – gibt es schon seit den 1950er-Jahren, aber sie wurden lange weitgehend ignoriert. Das änderte sich in den letzten zwei Jahrzehnten zunehmend: „Das Feld der KI hat insgesamt einen enormen Aufschwung genommen – und so auch die theoretische Beschäftigung damit“, sagt Prof. Dr. Vincent C. Müller.

Gute Aufstellung zur richtigen Zeit

Soll in Deutschland helfen, eine Leitvision für eine „humane KI“, also eine Intelligenz, die menschlichen Zwecken dient, zu entwickeln: Prof. Dr. Vincent C. Müller, Inhaber des Lehrstuhls für Theory and Ethics of Artificial Intelligence. (Bild: Humboldt-Stiftung/Elbmotion)

Neu in Erlangen, will Müller nun theoretische und ethische Fragen zur KI erforschen. Bevor er an die FAU kam, war er an der Eindhoven University of Technology in den Niederlanden beschäftigt. „Die FAU suchte jemanden, der sich mit diesen Fragen auseinandersetzt“, erinnert sich Müller. „Dann haben sie bei mir angerufen.“ Dass die Universität – sowohl die Universitätsleitung als auch die Fakultäten – die Initiative ergriff und die Forschung auf dem Gebiet aktiv unterstützt, freut ihn. „Die Bedingungen sind gut, und der Zeitpunkt ist richtig,“ sagt er. „Ich sehe an der FAU viele Chancen“, sagt Müller. „Eine Volluniversität bringt viele Vorteile. Forschende aus jedem Fachbereich sind Kolleginnen und Kollegen. Das erleichtert die interdisziplinäre Forschung enorm.“
Die Zusammenarbeit mit verschiedenen Disziplinen ist Müller extrem wichtig. „Ich muss die Probleme, die es zum Beispiel in der Informatik gibt, dort abholen. Ich arbeite nicht unabhängig von anderen im stillen Kämmerchen.“ Als Humboldt-Professor möchte er eine Brücke zwischen technischer und geisteswissenschaftlicher Forschung schlagen.

Von neu zu etabliert

Sein Hauptprogramm an der FAU ist es, einen jungen Forschungsbereich, der teilweise noch in den Kinderschuhen steckt, an der FAU und in Erlangen, aber auch in ganz Deutschland, zu strukturieren und zum Durchbruch zu verhelfen. „Das Thema Ethik der KI war bis vor ein paar Jahren in Deutschland praktisch nicht existent“, erklärt Müller. „Deshalb sehen wir jetzt, dass viele Expertinnen und Experten aus dem Ausland kommen, um hier an dem Thema zu forschen.“ In Deutschland soll Müller helfen, eine Leitvision für eine „humane KI“, also eine Intelligenz zu entwickeln, die menschlichen Zwecken wirklich dient.

Große Vorhaben

Können Maschinen denken? Dieser Frage geht  Prof. Dr. Vincent C. Müller nach. (Bild: Humboldt- Stiftung/Elbmotion)

Seine Alexander-von-Humboldt-Professur ist mit Forschungsgeldern in Höhe von 3,5 Millionen Euro verbunden. Diese will Müller nutzen, um bereits begonnene Projekte zu beenden: ein Handbuch zum Thema Philosophie der KI sowie ein Buch, das der Frage nachgeht, ob Maschinen denken können. Aber auch noch größere Unternehmungen stehen auf dem Plan: Müller wird ein Forschungszentrum aufbauen, das angewandte Ethik und angewandte Philosophie mit KI verbindet. Das Zentrum soll im akademischen, aber auch in politischen und gesellschaftlichen Bereichen Wirkung erzeugen. Auch steht der Aufbau eines neuen Instituts auf dem Programm: Ein neues, internationales und interdisziplinäres „Centre for Philosophy and AI Research (PAIR)“ soll zum Knotenpunkt der KI-Philosophie an der FAU werden.

Über Fächergrenzen hinaus

„Es sind keine Informatikfragen, mit denen ich mich beschäftige; es sind theoretische Fragen über die Informatik“, sagt Müller. Diese Fragen betreffen unter anderem das Selbstbild des Menschen: Was sind die Auswirkungen von KI darauf? Sollte Maschinen deshalb Verantwortung und Rechte zugesprochen werden? Die Diskussion, die es dazu schon gab, hofft Müller zu schärfen. Aus seiner philosophischen Kenntnis heraus will er so Antworten auf Fragen finden, die außerhalb der Philosophie auftauchen. Dafür ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit für Müller unverzichtbar: Zum Beispiel trifft er sich monatlich mit den acht anderen, in völlig anderen Fächern forschenden Humboldt-Professorinnen und -professoren der FAU, um sich auszutauschen. „Spitzenforschung funktioniert nur, wenn man mit Menschen zusammenarbeitet, die etwas wissen, dass man selbst nicht weiß.“ An einer Universität wie der FAU ist das schon längst Praxis – und soll in Zukunft noch weiter verstärkt werden.

Die Humboldt-Professor/-innen der FAU

von Deborah Pirchner


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Alexander 119

In der aktuellen Ausgabe finden Sie Beiträge zu folgenden Themen: Wie Wissenschaft und Diplomatie zusammenspielen können, welche Wege mit der Wasserstofftechnologie LOHC gegangen werden sollen, einen Einblick in die abenteuerliche Donaufahrt der FAU-Römerboote, ein Interview mit dem Paralympicsathleten und Jura-Studenten Josia Topf sowie ein Porträt des neuen Humboldt-Professoren Vincent C. Müller.

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