Die Erdexperten
Erlanger Geologen/-innen helfen dabei mit, Städte klimaneutral zu machen und Windenergie aus dem Norden nach Bayern zu transportieren.
Der Osten Bambergs ist eine gigantische Baustelle. Im Lagarde-Quartier, das bis 2014 von der US-Armee genutzt wurde, entstehen auf einer Fläche von 20 Hektar bezahlbarer Wohnraum für rund 1.200 Familien sowie Grundstücke für Gewerbe, Kultur und soziale Einrichtungen. Mit dem Projekt leistet die Stadt Pionierarbeit: Über zwei Drittel der benötigten Energie wird aus regenerativen Quellen gewonnen – überwiegend aus oberflächennaher Erdwärme und Photovoltaik. Bei der Erdwärme setzt man auf eine Kombination aus horizontalen und vertikalen Systemen:
Rohrschleifen, die anderthalb Meter unter der Erde liegen, werden mit 55 Geothermie-Sonden gekoppelt, die in über 100 Meter Tiefe reichen. „Das integrierte System liefert Wärme im Winter und kann im Sommer zum Kühlen genutzt werden“, erklärt Dr. David Bertermann. Bertermann ist Leiter der Arbeitsgruppe oberflächennahe Geothermie am Lehrstuhl für Geologie der FAU und begleitet das Bamberger Bauvorhaben wissenschaftlich. Seit 15 Jahren erforscht er das Potenzial von Erdwärme für eine CO2-neutrale Wärmeversorgung, welche im Zuge der aktuellen Energiekrise neuen Schwung bekommen dürfte. Das Bamberger Bauprojekt hat dabei nicht nur auf seine Expertise bei den Pilotbohrungen für das Sondenfeld auf dem künftigen Kulturplatz gesetzt, sondern auch bei der Bestimmung der Wärmeleitfähigkeit des Bodens an der Oberfläche, denn im Lagarde-Quartier wird ein sogenanntes kaltes Nahwärmenetz verlegt. „Das Besondere an diesem Netz ist, dass es aufgrund der sehr niedrigen Vorlauftemperaturen kaum Energieverluste hat und sogar mehr Wärme aus der Umgebung aufnimmt als es verliert“, sagt Bertermann. Die geologischen Vorarbeiten des Teams sind ein wichtiger Baustein für das Bamberger Wärmenetz 4.0, das als Vorreiter für künftige Bauvorhaben in ganz Deutschland gilt.
Südlink: Beeinflussen Erdkabel das Pflanzenwachstum?
Von Franken nach Niedersachsen in die Nähe von Seelze. Auch hier ist David Bertermann im Einsatz, beteiligt am größten Infrastrukturprojekt der Energiewende: der Südlink-Trasse, die ab 2028 Windenergie aus dem Norden in die Industriezentren Bayerns und Baden-Württembergs transportieren soll. 700 Kilometer wird die Stromautobahn lang sein und von Schleswig-Holstein nach Bergrheinfeld in der Nähe von Schweinfurt und weiter nach Großgartach bei Heilbronn führen. Im Bundesbedarfsplangesetz wurde festgelegt, dass die Hochspannungs-Gleichstrom-Kabel unterirdisch in 1,40 Metern Tiefe verlegt werden – ein Gewinn für das Landschaftsbild, aber nicht ohne Folgen für den Boden: „Durch die armdicken Kabel fließen 525 Kilovolt“, sagt Bertermann. „Im Regelbetrieb erwärmt sich das Kabel auf bis zu 70 Grad im Inneren der Leitungen. Diese Wärme hat Auswirkungen auf die umgebenden Erdschichten.“ Vor allem Landwirte befürchten Ernteverluste durch eine Austrocknung des Bodens. Ob diese Befürchtung begründet ist, wird in drei Testfeldern untersucht, die bis Ende 2022 eingerichtet und vier Jahre lang betrieben werden sollen. Die Felder repräsentieren sogenannte Bodengroßlandschaften – in Niedersachsen sind das vor allem Schluffe auf den Lössböden in der Region Hannover und sandige Böden der Geest.
„Auf einer Strecke von je einhundert Metern heben wir Gräben aus und verlegen wärmeführende Rohre, die den späteren Kabelbetrieb simulieren“, erklärt Bertermann. Mit insgesamt rund 1000 Sonden und Sensoren wird die Bodentemperatur und -feuchte in unterschiedlichen Abständen zu den Rohren gemessen. Zugleich zeigen die Reallabore an, ob und wie sich die Parameter konkret auf das Pflanzenwachstum auswirken, denn die Versuchsfelder bleiben Teil der genutzten landwirtschaftlichen Flächen.
Besondere Fähigkeiten an der FAU
Sechs Millionen Euro beträgt die Fördersumme für das fünf Jahre laufende Projekt. Aktuell sind von dem 12-köpfigen FAU-Team drei bis vier Mitglieder immer vor Ort. Dass Trassenbetreiber TenneT die FAU für die thermische Bodenerkundung einsetzt, hat einen besonderen Grund: 2009 hat die Arbeitsgruppe damit begonnen, eine sogenannte GIS-Karte zu erstellen, die das Potenzial der oberflächennahen Geothermie für ganz Europa ausweist. Dieses einzigartige Wissen um die geologisch-bodenphysikalischen Standortbedingungen soll nun auch für das Südlink-Projekt genutzt werden. Das betrifft übrigens nicht nur die Auswirkungen des Kabelbetriebs auf den Boden – auch bezüglich der Lagerung und späteren Verfüllung des Aushubs sind die Forschenden der FAU beratend tätig, denn eine Vermischung der Erdschichten kann ebenfalls zu signifikanten Veränderungen der Bodenfunktionen und damit des Pflanzenwachstums führen.
von Matthias Münch
In der aktuellen Ausgabe finden Sie Beiträge zu folgenden Themen: Wie Wissenschaft und Diplomatie zusammenspielen können, welche Wege mit der Wasserstofftechnologie LOHC gegangen werden sollen, einen Einblick in die abenteuerliche Donaufahrt der FAU-Römerboote, ein Interview mit dem Paralympicsathleten und Jura-Studenten Josia Topf sowie ein Porträt mit dem neuen Humboldt-Professoren Vincent C. Müller.
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