Felix Klein, das Erlanger Programm und die Ordnung der geometrischen Welt
Innovationen aus der FAU über die Jahrhunderte
In der Welt der Mathematik ist er heute noch ein Star: Felix Klein. Vor genau 150 Jahren hat er sein Erlanger Programm präsentiert, das die Ordnung der geometrischen Welt auf neue Beine gestellt hat – und zu einer der großen Errungenschaften zählt, die aus der FAU hervorgegangen sind.
Was das Periodensystem für die Chemie ist das „Erlanger Programm“ für die Mathematik: eine grundlegende Systematisierung hier der chemischen Elemente, dort der verschiedenen Geometrien. Unter der Geometrie – wörtlich „Feldmesskunst“ – versteht die Mathematik jenes Teilgebiet, das sich mit der Größe und Gestalt der Dinge im Raum befasst. Punkte, Geraden, Kreise und die aus ihnen abgeleiteten Formen werden darin – je nach Grundannahmen, Definitionen und Eigenschaften – in verschiedenen Grund- und Lehrsätzen beschrieben. Wer freilich glaubt, mit dem allgemeinen Begriff „Geometrie“ sei die Vielzahl der Erkenntnisse und Überlegungen in diesem Feld schon hinreichend charakterisiert, der irrt. Denn die Mathematik kennt nicht nur eine, sondern viele Geometrien: angefangen bei der von Euklid entwickelten Elementar-Geometrie bis hin zu den Nichteuklidischen Geometrien von Gauß oder Riemann, insbesondere die hyperbolische Geometrie, die später die Grundlage der Relativitätstheorie legte.
Ohne in die für den Laien kaum nachvollziehbaren Einzelheiten zu gehen, lag doch bei der Vielzahl der Geometrien eins auf der Hand: Eine übergreifende Ordnung tat not. Eben diese schlug Felix Klein vor, als er im Herbst 1872 den Erlanger Lehrstuhl für Mathematik übernahm. Für Neuberufene war es seinerzeit noch üblich, sich und sein Programm im Senat der Universität vorzustellen. Schließlich war der 1849 in Düsseldorf geborene Nachwuchs-Mathematiker nicht allen Universitätsangehörigen bekannt. Klein hatte in Bonn studiert und wurde 1868 mit einer Arbeit zur Liniengeometrie promoviert. Nach der Promotion setzte Klein seine Studien in Göttingen fort, wo er sich 1871 habilitierte. Ein Jahr nach der Habilitation erreichte ihn der Ruf aus Erlangen, das aufgrund der geringen Ausstattung des Lehrstuhls einen jüngeren, aber vielversprechenden Mathematiker suchte und in Felix KIein auch fand.
Die Mathematik war bereits in den Anfängen der FAU in Erlangen vertreten, zumeist gepaart mit der Physik und gelegentlich noch weiteren Fächern. Anfang des 19. Jahrhunderts aber machte sich die Mathematik erstmals quasi selbstständig, besetzt mit Carl Christian von Langsdorff. Der Ingenieur vertrat sie unter Berücksichtigung der „Maschinenlehre und [den] damit verbundenen technologischen Wissenschaften“ – er nahm also im 19. Jahrhundert die heute an der FAU enge Verbindung der Mathematik mit den Ingenieurwissenschaften vorweg – schon das eigentlich eine Innovation.
Mit Klein verbindet sich nicht nur das nach Erlangen benannte Programm, sondern auch der nachhaltige Ausbau des Fachs an der FAU. Er war es, der seinen Freund Paul Gordan – selbst ein renommierter Mathematiker – im Jahr 1874 an die FAU holte. Der wiederum brachte Max Noether, den nicht unbedeutenden Vater der berühmten Tochter, auf das Extraordinariat an seinen Lehrstuhl, als Klein die FAU später verließ.
Über Leipzig kehrte Klein 1886 nach Göttingen zurück, das er zu dem Zentrum der Mathematik ausbaute. Gleichwohl blieb Felix Klein zeitlebens Erlangen verbunden. Nicht nur freundschaftlich mit Paul Gordan, sondern auch familiär: 1875 hatte er mit Anna Hegel eine Tochter des Historikers Karl Hegels geheiratet, der die Geschichtswissenschaft in Erlangen vertrat und modernisierte.
Mit seinen „Vergleichende[n] Betrachtungen über neuere geometrische Forschungen“ hatte Klein nicht nur eine Klassifikation der seinerzeit bekannten Geometrien nach ihren Symmetriegruppen vorgeschlagen, sondern auch das Verständnis vom Wesen der Geometrie so nachhaltig geprägt, dass Mitte des 20. Jahrhunderts gelegentlich von einer „Tyrannei des Erlanger Programms“ die Rede war. Das war nicht in seinem Sinn. Darüber hinaus prägte Klein auch den Unterricht an Schulen und Universitäten, seit er in seiner Erlanger Antrittsvorlesung Überlegungen zum „Zwecke des mathematischen Unterrichts“ angestellt hat. So trug der hervorragende Forscher und engagierte Lehrer den Namen Erlangens und seiner Universität in die Welt, als einer der herausragendsten Innovatoren, den die FAU in ihren Reihen hatte.
Dieser Beitrag erschien zuerst in den Erlanger Nachrichten.