Warum frau eine Vision braucht
Wir präsentieren in einer Folge von 22 Beiträgen ein Panorama an FAU-Wissenschaftlerinnen verschiedener Qualifikationsstufen und akademischer Positionen, von der Studentin bis zur W3-Professorin. Als Role Models motivieren die Forscherinnen aus dem MINT-Bereich durch ihre individuellen Werdegänge Nachwuchswissenschaftlerinnen für eine akademische Laufbahn, denn sie geben interessante Einblicke in ihren beruflichen Werdegang. Dabei lernen wir die MINT-Expertinnen auch von ihrer privaten Seite kennen.
Professorin Andrea Büttner: Warum frau eine Vision braucht
Prof. Dr. Andrea Büttner hat es geschafft: Mit 50 Jahren ist sie in der Wissenschaft ganz oben angekommen. Sie ist die Leiterin am Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung (IVV) in Freising und zugleich Professorin für Aroma- und Geruchsforschung an der FAU. Sie sitzt in zahlreichen Gremien und ist mit Industrie und Forschung bestens vernetzt – als Sprecherin, Initiatorin oder Direktoriumsmitglied in einer Vielzahl von Initiativen, Verbundprojekten und Strukturelementen wie dem Fraunhofer-Leitmarkt Ernährungswirtschaft, dem Strategischen Forschungsfeld Bioökonomie, „SHIELD – Sichere (Bio-) Lebensmittel durch sensorische Detektionsverfahren“, „Biogene Wertschöpfung und Smart Farming“, „Campus der Sinne“, „C-PlaNeT (Circular Plastics Network for Training)“ oder „RASOPTA-Safeguarding future production of fish in aquaculture systems with water recirculation“.
Aktiv zu sein ist ihr Mantra
Die vielbeschäftigte Führungskraft ist verheiratet und hat drei Kinder, wovon die beiden älteren Töchter (20 und 17) jetzt schon MINT-Begeisterte sind. In ihrer begrenzten Freizeit ist die Professorin am liebsten mit der Familie in den Bergen unterwegs: zum Wandern, Bergsteigen, Ski- oder Radfahren. „Ich bin sportsüchtig“, bekennt sie. Und sitzt sie dann doch einmal im Liegestuhl, liest sie eine Dissertation oder einen Fachartikel. „Das ist für mich keine Arbeit, sondern Interesse, ja ein Bedürfnis!“ Wenn man allerdings glaubt, Andrea Büttner schwärme vom Erfolg „als Frau“ in den Naturwissenschaften, dann wird man eines Besseren belehrt. Zwar brennt sie für die Forschung, aber der Erfolg habe auch seinen Preis. „In der Hardcore-Führungsebene geht es mitunter zu wie im Haifischbecken“, weiß die Professorin, die rückblickend sogar meint: „Je höher auf der Karriereleiter, desto schlimmer.“
In Sitzungen werden regelmäßig nur die Herren begrüßt
Im Gespräch fällt auf, dass die Wissenschaftlerin konsequent „gendert“. Sie spricht von Studierenden oder Kolleg/-innen, sagt, dass sie das früher eigentlich nicht für so wichtig hielt. „Dass ich sehr bewusst spreche und damit zum Teil auch provoziere, kam spontan, ja reflexhaft durch meine Arbeit in einem männlich dominierten Setting.“ Und sie erläutert: „Wenn in Sitzungen regelmäßig nur die Herren begrüßt werden und konsequent von ,dem Kollegen‘ gesprochen wird, der für eine bestimmte Stellenbesetzung vorgesehen ist, dann nervt das langsam und es wird klar, dass Sprache eben doch ein Instrument der Ausgrenzung ist und durchaus gezielt dafür eingesetzt wird – gerade auf den obersten Ebenen. Ich kann eben nicht mehr glauben, dass das nur Unachtsamkeit ist.“ Nicht selten seien die täglichen Gespräche und Meetings geprägt von Machtkämpfen und verbalem Gerangel, statt Inhalten – und das in Zeiten, in denen die Inhalte zu gemeinsamen Themen als Teamleistung doch so dringend gefordert seien. „Das fällt sogar meinem 13-jährigen Sohn auf!“, sagt Prof. Büttner. Deshalb versuche sie vor allem den Sohn zu sensibilisieren, wenn es um den Umgang zwischen Männern und Frauen geht.
Verkrustete Strukturen durch eine Frauenquote brechen!
Inzwischen ist sie überzeugt: „Es braucht ein Stück weit eine Art von ,Gewalt‘, sprich eine Frauenquote, solange noch die alten verkrusteten Strukturen herrschen! Beziehungsweise muss man manchen Personen die Entscheidungsmacht nehmen oder sie eingrenzen, wenn klar ist, dass sie nicht so agieren, wie es heute angezeigt ist.“ Was die Wissenschaftlerin besonders ärgert, ist „die schweigende Masse, die oft zwar klar sagt, dass dieses oder jenes Verhalten gar nicht geht, die aber dann abwartet, ob und wann andere Führungskräfte nachrücken, die es gegebenenfalls anders machen. Dabei ist Kulturwandel eine gemeinschaftliche Leistung.“ Kolleginnen, so hat sie beobachtet, haben hier oftmals eine deutlichere Art Missstände anzusprechen und unbequem zu sein. Andererseits seien sie oft weniger offensiv, ihre eigenen Leistungen zu präsentieren und in den Vordergrund zu stellen. Andrea Büttner glaubt, dass mehr Frauen in der Wissenschaft generell die Kultur und den Umgang miteinander besser machen könnten. Doch bis zu einer ausgewogenen Besetzung auch in den MINT-Fächern, gerade in Führungspositionen, sei es noch ein weiter Weg.
„Intrinsische Motive haben mich weiter gebracht“
Nicht nur ihren Kindern, sondern auch dem wissenschaftlichen Nachwuchs will sie vermitteln, „dass es auf Selbstbestimmung ankommt, auf eine Vision, eine Mission.“ So war es auch stets bei ihr gewesen: Schon in der Schule war ihr Vorbild eine MINTLehrerin, die im Unterricht die Naturwissenschaften, Geschichte und Wirtschaft gebündelt vermittelte und in ihr Begeisterung weckte. Andrea Büttner studierte Lebensmittelchemie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und promovierte 1999 an der Technischen Universität München, wo sie 2006 auch habilitierte. Nie waren es der Druck oder Erwartungshaltungen, die sie zu Höchstleistungen antrieben. „Man könnte glatt sagen, am meisten hat mich motiviert, dass man mir, gerade in Uni und Forschung, ständig sagte oder zeigte, dass für dieses und jenes eigentlich keine Frau geeignet sei oder auch nur annähernd in Betracht gezogen werde.“ Aber das allein war es natürlich nicht. „Meine intrinsischen Motive haben mich weitergebracht. Es gibt so viele Themen, die mich faszinieren und die ich vorantreiben will.“ Sie nennt aus ihrem Forschungsbereich beispielhaft die nachhaltige Lebensmittelwirtschaft, die gerade auf dem Prüfstand stehe, weil man die Brisanz des Themas „Foodsecurity“ zu wenig wahrnehme – oder wahrnehmen wolle. Auch liegen der Forscherin Strategien für recycelbare Verpackungen am Herzen. „Letztlich geht es immer auch um die großen Themen der Zeit: Klima, Umwelt und Gesundheit.“
„Es gibt sie, die Unterstützer!“
Vor allem ihr Ehemann sei es gewesen, der sie immer wieder an ihren Forscherinnengeist erinnert und sie davor bewahrt habe, das Handtuch zu werfen, wenn sie wieder einmal frustriert war. Überhaupt spielt Familie für sie die wichtigste Rolle im Leben. Sie wohnt in München, hat hier die Eltern und Schwiegereltern vor Ort, die ihr schon unter die Arme griffen, als ihre Kinder noch klein waren. Mit dieser Unterstützung im Hintergrund gelang es Andrea Büttner bereits früh, ihren damaligen Chef am Fraunhofer IVV mit der Frage zu fordern: „Ich will Professorin werden und drei Kinder bekommen. Können Sie damit leben?“ Sie erhielt ein klares „Ja“ als Antwort. „Es gibt sie, die Unterstützer. Man kann sich Strukturen schaffen und bestimmte Dinge proaktiv einfordern, man kann sich auch konsequent gegen Strukturen stellen und im Bedarfsfall eben Konsequenzen ziehen und einen anderen Weg gehen, wenn die Strukturen keine Veränderung zulassen“, so Büttner. „Diesen Weg gehen allerdings nur zu wenige, sonst wären wir heute schon deutlich weiter …“
Dieser Artikel ist Teil der Broschüre „The Sky is the Limit“
Facettenreich, inspirierend und innovativ werden in der Broschüre „The Sky is the Limit“ MINT-Wissenschaftlerinnen aus der Technischen und Naturwissenschaftlichen Fakultät der FAU in abwechslungsreichen Interviews vorgestellt.
Weitere veröffentlichte Interviews können Sie online auf der Seite Research nachlesen.
Broschüre „The Sky is the Limit — MINT-Wissenschaftlerinnen an der FAU“ zum Download
Die Publikation entstand im Rahmen einer Kooperation zwischen dem GRK 2423 FRASCAL und dem Büro für Gender und Diversity. Die Interviews führte Dr. Susanne Stemmler.