Schon als Kind durfte ich zu Hause Steckdosen installieren
Wir präsentieren in einer Folge von 22 Beiträgen ein Panorama an FAU-Wissenschaftlerinnen verschiedener Qualifikationsstufen und akademischer Positionen, von der Studentin bis zur W3-Professorin. Als Role Models motivieren die Forscherinnen aus dem MINT-Bereich durch ihre individuellen Werdegänge Nachwuchswissenschaftlerinnen für eine akademische Laufbahn, denn sie geben interessante Einblicke in ihren beruflichen Werdegang. Dabei lernen wir die MINT-Expertinnen auch von ihrer privaten Seite kennen.
Professorin Marion Merklein: „Schon als Kind durfte ich zu Hause Steckdosen installieren“
„Ich bin das, was es nicht gibt“ ist ein geflügeltes Wort von Prof. Dr. Marion Merklein – und sie meint damit ihren ungewöhnlichen Karriereweg. Ungewöhnlich deshalb, weil sie Studium, Promotion und Habilitation an nur einem Ort, der FAU, absolvierte. In nur 14 Jahren gelang ihr hier der Weg von der Immatrikulation bis zur Professur. Die 48-Jährige ist Fachfrau auf dem Gebiet der Entwicklung von Leichtmetallen für die Verkehrstechnik. Oftmals war die „Diplom-Ingenieuse“, wie sie sich selbst nennt, „die Erste“: Sei es, dass sie an der FAU die erste Ordinaria im Fachbereich Maschinenbau wurde oder als erste Frau das Amt der Dekanin an der Technischen Fakultät innehatte.
Auch dürfte sie zu den jüngsten W3-Professorinnen im MINT-Bereich gehört haben, als sie 2008 mit erst 34 Jahren den Lehrstuhl für Fertigungstechnologie übernahm. Seit 2017 ist sie Teil der Universitätsleitung und hier als Sonderbeauftragte für die Standortentwicklung der Technischen Fakultät tätig. Marion Merklein hat etliche DFG-geförderte Forschungsprojekte geleitet, darunter mehr als zwölf Jahre lang einen eigenen transregionalen Sonderforschungsbereich. Aktuell ist sie Vorstandsmitglied eines DFG-Sonderforschungsbereichs an der FAU. Viele Preise und Auszeichnungen schmücken ihre Vita. 2013 erhielt sie den mit 2,5 Millionen Euro höchstdotierten deutschen Forschungspreis, den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis. Auch der Bayerische Verdienstorden wurde ihr verliehen, weil sie den wissenschaftlichen Nachwuchs fördert. Trotz eines stets gefüllten Terminkalenders und wenig Freizeit, bekennt die Professorin: „Ich koche leidenschaftlich gern und nähe Teddybären.“
„Inhouse-Berufungen sind eigentlich nicht gern gesehen“
1973 in Nürnberg geboren und hier zur Schule gegangen, studierte Marion Merklein zunächst Werkstoffwissenschaften und wechselte dann zum Maschinenbau, wo sie 2001 ihre Doktorarbeit abschloss und 2006 habilitierte. Zwei Jahre später trat sie in die Fußstapfen ihres wissenschaftlichen Ziehvaters und Förderers, dessen Lehrstuhl sie quasi „erbte“. Normalerweise bevorzugen Hochschulen bei der Vergabe von Professuren Kandidatinnen und Kandidaten von außen, um frischen Wind an die Uni zu bringen. „Inhouse-Berufungen sind eigentlich nicht gern gesehen, aber ich wurde ermutigt, mich als wissenschaftliche Assistentin direkt auf die Nachfolge zu bewerben, also tat ich es – und das Ministerium segnete meine Berufung ab“, sagt Prof. Merklein.
Viele Möglichkeiten ließ sie verstreichen, ihre Alma Mater zu verlassen, obwohl ihr die akademische Welt offenstand. Rufe an renommierte Universitäten im Saarland, in Schottland oder den USA schlug sie zugunsten der FAU aus, teils aus familiären Gründen, teils wegen der fachlichen Möglichkeiten, die ihr die FAU bot. Denn für ihr Spezialgebiet gibt es nicht viele Hochschulen. Ihre Expertise ist die Fertigungstechnik, vor allem die Umformtechnik im Verkehrsbereich: „Ich erforsche, wie aus verschiedenen Werkstoffen funktionsfähige Bauteile und Güter hergestellt werden können. Dabei geht es immer auch um energiesparende Lösungen für industrielle Anwendungen.“ Merklein entwickelte ein Formgebungsverfahren für Leichtmetalle, das die industriellen Produktionsketten im Automobilbau sowie dem Schienen- und Luftverkehr verbessert.
Schon früh von der Technik begeistert
Ihr Interesse an Technik wurde früh geweckt: „Als meine Eltern ihr Haus bauten, war ich acht Jahre alt. Ich war fasziniert von den Bauarbeiten, wollte wissen, wie Steckdosen und Bohrmaschinen funktionieren. Ich durfte dann sogar selbst Steckdosen installieren – und durch Wände bohren!“ Schon als Schülerin wusste sie, dass sie einen technischen Beruf erlernen wollte. Ein Studium hatte sie ursprünglich gar nicht geplant, denn nach dem Abitur wartete bereits eine Lehrstelle bei Siemens auf sie. „Aber dann kam mir meine gute Abiturnote in die Quere“, so Merklein. Im Rahmen der Bayerischen Begabtenförderung erhielt sie damals ein Stipendium fürs Studium. „Das konnte ich natürlich nicht ausschlagen und ich glaube, meine Eltern waren sehr froh darüber, dass ich die Uni besuchte und das erwies sich auch als richtig!“ Übrigens auch deshalb, weil sie gleich am ersten Tag in einer Einführungsveranstaltung ihren späteren Ehemann kennenlernte.
Aus Sicht der Ingenieurin ist es zu spät, erst junge Frauen für die MINT-Fächer anzuwerben. „Da sollte man idealerweise viel früher ansetzen. Schon drei- und vierjährige Mädchen kann man an die Technik heranführen – durch entsprechende Spielsachen, und indem Eltern früh das Interesse der Töchter an MINT erkennen und fördern. So ist es mir auch ergangen. Ich selbst wuchs mit Technik-Lego auf und wusste sehr früh, wohin die Reise geht“, so die Professorin.
„Ausgerechnet ein Mann hat mich optimal gefördert“
Auch wenn ihre Faszination für Technik bis heute anhält, gab es auch Hürden, die es an der FAU zu überwinden galt. „Es war nicht leicht, als ehemalige Mitarbeiterin an meinem Lehrstuhl und junge Frau plötzlich die Chefin von etlichen – auch deutlich älteren – Wissenschaftlern zu werden, noch dazu von einstigen Kollegen. Doch ich habe mich durchgeboxt und kann sagen: Ich liebe meinen Lehrstuhl über alles, ich liebe meine Arbeit über alles, ich liebe meine Kolleginnen/Kollegen und Studierenden über alles. Und ich bin meinem früheren Chef sehr dankbar. Er war ein genialer Mentor. Ausgerechnet ein Mann hat mich optimal gefördert.“
Dass es immer noch zu wenig MINT-Frauen im akademischen Bereich gibt, findet die Wissenschaftlerin natürlich bedauerlich. Was sie mitunter „am System verzweifeln lässt“, ist der Umstand, dass vorwiegend von männlichen Kollegen gefordert werde, dass die akademischen Gremien paritätisch besetzt sein sollten. „Das aber bedeutet eine vergleichsweise höhere Beteiligung für Frauen als Männer in Kommissionen oder Arbeitsgruppen: Auf diese Weise werden viele junge Forscherinnen zu stark beansprucht und ihre wissenschaftliche Arbeit kommt zwangsläufig zu kurz.“ Viele Hochschulabsolventinnen, so Merklein, entschieden sich ja gerade deshalb für eine akademische Laufbahn, weil sie vor allem Forschung und Lehre machen wollen. Aber dafür bleibe dann oft vor lauter Gremienarbeit zu wenig Zeit. „Ich kann es mir jetzt erst in meiner Position erlauben, auch einmal nein zu sagen. Aber viele angehende Professorinnen können das nicht so einfach“, weiß die Forscherin, die selbst in zahlreichen Fachgesellschaften und Komitees aktiv ist.
Letztlich empfindet sie es als kontraproduktiv, dass die Universitäten einerseits mehr Frauen in den MINT-Fächern wollen, es ihnen dann aber auch schwer gemacht werde, indem man ihnen zu viele Verpflichtungen jenseits von Forschung und Lehre aufbürde. „Darauf müssen sich Frauen, die eine akademische MINT-Karriere anstreben, einstellen.“ Wer die Wissenschaft an oberste Stelle setzt, solle daher auch erwägen, an eine Institution außerhalb der Universität zu gehen, etwa ans Max-Planck-Institut oder das Helmholtz-Institut, meint die Forscherin. „Hauptsache, frau liebt ihre Arbeit.“
Dieser Artikel ist Teil der Broschüre „The Sky is the Limit“
Facettenreich, inspirierend und innovativ werden in der Broschüre „The Sky is the Limit“ MINT-Wissenschaftlerinnen aus der Technischen und Naturwissenschaftlichen Fakultät der FAU in abwechslungsreichen Interviews vorgestellt.
Weitere veröffentlichte Interviews können Sie online auf der Seite Research nachlesen.
Broschüre „The Sky is the Limit — MINT-Wissenschaftlerinnen an der FAU“ zum Download
Die Publikation entstand im Rahmen einer Kooperation zwischen dem GRK 2423 FRASCAL und dem Büro für Gender und Diversity. Die Interviews führte Dr. Susanne Stemmler.