Mathematisch die Struktur von Böden verstehen
Wir präsentieren in einer Folge von 22 Beiträgen ein Panorama an FAU-Wissenschaftlerinnen verschiedener Qualifikationsstufen und akademischer Positionen, von der Studentin bis zur W3-Professorin. Als Role Models motivieren die Forscherinnen aus dem MINT-Bereich durch ihre individuellen Werdegänge Nachwuchswissenschaftlerinnen für eine akademische Laufbahn, denn sie geben interessante Einblicke in ihren beruflichen Werdegang. Dabei lernen wir die MINT-Expertinnen auch von ihrer privaten Seite kennen.
Postdoktorandin und Nachwuchsgruppenleiterin Nadja Ray: Mathematisch die Struktur von Böden verstehen
Wenn sich Mathematikerin PD Dr. Nadja Ray mit Gleichungen und Modellen befasst, dient das einem praktischen Zweck: Die Wissenschaftlerin und Nachwuchsgruppenleiterin am Lehrstuhl für Angewandte Mathematik (Modellierung und Numerik) untersucht im Rahmen verschiedener DFG-Projekte poröse Mikrostrukturen, wie sie im Erdreich vorkommen. Sie leistet damit einen Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz. Die 38-jährige Privatdozentin befindet sich in einer spannenden Phase ihrer Karriere. Erst kürzlich wurde ihr bei den FAU-Awards der begehrte Habilitationspreis der Naturwissenschaftlichen Fakultät verliehen. Und: Die Mathematikerin, die derzeit an der FAU eine unbefristete Stelle innehat, erhielt einen Ruf an die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt. Die Professur ist allerdings befristet.
Frau Ray, wie werden Sie sich entscheiden? An der FAU bleiben oder den Ruf annehmen?
Ich freue mich sehr über den Ruf. Eine Professur bietet natürlich viele spannende Möglichkeiten. Für eine Entscheidung sind aber noch einige Punkte zu klären. Ideal wäre es, wenn ich mich an der FAU für diese fünf Jahre zunächst beurlauben lassen könnte. Sollte die Professur nach fünf Jahren auslaufen, könnte ich wieder zurückkommen auf meine unbefristete Stelle. Wenn die Professur an der Katholischen Universität verstetigt würde, könnte ich dort bleiben. Mal sehen, wie sich die Dinge entwickeln …
Eine unbefristete Stelle im akademischen Mittelbau: Kommt das häufig vor?
Normalerweise gibt es Beamtenstellen, also Akademische Räte, wenn auch nur wenige. Ich bin an der Uni im Angestelltenverhältnis, das mit Lehraufgaben einhergeht, tätig. Solche Stellen haben Seltenheitswert in Deutschland. Es wäre jedoch schön, wenn es mehr davon geben würde.
Ihr Lebensmittelpunkt war ja bislang Erlangen …
Ja, ich habe hier studiert, promoviert und habilitiert. Außerdem bin ich verheiratet, habe zwei Kinder, die acht und viereinhalb Jahre alt sind und bin hier verwurzelt. Daher ist mir natürlich eine auch finanzielle Stabilität und Planungssicherheit wichtig. Ich habe vor zu pendeln, sollte das mit Ingolstadt klappen.
Glückwunsch auch zum FAU-Habilitationspreis! Wie lief die Präsenzveranstaltung ab?
Es war eine schöne Veranstaltung in der Heinrich-Lades-Halle, wenn auch mit wenig Publikum. Der Emmy-Noether-Preis wird vom Universitätsbund Erlangen-Nürnberg jedes Jahr an eine Nachwuchswissenschaftlerin oder einen Nachwuchswissenschaftler für eine herausragende Habilitationsschrift an der Naturwissenschaftlichen Fakultät gestiftet und geht auch mit einem Geldpreis einher. Nach einer kurzen Laudatio und der Aushändigung einer Urkunde durch den Präsidenten gab es einen Science Slam: Ich hatte sechs Minuten Zeit, um meine Habilitation vorzustellen. Das war eine Herausforderung!
Können Sie Ihre Forschung auch hier kurz beschreiben?
Meine Forschung befasst sich mit Anwendungen in den Geowissenschaften. Es geht darum, die Beschaffenheit und Struktur von Böden zu verstehen. Wie viel Wasser und Kohlenstoff speichern sie? Wie werden im Boden Nähr- oder Schadstoffe transportiert? Dazu entwickeln wir in meiner Gruppe und im Kollegenkreis mathematische Modelle, analysieren diese und führen numerische Simulationen durch. Dadurch möchten wir Erkenntnisse gewinnen, um etwa ideale Wachstumsbedingungen für Pflanzen besser zu verstehen, was wiederum für die Hungerbekämpfung und das Klima relevant ist. Gefragt ist präzises und gewissenhaftes, aber auch interdisziplinäres Arbeiten.
Die Mathematik wird oft mit dem Lehrberuf assoziiert. Warum haben sie sich für die Angewandte Mathematik entschieden?
Ja, viele studieren das Fach mit Lehramt, um später an der Schule zu unterrichten. Andere Mathematiker/-innen gehen in die Softwareentwicklung, zu Versicherungen, in Unternehmensberatungen oder in Forschungs- und Entwicklungsabteilungen großer Unternehmen. Ich habe mich für eine akademische Laufbahn in der Angewandten Mathematik entschieden, weil mir die Unabhängigkeit und die Mischung aus Praxisbezug und teilweise abstrakter Forschung gefallen. Mein Mann arbeitet als Mathematiker in der Industrie und hat dort ein völlig anderes Arbeitsumfeld mit anderen Herausforderungen. Dort müssen Produkte und Lösungen abgeliefert und Kundenanforderungen bedient werden.
Wie meistern Sie Job und Familie?
Alles muss sehr gut organisiert und miteinander abgestimmt sein mit festen Strukturen. Meinem Mann und mir ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gleichermaßen wichtig, so dass wir auch beide in Teilzeit gearbeitet haben als die Kinder kleiner waren. Dabei schätze ich gerade auch die Flexibilität an der Universität sehr. Ich arbeite in der Regel von 8 Uhr bis 14.30 Uhr und dann abends nochmal oder samstags. Das habe ich klar kommuniziert. Wenn es Besprechungen oder Kommissionen am späten Nachmittag gibt, kann ich eben nicht immer dabei sein. Man muss auch nicht für alles bereitstehen. Sollte es dennoch erforderlich sein, bekommen wir das meist organisiert, sonst unterstützen uns aber auch gerne meine Eltern und Schwiegereltern, die glücklicherweise in der Nähe wohnen.
Welche Faktoren haben bei Ihnen zum Erfolg im MINT-Bereich geführt?
Ich mochte stets präzises und gewissenhaftes Arbeiten. Hinter jedem Erfolg stecken viel Leistungsbereitschaft und harte Arbeit, aber auch die Unterstützung in vielerlei Hinsicht ist wichtig, wie externe finanzielle Fördermittel, Stipendien und wertschätzende Mentor/-innen. Ich hatte all dies. Außerdem sind Netzwerke nicht zu unterschätzen, vor allem auch zu Leuten, die in einer ähnlichen Karrieresituation, aber in anderen Fachbereichen sind und so auch andere Blickwinkel aufzeigen können. Davon habe ich bereits während meines Studiums und meiner Promotion durch meine Stipendien profitiert. Aktuell nehme ich an dem Weiterqualifizierungsprogramm FAUnext teil, das mir Trainings zu verschiedenen Themenbereichen meiner Karriere bietet. Auch habe ich selbst als Mentorin im ARIADNE-Programm mitgewirkt.
Welche Tipps geben Sie Nachwuchswissenschaftlerinnen?
Wenn ihr an der Uni bleiben wollt, solltet ihr inhaltlich ein Gleichgewicht finden zwischen dem, was euch interessiert und einem Thema, das Zukunft hat und finanziell gefördert wird. Außerdem sollte man sich spätestens nach der Promotion entscheiden, ob man akademisch weitermachen möchte oder nicht. Hier ist der Schnitt, an dem die Weichen gestellt werden sollten. Nicht bequem werden und sich sagen: „Mache ich noch einen Postdoc.” Das bringt nichts, sondern ist für eine spätere nicht-akademische Karriere oft verlorene Zeit. Je länger man an der Uni bleibt, desto schwieriger wird es, auszusteigen. Lieber direkt nach der Dissertation in die Industrie gehen oder tatsächlich mit dem Ziel einer akademischen Karriere weitermachen. Doch Frauen müssen wissen: Bis zur Promotion ist der Frauenanteil in der Mathematik noch relativ ausgeglichen, danach muss man sich immer stärker behaupten.
Was schätzen Sie an der FAU?
Abgesehen davon, dass ich hier immer gefördert und unterstützt wurde: Die FAU ist eine Voll-Uni und bietet damit eine Vielzahl an Möglichkeiten zum lebenslangen Lernen. Das schätze ich momentan sehr. So studiere ich aktuell noch Physik, um darin demnächst meinen Bachelor zu machen und besuche eine Vorlesung in Data Science. Ich brauche etwas für den Kopf, was nicht meine Arbeit ist, aber auch Spaß macht.
Dieser Artikel ist Teil der Broschüre „The Sky is the Limit“
Facettenreich, inspirierend und innovativ werden in der Broschüre „The Sky is the Limit“ MINT-Wissenschaftlerinnen aus der Technischen und Naturwissenschaftlichen Fakultät der FAU in abwechslungsreichen Interviews vorgestellt.
Weitere veröffentlichte Interviews können Sie online auf der Seite Research nachlesen.
Broschüre „The Sky is the Limit — MINT-Wissenschaftlerinnen an der FAU“ zum Download
Die Publikation entstand im Rahmen einer Kooperation zwischen dem GRK 2423 FRASCAL und dem Büro für Gender und Diversity. Die Interviews führte Dr. Susanne Stemmler.