Karriere lässt sich nicht strategisch planen
Wir präsentieren in einer Folge von 22 Beiträgen ein Panorama an FAU-Wissenschaftlerinnen verschiedener Qualifikationsstufen und akademischer Positionen, von der Studentin bis zur W3-Professorin. Als Role Models motivieren die Forscherinnen aus dem MINT-Bereich durch ihre individuellen Werdegänge Nachwuchswissenschaftlerinnen für eine akademische Laufbahn, denn sie geben interessante Einblicke in ihren beruflichen Werdegang. Dabei lernen wir die MINT-Expertinnen auch von ihrer privaten Seite kennen.
Professorin Kathrin Castiglione: „Karriere lässt sich nicht strategisch planen“
Prof. Dr. Kathrin Castiglione hat seit 2018 den Lehrstuhl für Bio- verfahrenstechnik im Department Chemie- und Bioingenieur- wesen (CBI) der FAU inne. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt in der Industriellen Biotechnologie, die praxisrelevant und auf Nachhaltigkeit ausgelegt ist. Dabei werden Mikroorganismen oder Enzyme als Biokatalysatoren für die Produktion von Pharmazeutika, Agrarprodukten oder Lebens- und Futtermitteln verwendet. „Biotechnologie begegnet uns heutzutage überall im Alltag. Enzyme befinden sich im Waschmittel, aber auch Medikamente wie das Insulin werden in einem biotechnologischen Prozess hergestellt – ebenso wie Bier.“ Die Forscherin interessiert sich besonders für spezielle Moleküle, die als Bild- und Spiegelbildversion existieren und zur Herstellung von Medikamenten benötigt werden.
„Auf einmal bin ich Quotenfrau“
In einem YouTube-Video der FAU erklärt die Professorin ihre Forschung und man merkt ihr die Leidenschaft für ihr Fach an. Castiglione gilt darüber hinaus als hervorragende Dozentin, ist bei Studierenden und jungen Forscherinnen und Forschern beliebt. Erst kürzlich wurde ihr der Publikumspreis für exzellente Lehre von der CBI-Fachschaftsinitiative verliehen und im Jahr zuvor der Lehrpreis der Technischen Fakultät. Dennoch ist die Hochschullehrerin mitunter zwiegespalten: „Ich habe mein Abitur mit eins gemacht und mein Studium mit der Bestnote abgeschnitten. Doch plötzlich finde ich mich als Wissenschaftlerin in einer Situation, wo ich öfter den Quotenstempel aufgedrückt bekomme, als mir lieb ist.“ Und sie erklärt weiter: „Auf einmal bin ich Quotenfrau. Ich habe hier die Orientierung verloren. Zwei Lehrpreise habe ich bekommen und dann heißt es im Kollegenkreis: Schön, dass es mal wieder eine Frau bekommen hat!“ Dabei werde sie bei Evaluierungen von Studierenden gleich gut bewertet. Die Akzeptanz durch die Studierenden sei auch nicht das Problem. Was ihr übel aufstößt: „Oft besteht das Verdachtsmoment, dass man das Erreichte dem Umstand zu verdanken hat, eine Frau zu sein!“ Das zerstöre bei Forscherinnen die Selbstsicherheit, denn: „Ich möchte über meine Leistung definiert werden.“ Sie empfindet es manchmal geradezu als eine Belastung, Wissenschaftlerin zu sein. Prof. Castiglione diskutiert darüber auch im Kollegium. „Das Problem ist, eine Mitte zu finden. Es gilt, Frauen in der Wissenschaft nicht zu ihrem Nachteil zu übervorteilen, sondern sie an ihren Leistungen zu messen.“
FAU schrieb ihr einen Brief: Bitte bewerben!
Und das wurde Castiglione in der Vergangenheit auch. Etliche Stipendien erhielt die heute 39-Jährige schon während des Studiums der Molekularen Biotechnologie an der Technischen Universität München (TUM). Dort promovierte und habilitierte sie, nachdem sie einen kurzen Zwischenstopp als Postdoktorandin in Japan eingelegt hatte. Nach Erlangen, genauer gesagt auf ihre W3-Professur, kam sie durch eine proaktive Frauenrekrutierung der FAU. „Das war großartig. Ich erhielt einen Brief von der FAU, ob ich mich auf die Stelle bewerben mag. Ohne diesen Brief hätte ich mich das damals nicht selbst getraut, weil meine Habilitation noch gar nicht abgeschlossen war.“ Prompt wurde sie zum Vortrag eingeladen und konnte überzeugen. „Ich hatte meine Karriere nicht strategisch geplant, sondern folgte stets meinem fachlichen Interesse und letztlich war es auch Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein“, sagt Castiglione. Heute ist es ihr ein Anliegen, junge Forscherinnen zu rekrutieren: „Ich suche Frauen bei Abschlussarbeiten gezielt aus und empfehle ihnen zu promovieren, beziehungsweise unterstütze sie dabei.“ An der FAU schätzt sie, dass das CBI ein forschungsstarkes Department ist, das über Deutschland hinaus herausragend ist und über viele Industriekontakte in die Praxis hinein reicht. Auch die Vernetzung mit medizinischen Forschungseinrichtungen sei „eine tolle Sache“ – für Studierende, aber auch für Lehrende.
Ein Zeitmanagement entwickelt: Nachmittags ist Familienzeit!
Dass Erlangen im Gegensatz zu München eine familienfreundlichere Stadt mit kürzeren Wegen ist, weiß sie genauso zu schätzen, wie dass sie an der Uni flexibel sein kann. Castiglione ist verheiratet und hat zwei Kinder im Kindergarten- und Schulalter. „Ich habe ein Zeitmanagement für mich entwickelt: Häufig arbeite ich von morgens bis 15.30 Uhr. Danach ist Familienzeit. Das wissen auch alle am Lehrstuhl und stellen sich darauf ein.“ Am Abend widmet sie sich dann wieder ihren universitären Aufgaben. „Mein Ehemann ist extrem unterstützend, das erleichtert die Vereinbarkeit von Familie und Wissenschaft enorm. Sonst wären die Kongresse, die vielen Dienstreisen, die Termine am Abend und am Wochenende, die auch alle zum Professorinnenleben gehören, schwer zu realisieren.“
Dieser Artikel ist Teil der Broschüre „The Sky is the Limit“
Facettenreich, inspirierend und innovativ werden in der Broschüre „The Sky is the Limit“ MINT-Wissenschaftlerinnen aus der Technischen und Naturwissenschaftlichen Fakultät der FAU in abwechslungsreichen Interviews vorgestellt.
Weitere veröffentlichte Interviews können Sie online auf der Seite Research nachlesen.
Broschüre „The Sky is the Limit — MINT-Wissenschaftlerinnen an der FAU“ zum Download
Die Publikation entstand im Rahmen einer Kooperation zwischen dem GRK 2423 FRASCAL und dem Büro für Gender und Diversity. Die Interviews führte Dr. Susanne Stemmler.