Interdisziplinär und im Team zu arbeiten, das liegt mir!
Wir präsentieren in einer Folge von 22 Beiträgen ein Panorama an FAU-Wissenschaftlerinnen verschiedener Qualifikationsstufen und akademischer Positionen, von der Studentin bis zur W3-Professorin. Als Role Models motivieren die Forscherinnen aus dem MINT-Bereich durch ihre individuellen Werdegänge Nachwuchswissenschaftlerinnen für eine akademische Laufbahn, denn sie geben interessante Einblicke in ihren beruflichen Werdegang. Dabei lernen wir die MINT-Expertinnen auch von ihrer privaten Seite kennen.
Doktorandin Nina Reiter: „Interdisziplinär und im Team zu arbeiten, das liegt mir!“
Nina Reiter, 1995 in Fürth geboren und dort aufgewachsen, hat familiär bedingt und in der Schule schon früh in technische Berufe hineingeschnuppert. An der FAU absolvierte sie ihren Bachelor und Master im Fach Maschinenbau, sie ist also Maschinenbau-Ingenieurin. Derzeit promoviert sie in der Biomechanik und beschäftigt sich mit den mechanischen Eigenschaften des Gehirngewebes. Ihre Forschung dient dazu, Methoden zu entwickeln, wie das Gehirn geschützt werden kann, etwa bei Unfällen. Nach der Promotion strebt sie eine Karriere in der Wissenschaft an und will Professorin werden.
Wie alles begann …
„Mein Vater arbeitet in einem technischen Beruf. Deshalb habe ich schon als Kind Einblicke in ein technisches Unternehmen gewonnen. Als Schülerin interessierte ich mich für Naturwissenschaften, Sprachen und Technik – vor allem für die Luftfahrttechnik. Ich nahm an einem Ausflug zum Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt und zur Lufthansa teil und fand das spannend! Außerdem war ich in der 10. Klasse in einem Forscherinnencamp, das ebenfalls mit Luftfahrt zu tun hatte. Wir – eine Gruppe von Schülerinnen – erarbeiteten damals mit einer Ingenieurin Konzepte für die Fertigung eines Flugzeugbauteils. All diese Erfahrungen halfen mir bei der Entscheidung, dass ich ein technisches Fach studieren und Ingenieurin werden wollte!“
Die richtige Förderung zur richtigen Zeit
„Ich habe zunächst angefangen, an der FAU im Bachelor International Production Engineering and Management zu studieren, merkte aber bereits im ersten Semester, dass ich die Grundlagenfächer gerne vertiefen würde. Daher wechselte ich zum zweiten Semester zum Maschinenbau. Dass ich letztendlich in der Mechanik gelandet bin, habe ich dem Professor zu verdanken, bei dem ich während der ersten Bachelor-Semester die Grundlagenvorlesung gehört hatte. Mit seiner humorvollen Art und seinem unterhaltsamen Vorlesungsstil schaffte er es, mich für das Fach Mechanik zu begeistern. Im Masterprogramm nahm ich dann eine Hilfskraft-Stelle bei meiner jetzigen Promotions-Betreuerin an. Der Job ist echt cool. So kam ich überhaupt zum Thema Gehirnmechanik und schrieb darin auch meine Masterarbeit. Durch die Hilfskrafttätigkeit wurde meine Betreuerin auf mich aufmerksam und bot mir die Promotionsstelle an!“
Meine Forschung
„Für meine Promotion beschäftige ich mich mit den mechanischen Eigenschaften des Gehirngewebes. Diese zu kennen ist wichtig, um Computermodelle des Gehirns zu erstellen, mit denen man Unfälle simulieren, Helme entwickeln oder Chirurgen bei der Arbeit unterstützen kann. Aktuelle Computermodelle des Gehirns basieren auf Materialeigenschaften, die experimentell ermittelt, aber nicht mit den Bestandteilen des konkreten Gehirngewebes in Verbindung gebracht wurden. Das bedeutet, dass man die Daten, die man mithilfe von Gehirnen älterer Körperspender/-innen gewinnt, nicht auf Kinder oder junge Menschen übertragen kann. Ich möchte dazu beitragen, vorhandene Computermodelle des Gehirns zu optimieren. Zusätzlich versuche ich herauszufinden, wie die Zellen und Gefäße im Gewebe selbst von mechanischer Belastung beeinflusst werden. Die Ergebnisse können helfen, die Verletzungen, die bei einem Schädel-Hirn-Trauma entstehen, besser zu verstehen. Dieses Verständnis ist auch wichtig für die Entwicklung von Schutzausrüstungen.“
Was mich an meiner wissenschaftlichen Tätigkeit so begeistert …
„… ist, dass ich so viele Dinge über das Gehirn lernen kann. Die meiste Zeit fühlt sich die Arbeit nicht wie Arbeit an, weil ich damit beschäftigt bin, Dinge herauszufinden, die mich brennend interessieren. Und das wird nie langweilig. Auch die Teamarbeit schätze ich: Manchmal erhalte ich Versuchsergebnisse, die mir selbst gar nicht so besonders erscheinen, von denen meine Betreuerin aber begeistert ist, weil sie einen anderen Überblick über die Literatur hat und weiß, dass es Forschungsgruppen gibt, für die diese Ergebnisse spannend sein könnten. Regelmäßige Gruppenmeetings, in denen wir uns über unsere aktuelle Forschungsarbeit, auftretende Schwierigkeiten oder Möglichkeiten der Zusammenarbeit austauschen, empfinde ich als wertvoll. Toll war, dass ich während meines Bachelorstudiums im Rahmen eines DAAD-Austauschprogramms meines Lehrstuhls eine Woche am Indian Institute of Technology Delhi verbringen durfte.“
Was mir die FAU bietet …
„… sind ideale Bedingungen für meine interdisziplinäre Forschungsarbeit, da die FAU sowohl im technischen als auch im medizinischen und biologischen Bereich viele Forschungsinstitute hat und zusätzlich mit dem Max-Planck-Zentrum zusammenarbeitet. Es gibt zudem für Nachwuchswissenschaftlerinnen universitätsinterne Förderprogramme, von denen auch ich profitiert habe. Es macht mir großen Spaß, mit Kolleginnen und Kollegen aus der Anatomie, der Biochemie und der Stammzellbiologie zusammenzuarbeiten und dort Einblicke in andere Forschungsgebiete zu bekommen.“
Mein Arbeitsalltag …
„… ist sehr abwechslungsreich! Er besteht aus Büro- und Labortätigkeiten. Im Büro werte ich Messdaten und aufgenommene Bilder oder Videos aus. Ich nehme an Besprechungen im Team, mit meiner Betreuerin und mit Kooperationspartnerinnen und -partnern teil. Wenn wir Ergebnisse haben, die wir veröffentlichen möchten, erstelle ich Abbildungen und schreibe am Text mit. An unserem Lehrstuhl können wir uns unsere Arbeitszeiten flexibel einteilen und auch selbst entscheiden, ob wir im Homeoffice oder vom Lehrstuhl aus arbeiten. So kann ich meinen Arbeitsort an die anstehenden Aufgaben anpassen: Wenn hohe Konzentration gefragt ist, bin ich am liebsten im Büro, für Tätigkeiten wie Brainstorming oder langfristigere Planungen lieber zu Hause. Ab und zu lese ich schriftliche Arbeiten meiner Studierenden Korrektur oder helfe ihnen bei Fragen. Im Labor weise ich Studierende ein, die bei mir ihre Abschlussarbeiten anfertigen. Ich selbst experimentiere an Schweinehirnen, die wir vom Erlanger Schlachthof bekommen, da sie dort nicht verkauft werden. Hin und wieder bekommen wir auch ein Gehirn eines Menschen, der sich vor seinem Tod bereit erklärt hat, seinen Körper der Forschung zu spenden. Bei einem menschlichen Gehirn ist es uns wichtig, so viele Versuche wie möglich durchzuführen, bevor sich das Gewebe abbaut. An solchen Tagen sind wir auch mal länger als üblich im Labor.“
Neben meiner Forschung habe ich …
„… 2019 an einer Summer School zum Thema ‚Sustainability and Eco Tourism‘ in Denpasar (Indonesien) teilgenommen. Das war sehr interessant. Ich engagiere mich auch im TechFak-Garten und gehöre zu einer Gruppe von Studierenden, die den Roten Platz an der Technischen Fakultät begrünt und dort Gemüse und Kräuter anpflanzt. Während der Pandemie konnten wir draußen arbeiten. So hat das Gärtnern dazu beigetragen, soziale Kontakte weiter zu pflegen und neue Leute kennenzulernen. In meiner Freizeit bin ich sportlich unterwegs: Tanzen und Wassersport sind meine Leidenschaften. Ich schwimme, fahre Kajak und mache Stand Up Paddling.“
Mein Tipp für junge Frauen, die ein MINT-Fach studieren wollen:
„Fangt einfach an und lasst euch nicht davon abschrecken, dass es wenige Frauen in diesem Bereich gibt. Vor allem: Macht euch keine so großen Sorgen, dass ihr nicht geeignet seid. Im Studium fängt man in den Fächern ziemlich von vorne an, sodass ihr keine außergewöhnlichen Vorkenntnisse braucht. Von Vorteil ist es, vorab schon ein paar Vorlesungen zu besuchen und das Modulhandbuch zu kennen. Wenn euch das Studium nicht gefällt, könnt ihr immer noch zu einem verwandten oder einem ganz anderen Fach wechseln. Für die Promotion sind Begeisterungsfähigkeit, gründliches Arbeiten und Durchhaltevermögen wichtiger, als dass man davor in jedem Fach eine gute Note hatte. Während der Doktorarbeit könnt ihr sehr selbstständig arbeiten und müsst euch in jedem Fall erst einarbeiten. Es ist also ganz normal, sich nicht schon von Anfang an mit allem auszukennen.“
Dieser Artikel ist Teil der Broschüre „The Sky is the Limit“
Facettenreich, inspirierend und innovativ werden in der Broschüre „The Sky is the Limit“ MINT-Wissenschaftlerinnen aus der Technischen und Naturwissenschaftlichen Fakultät der FAU in abwechslungsreichen Interviews vorgestellt.
Weitere veröffentlichte Interviews können Sie online auf der Seite Research nachlesen.
Broschüre „The Sky is the Limit — MINT-Wissenschaftlerinnen an der FAU“ zum Download
Die Publikation entstand im Rahmen einer Kooperation zwischen dem GRK 2423 FRASCAL und dem Büro für Gender und Diversity. Die Interviews führte Dr. Susanne Stemmler.