Die Uni bietet mehr Freiheiten als die freie Wirtschaft
Wir präsentieren in einer Folge von 22 Beiträgen ein Panorama an FAU-Wissenschaftlerinnen verschiedener Qualifikationsstufen und akademischer Positionen, von der Studentin bis zur W3-Professorin. Als Role Models motivieren die Forscherinnen aus dem MINT-Bereich durch ihre individuellen Werdegänge Nachwuchswissenschaftlerinnen für eine akademische Laufbahn, denn sie geben interessante Einblicke in ihren beruflichen Werdegang. Dabei lernen wir die MINT-Expertinnen auch von ihrer privaten Seite kennen.
Juniorprofessorin Katharina Herkendell: „Die Uni bietet mehr Freiheiten als die freie Wirtschaft“
Prof. Dr. Katharina Herkendell ist Diplomingenieurin im Bioingenieurwesen. Ihr Studium mit Forschungsaufenthalten in den USA, Indien und Israel absolvierte sie am Karlsruhe Institut für Technologie (KIT). Ihre Promotion an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich im Department Maschinenbau und Verfahrenstechnik zog sie innerhalb von drei Jahren durch und verbrachte dort anschließend noch ein Postdoc-Jahr. Und so erklärt es sich, dass die Wissenschaftlerin im September 2020 im Alter von gerade einmal 33 Jahren zur Juniorprofessorin am Lehrstuhl für Energieverfahrenstechnik ernannt wurde.
Die Energiewende aktiv mitgestalten
„In meinem Forschungsfeld der Bioelektrokatalyse geht es um die emissionsarme energetische Restnutzung von Abfallstoffen mittels enzymatischer und mikrobieller Katalyse in elektrochemischen Zellen. In Biobrennstoffzellen gewinnen wir beispielsweise grünen Strom aus der Oxidation von organischen Verbindungen, wie sie in regulären Haushaltabfällen, Biofluiden oder in Abwässern vorhanden sind. Die Faszination des Lebens, die Nutzbarmachung der Natur für saubere Prozesse schätze ich an meinem Fach ebenso wie die Möglichkeit, Menschen argumentativ von Technologien und Notwendigkeiten zu überzeugen und den Nachwuchs zu begeistern.“
Forschung bedeutet für mich …
„… die Gelegenheit, jeden Tag etwas dazuzulernen und mein Wissen weiterzugeben. Ich kann kreativ sein, in unserem Institut Konzepte ausprobieren und habe dabei viele kleine Erfolgserlebnisse. Ich arbeite selbstbestimmt und unabhängig, interagiere aber dennoch mit faszinierenden Persönlichkeiten – sei es im Kollegium, dem Forschungsumfeld an der FAU oder dem Energiecampus Nürnberg, sei es mit Studierenden, in Gremien oder internationalen Forschungspartnerschaften. Generell ist für mich jeder Tag, den ich komplett selbstbestimmt gestalten kann, ein purer Segen. Ich weiß, dass ich diese Freiheiten in der freien Wirtschaft nicht hätte.“
Eine akademische Karriere in einem MINT-Fach …
„… war schon früh mein Wunsch. Zu meinen Lieblingsfächern in der Schule zählten Mathe und Biologie. Aus dem Wust an Möglichkeiten nach dem Abitur wollte ich etwas auswählen, das mir Perspektiven bot. Dabei war mir wichtig, mit meinem Studienfach einen wertvollen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten, später einmal unabhängig zu arbeiten – auch finanziell – und auf einem Gebiet mit hohem Anerkennungswert.“
Die FAU bietet mir …
„… eine wunderschöne Forschungsumgebung und engagierte Studierende. Hier ist man für Zukunftsthemen sensibilisiert, es herrscht ein „Wir-Gefühl“ am Lehrstuhl, aber auch im Department bis hin zur Universitätsleitung. Als Juniorprofessorin habe ich eine Anschubfinanzierung für neu berufene Professorinnen der Technischen Fakultät in Höhe von 50 000 Euro aus den universitätsinternen Zielvereinbarungsmaßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils in der Wissenschaft erhalten. Auch werde ich durch die Emerging Talents Initiative (ETI) der FAU gefördert. Inzwischen bin ich Stellvertretende Vorsitzende der Studienkommission Clean Energy Processes (CEP): Das ist ein neu anlaufender, englischsprachiger Studiengang an der FAU.“
Sich darüber hinaus zu engagieren …
„… ist mir ein persönliches Anliegen. Im vergangenen Sommer wurde ich von der Universitätsleitung zur Beauftragten gegen Antisemitismus an der FAU bestellt. Ich bin die Ansprechpartnerin für jüdische Studierende, Forschende, Lehrende und Mitarbeitende. Bei jeglichen Verdachtsfällen mit antisemitischem Bezug im Umfeld der FAU fungiere ich als Vertrauensperson. Das Amt wurde kürzlich von der Unileitung neu eingerichtet, weil beunruhigende, gesellschaftliche Tendenzen zu vernehmen sind – auch auf dem Campus. Ich finde es super, dass die Uni direkt geschlossen agiert und sagt: hier nicht! Keinen Millimeter bekommen Rassisten/Rassistinnen, Sexisten/Sexistinnen und Antisemiten/Antisemitinnen von uns! Da bin ich richtig stolz, Teil einer Uni zu sein, die aktiv wird und nicht nur zögerlich auf Vorfälle reagiert. Die Innovationskraft und Fortschrittlichkeit der FAU zeigt sich hier auch im gesellschaftlichen Miteinander. Davon abgesehen bin ich auch für den wissenschaftlichen Nachwuchs aktiv, etwa als Gutachterin für den DAAD und als Mentorin.“
Ich bin eine Kämpfernatur
„Seit dem Ende meines Studiums hatte ich mit starken körperlichen Beschwerden zu kämpfen, die mich teilweise extrem belasten und phasenweise wirklich in die Knie zwingen. Nach mehreren Operationen 2019 war nicht sicher, ob ich eine akademische Karriere kräftemäßig packe. Aber ich ziehe meine Ziele durch, weil ich so viel Erfüllung in meiner Arbeit finde und entscheide mich jeden Tag neu für diesen Weg. Ich erfahre Unterstützung durch ein tolles persönliches Umfeld. Auch helfen mir eine regelmäßige Reflexion und mein eigenes Erwartungsmanagement.“
Nachwuchswissenschaftlerinnen rate ich:
„Findet eine Thematik, die euch wirklich begeistert. Bei mir war das erst im letzten Studienjahr in einem Wahlfach der Fall. Erfahrungsgemäß vergleicht man sich immer mit den Besten und Lautesten in seinem Umfeld. Doch es ist nicht immer alles Gold, was glänzt, und andere kochen auch nur mit Wasser. „Konzentriert euch bewusst auf das Durchschnittsniveau und dann fragt euch: Traut ihr euch eine Bewerbung im Vergleich mit den anderen zu? Ich würde sagen: Ja! Es tut gut, ein paar Freundinnen oder ein Netzwerk zu haben, die auch eine akademische Karriere anstreben oder gerade im gleichen Ausbildungsschritt stecken. Man steht doch sehr oft vor den gleichen Herausforderungen und Zweifeln und der Austausch tut gut. Im Umfeld außerhalb der Uni findet man einfach weniger Resonanz, wenn man über manche Absurditäten des Forschungsalltags berichtet.“
Was zu tun ist, um mehr Frauen für MINT-Fächer zu gewinnen:
„Hier sollte man an mehreren Stellen ansetzen. Forschungseinrichtungen können ein gezieltes Headhunting für Frauen auf unbefristete Stellen und Professuren initiieren. Unis sollten zudem Berufungskommissionen für versteckte Vorurteile gegenüber Bewerberinnen sensibilisieren. Elternzeit und Teilzeit der Väter müssten Normalität werden. Mehr Familienfreundlichkeit und Teilzeitkonzepte sowie mehr Flexibilität für Schwangere und bei der Kinderbetreuung können ebenfalls Anreize für Frauen sein, in den MINT-Fächern zu bleiben. Auch müsste es einen Ausgleich von finanziellen Risiken für die Principal Investigators, also Projektleitungen, bei Einstellungen von Frauen im gebärfähigen Alter geben. Da darf es keinen Unterschied machen, ob man einen Mann einstellt oder eine Frau und damit die Laufzeiten von Projekten gefährdet. Hier sind auch die Drittmittelvergabestellen sowie die Uni mit Ausgleichsfonds und automatischen Laufzeitverlängerungen in der Pflicht. Und natürlich überzeugt man Wissenschaftlerinnen auch mit spannenden Inhalten.“
Dieser Artikel ist Teil der Broschüre „The Sky is the Limit“
Facettenreich, inspirierend und innovativ werden in der Broschüre „The Sky is the Limit“ MINT-Wissenschaftlerinnen aus der Technischen und Naturwissenschaftlichen Fakultät der FAU in abwechslungsreichen Interviews vorgestellt.
Weitere veröffentlichte Interviews können Sie online auf der Seite Research nachlesen.
Broschüre „The Sky is the Limit — MINT-Wissenschaftlerinnen an der FAU“ zum Download
Die Publikation entstand im Rahmen einer Kooperation zwischen dem GRK 2423 FRASCAL und dem Büro für Gender und Diversity. Die Interviews führte Dr. Susanne Stemmler.