Lernen von Muscheln und Schwämmen
Chemiker der FAU erhält Heisenberg-Förderung von rund einer Million Euro
Dr. Stephan E. Wolf, Privatdozent am Lehrstuhl für Glas und Keramik des Departments Werkstoffwissenschaften der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), ist in das prestigeträchtige Heisenberg-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) aufgenommen worden. Wolf untersucht die Bildung bio-anorganischer Festkörper und will daraus ressourcenschonende Syntheseverfahren für verschiedenste Anwendungen ableiten. Mit dem Programm fördert die DFG herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf ihrem Weg zu einer unbefristeten Professur. Die Fördersumme beträgt bis zu 1,11 Millionen Euro für bis zu 5 Jahre.
Muscheln sind faszinierende Wesen. Als zunächst winzig kleine Weichtiere schaffen sie es, im Laufe der Jahre, zum Teil über Jahrzehnte, extrem robuste Schalen zu bilden. Während die meisten von uns eher die schönen Formen und den schillernden Glanz des Perlmutts bewundern, interessiert die Wissenschaft sich zunehmend für den Prozess der Biomineralisation – die Frage also, wie es Lebewesen gelingt, aus einfachen Substanzen unter normalen Umweltbedingungen hochfeste Verbundwerkstoffe herzustellen. „Muschelschalen sind vergleichbar mit Hochleistungskeramik“, sagt Dr. Stephan E. Wolf vom Lehrstuhl für Glas und Keramik am Department Werkstoffwissenschaften der FAU. „Allerdings werden technische Keramiken bei bis zu 1600 °C gesintert, manche sogar bei bis zu 2500 °C. Die Muschel jedoch lebt im Wasser mit einer Temperatur von wenigen Grad.“
Seit Beginn seines akademischen Schaffens interessiert Wolf sich für die Bildung bioanorganischer Festkörper. Auch der Mensch bildet solche anorganischen Materialien, wenn er beispielsweise Zähne und Knochen wachsen lässt. Kalkbildende Korallen sind ebenfalls sehr prominente Beispiele, doch es gibt auch wahre Exoten wie den Glasschwamm, der in der Tiefsee lebt und sein Skelett aus Siliziumdioxid aufbaut. Stephan Wolf: „Wie bei der Muschel stellt sich auch bei diesen Schwämmen die Frage, wie sie am Meeresgrund knapp über dem Gefrierpunkt Glasfasern formen, die sogar Licht leiten, während wir dafür einen Schmelzofen benötigen.“
Hochfeste Keramiken oder weiches Wasser: amorphe Phase entscheidend
Bei seiner Forschung geht es Wolf um die chemischen Grundlagen dieser Prozesse. „Rein konzeptionell konnte Perlmutt mehrfach erfolgreich nachgeahmt werden, also ist das Design solcher Schutzpanzer recht gut verstanden – nicht aber, wie Organismen das auf der molekularen Ebene eigentlich steuern“, erklärt er. Der Schlüssel hierzu liegt, so Wolf, im frühen Stadium der Mineralisation, in der eine noch ungeordnete Struktur vorherrscht und sich noch keine Kristalle ausgebildet haben: „Welche Reaktionsbedingungen und Additive eine gezielte Kontrolle über die Ausfällung amorpher Mineralvorläufer in wässrigen Lösungen erlauben, wissen wir in vielen wichtigen Aspekten noch nicht – für eine günstige und nachhaltige Synthese anorganischer Materialien ist dieses Wissen jedoch unabdingbar.“
Ein besseres Verständnis der Mineralisationsvorgänge in Organismen will Wolf nicht nur für die Synthese hochfester oder funktioneller Materialien nutzen, sondern auch für andere umweltrelevante Fragestellungen – zum Beispiel, wie die Bildung eines Feststoffs wie Kalk verhindert werden kann. „Bisherige Untersuchungen haben gezeigt, dass die geringe Zugabe bestimmter Additive die Ablagerung von Kalk unterdrücken kann“, sagt er. „Das gelingt dadurch, dass sie die Löslichkeit von Kalk in Wasser auf ungewöhnliche Weise steigern.“ Die neuen Additive könnten schon bald eine umweltfreundliche Alternative zu den heute üblichen phosphathaltigen Mitteln für Waschmaschinen und Geschirrspüler sein, die unsere Gewässer stark belasten.
Neue Synthesewege für funktionelle Nanomaterialien
Inspiriert von den Mechanismen der bio-anorganischen Chemie geht Stephan Wolf sogar noch einen Schritt weiter: Mit der sogenannten spinodalen Entmischung will er neuartige funktionelle Nanomaterialien herstellen. „Alle Kristallisationsvorgänge laufen grundsätzlich binodal ab. Das bedeutet, nachdem sich irgendwo zufällig ein Kriställchen gebildet hat, wächst es langsam weiter. Spinodale Entmischung hingegen ist ein plötzlicher und räumlich ausgedehnter Vorgang, es entstehen keine vereinzelten Kristalle, sondern eine scheinbar chaotische, durchgehende, schwammähnliche Nanostruktur – und das schlagartig in der gesamten Lösung.“ Für eine erfolgreiche spinodale Entmischung sind extrem schnelle Prozesse entscheidend, deshalb galt sie in wässrigen Lösungen als praktisch nicht umsetzbar. Mit seinem neuen Ansatz und einer Hochdurchflussapparatur, die Lösungen innerhalb von Millisekunden vereint, macht es Wolf nun doch möglich.
Der größte Vorteil spinodaler Strukturen ist die extrem große und leicht zugängliche Oberfläche. Nanoporöse anorganische Materialien sind deshalb die idealen Werkstoffe für Sensorik, Katalyse, Abwasserbehandlung, Energiespeicherung und -umwandlung. Wolf: „Wenn wir die Natur grundlegend verstehen, können wir ihre Prinzipien ins Extreme steigern und Synthesewege eröffnen, die uns bislang verschlossen waren.“
Zur Person
Seit 2020 ist Stephan E. Wolf Privatdozent am Lehrstuhl für Glas und Keramik des Departments Werkstoffwissenschaften der FAU. Zuvor war er sechs Jahre lang Juniorprofessor für Biomimetische Materialien und Prozesse am selben Lehrstuhl. Sein Studium der Chemie absolvierte der gebürtige Mainzer an der dortigen Johannes-Gutenberg-Universität, an der er 2009 den Doktortitel in Chemie erlangte. Forschungsaufenthalte als Postdoc führten ihn an die Humboldt-Universität zu Berlin sowie an die Universitäté de Bourgogne (Frankreich) sowie die Cornell University (USA).
Wolf ist Mitglied des Editorial Boards der renommierten Fachzeitschriften Frontiers in Chemistry und Materials Letter. Für seine Leistungen in der Lehre wurde er mehrfach ausgezeichnet, zuletzt 2020 mit dem Young Lecturer Award der FAU.
Weitere Informationen:
PD Dr. Stephan E. Wolf
Department Werkstoffwissenschaften – Lehrstuhl für Glas und Keramik
stephan.e.wolf@fau.de