Was Mineralogie mit Zahnersatz zu tun hat
Wir präsentieren in einer Folge von 22 Beiträgen ein Panorama an FAU-Wissenschaftlerinnen verschiedener Qualifikationsstufen und akademischer Positionen, von der Studentin bis zur W3-Professorin. Als Role Models motivieren die Forscherinnen aus dem MINT-Bereich durch ihre individuellen Werdegänge Nachwuchswissenschaftlerinnen für eine akademische Laufbahn, denn sie geben interessante Einblicke in ihren beruflichen Werdegang. Dabei lernen wir die MINT-Expertinnen auch von ihrer privaten Seite kennen.
Postdoktorandin Katrin Hurle: Was Mineralogie mit Zahnersatz zu tun hat
Diplom-Mineralogin Dr. rer. nat. Katrin Hurle, Jahrgang 1985, stammt aus einem kleinen Dorf nahe Donauwörth und ist die erste Akademikerin in ihrer Familie. Schon als Kind war sie von Mineralen fasziniert, was mit ein Grund war, weshalb sie 2005 das Studium der Mineralogie, einem Teilbereich der Geowissenschaften, an der FAU aufnahm. Heute arbeitet sie mit Materialien, die der Medizintechnik und damit Patienten und Patientinnen zugutekommen. In ihrer Postdoc-Phase unterrichtet und forscht die Habilitandin am GeoZentrum Nordbayern. Sie veröffentlicht ihre Studienergebnisse und wirbt eigene Drittmittel ein. Auch engagiert sie sich in mehreren Gremien der FAU.
Hat es für Sie Schlüsselerlebnisse gegeben, die Sie darin bestärkt haben, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben?
Ja, schon das Studium gefiel mir sehr gut, vor allem, weil es sehr abwechslungsreich war. Im Rahmen meiner Diplomarbeit beschäftigte ich mich mit Untersuchungen zum Phasensystem Y2O3 – Al2O3 – B2O3, das für die Zucht von Laserkristallen wichtig ist. Damals konnte ich bereits einen ersten ‚Dienstausflug‘ zu Kristallzüchtern nach Idar-Oberstein unternehmen. Sehr bestärkt hat es mich auch, als im Rahmen meiner Promotion meine erste Veröffentlichung von einem Journal akzeptiert wurde. Es ist schon ein gutes Gefühl, wenn man in Literatur-Datenbanken den eigenen Namen findet. Ebenfalls motivierend war es, als ich bald danach von einem Professor der Uni Würzburg kontaktiert wurde, der meine Publikation gelesen hatte und nun mit mir zusammenarbeiten wollte. Diese Kooperation hält bis heute an. Außerdem war es natürlich super, endlich die Promotionsurkunde in der Hand zu halten. Das bestärkte mich auf jeden Fall darin, den wissenschaftlichen Weg weiterzugehen.
Wie kam es, dass Sie nach dem Studium an der FAU blieben?
Durch die Diplomarbeit hatte ich Lust bekommen, das wissenschaftliche Arbeiten zu vertiefen. Also nahm ich das Angebot eines Lehrstuhls zur Promotion in der Mineralogie gern an. Zumal nun nach den Lasermaterialien ein neues spannendes Thema winkte: Calciumphosphat-Zemente für die medizinische Anwendung als Knochenersatzstoff. Hier konnte ich mit einem Forschungsinstitut in der Schweiz kooperieren. Finanziert wurde die Promotion zum großen Teil durch ein Stipendium des Evangelischen Studienwerks Villigst. Danach setzte ich meine Forschungsarbeit durch ein einjähriges Postdoc-Stipendium der FAU zur Realisierung der Chancengleichheit von Frauen in Forschung und Lehre fort. Diese Zeit nutzte ich für das erfolgreiche Einwerben eines Projekts bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), womit meine Anstellung und meine Forschungstätigkeiten für weitere drei Jahre gesichert waren. Im Rahmen dieses Projekts arbeitete ich eng mit dem Lehrstuhl für Funktionswerkstoffe der Medizin und der Zahnheilkunde an der Universität Würzburg zusammen. In dieser Zeit bekam ich den Fakultätsfrauenpreis der Naturwissenschaftlichen Fakultät der FAU für erfolgreiche Nachwuchswissenschaftlerinnen verliehen. Mit dem Preisgeld konnte ich eine Doktorandin in meinem Team einstellen, mit der ich sehr gut zusammenarbeite. Aktuell bin ich über ein weiteres DFG-Projekt angestellt, das die detaillierte Untersuchung von Lithiumsilikat-Keramiken zum Ziel hat. Diese werden zur Herstellung von Zahnprothesen eingesetzt.
Sie könnten als promovierte Naturwissenschaftlerin ja auch in die Industrie gehen.
Ja, aber speziell für die akademische Laufbahn habe ich mich entschieden, weil mir neben der Forschung auch die Lehre sehr viel Spaß macht und ich mein Wissen gerne an Studierende weitergebe, sei es in Lehrveranstaltungen oder in der Betreuung von Abschlussarbeiten. Das hat man in der Industrie in der Form nicht. Außerdem besteht an der Universität weniger Druck, in der Forschung möglichst schnell wirtschaftlich verwertbare Ergebnisse zu erzielen. Man kann wissenschaftlichen Fragen tiefer auf den Grund gehen, als es in der industriellen Forschung möglich wäre, und mehr Grundlagenforschung betreiben. Das finde ich sehr spannend.
Wie sieht Ihr Arbeitsleben aus?
Ich verbringe viel Zeit im Büro am Computer, bin aber auch im Labor unterwegs und bediene dort spezielle Messgeräte wie Röntgendiffraktometer oder Wärmeflusskalorimeter. Einfache Laborarbeiten nehmen mir meist meine Studentischen Hilfskräfte ab, mit denen ich ein gutes Team bilde. Die Ergebnisse meiner Experimente werte ich dann am PC aus. Im Idealfall entstehen daraus Veröffentlichungen. Ein- bis zweimal im Jahr nehme ich an wissenschaftlichen Tagungen teil und bekomme Anregungen von anderen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen. Einmal konnte ich nach Los Angeles in Kalifornien reisen und war schon zweimal für mehrere Wochen an einem Forschungsinstitut in Portugal.
Was erfüllt Sie in Ihrem MINT-Fach?
Mich begeistert die Möglichkeit, immer wieder offenen Fragen auf den Grund zu gehen und Neues herauszufinden. Ich mag Teamwork und dass man gemeinsam mit Kollegen und Kolleginnen versucht, Erkenntnisse zu gewinnen, wobei alle ihre Expertise aus unterschiedlichen Blickwinkeln einbringen. Dass die FAU im Bereich Technik und Naturwissenschaften so breit aufgestellt ist, ermöglicht mir derzeit mehrere Kooperationen mit anderen Lehrstühlen der FAU, zum Beispiel dem Lehrstuhl für Glas und Keramik an der Technischen Fakultät. Dazu kommt, dass ich bei meiner Forschung das Gefühl habe, etwas Sinnvolles zu tun, wenn ich medizinische Produkte wie Zahnersatz oder Knochenzemente untersuche. Durch meine Arbeit können möglicherweise verbesserte Materialien entwickelt werden, welche am Ende den Patienten und Patientinnen zugutekommen.
Sie sind auch in verschiedenen Gremien
der Universität aktiv.
Ja, die letzten zwei Jahre war ich als Vertreterin des Wissenschaftlichen Mittelbaus im Vorstand des GeoZentrums Nordbayern. In den monatlichen Vorstandssitzungen geht es teilweise um die Ausgestaltung von Studiengängen, was sehr interessant ist. In dem Gremium ist immer auch eine Frauenbeauftragte vertreten, so dass auch regelmäßig Projekte zur Frauenförderung auf der Tagesordnung stehen. Aktuell bin ich nun im Vorstand des Departments Geographie und Geowissenschaften.
Wie können mehr Frauen für die MINT-Fächer gewonnen werden?
Ich finde es wichtig, bereits Schülerinnen zu ermöglichen, die MINT-Fächer aus erster Hand kennenzulernen. Unser Lehrstuhl ist seit mehreren Jahren beim Girls‘Day und beim Mädchen und Technik-Praktikum der FAU beteiligt. Dort zeigen wir den Schülerinnen anhand von anschaulichen Versuchen zum Mitmachen, dass die Geowissenschaften abwechslungsreich sind und Spaß machen. Das ist meiner Meinung nach ein sehr guter Weg, um neue Studentinnen anzuwerben. Wir achten bei diesen Veranstaltungen auch immer darauf, dass die Versuchsstationen zumindest zum großen Teil von Frauen betreut werden. So sehen die Mädchen, dass Geowissenschaften nicht nur was für Jungs sind und dass man auch als Frau in diesem Fachbereich erfolgreich arbeiten kann. Natürlich bemühen wir uns am Lehrstuhl auch, qualifizierte Studentinnen gezielt zu fördern, indem wir ihnen zum Beispiel eine Promotionsstelle anbieten.
Was raten Sie Nachwuchsforscherinnen, die eine akademische Laufbahn anstreben?
Es ist immer sehr hilfreich, sich insbesondere mit Frauen auszutauschen, die in einer ähnlichen Situation sind wie man selbst. Wenn man zum Beispiel bei Workshops oder auf einer Tagung Frauen kennenlernt, die sich gerade auf einer vergleichbaren Karrierestufe befinden, ist es wichtig, in Kontakt zu bleiben. Es ist auch sinnvoll, entsprechende Vernetzungsangebote am eigenen Lehrstuhl und der Universität zu nutzen. Und noch ein Tipp, falls es mal nicht so rund laufen sollte: Auch ich hatte während meiner Promotion ein ziemliches Motivationstief und glaubte, nicht richtig weiterzukommen. In dem Fall sollte man auch nicht davor zurückschrecken, sich Unterstützung zum Beispiel in Form einer professionellen psychologischen Beratung zu holen. Mit hilfreichen Ratschlägen von außen kann die Welt gleich wieder ganz anders aussehen.
Dieser Artikel ist Teil der Broschüre „The Sky is the Limit“
Facettenreich, inspirierend und innovativ werden in der Broschüre „The Sky is the Limit“ MINT-Wissenschaftlerinnen aus der Technischen und Naturwissenschaftlichen Fakultät der FAU in abwechslungsreichen Interviews vorgestellt.
Weitere veröffentlichte Interviews können Sie online auf der Seite Research nachlesen.
Broschüre „The Sky is the Limit — MINT-Wissenschaftlerinnen an der FAU“ zum Download
Die Publikation entstand im Rahmen einer Kooperation zwischen dem GRK 2423 FRASCAL und dem Büro für Gender und Diversity. Die Interviews führte Dr. Susanne Stemmler.