Wie rekonstruiere ich ein antikes Segel

Das Römerboot auf einem See.
Die Besatzung der F.A.N. hisst das Rahsegel. (Bild: FAU/Claus Maison)

Segel und Takelung für FAU-Römerboote in langwierigem Prozess rekonstruiert

„Keiner der römischen Bootsfunde ermöglicht eine Rekonstruktion der Besegelung römischer Boote. Auch die gut erhaltenen Exemplare aus Deutschland nicht“, sagt Prof. Boris Dreyer. „Aufgrund erhaltener Bauteile wissen wir aber, dass es bei beiden Booten, die wir nachgebaut haben, einen Mast gegeben hat.“ Diese lagen an einer für die Navigation und Stabilität der Boote relativ unkomfortablen Stelle weit vorne im Boot, nicht in der Mitte. „Hinzu kommt, dass antike Boote keine Kiele im modernen Sinne hatten“, führt der FAU-Althistoriker, Ideengeber und Leiter der Römerbootprojekte weiter aus. „Es gab keine Schwertkiele oder ähnliches. Das heißt, wenn der Wind von hinten kam, fuhren die Boote unter Segel stabil vorwärts.“ Kam der Wind jedoch seitwärts, fuhr das Boot auch seitwärts. Im Einsatz konnte dies bedeuten, dass Boote mitsamt ihrer Besatzung plötzlich unkontrolliert auf das feindliche Ufer zutrieben. In solche einem Fall galt es gegenzusteuern. Allerdings waren die Steuerruder am Heck angebracht und der Wind griff das Segel weit vorne im Schiff an: der Einfluss der Steuerruder auf die Stabilität und Manövrierbarkeit war begrenzt. Diesen Nachteil wussten die römischen Schiffsbauer zum einen dadurch zu verringern, dass sie die Steuerruder vorteilhaft gestalteten. Auch die Ruderer, die allerdings auf langen Fahrten geschont werden sollten, konnten den gewünschten Kurs unterstützen. Zum anderen ließen sich Segel und Takellage jedoch so gestalten, dass die römischen Bootsbesatzungen ohne Probleme auf Binnengewässern steuern konnten. Doch wie sah diese aus?

Mit antiken Abbildungen arbeiten

Hilfestellung bei der Rekonstruktion der Besegelung leisten auch hier Abbildungen auf antiken Reliefs, auf Münzen und auf Wandmalereien. Allerdings ist Vorsicht geboten: Künstler in der Antike nutzten ihre Freiheiten in der Gestaltung je nach Auftrag maximal aus, arbeiteten nicht maßstabsgetreu und hatten obendrein wenig Ahnung von Bootsbau und Seefahrt. „Sie haben nie im Blick gehabt, dass ihre Kunstwerke 2000 Jahre später als Informationsquellen für Rekonstruktionen dienen“, erklärt Dreyer. Antike Fachleute hätten im Gegenzug häufig nichts über ihr Handwerk aufgezeichnet, so der Althistoriker. Hinzu komme, dass 95 Prozent der antiken Literatur, dazu zählt auch Sach- und Fachliteratur, verloren ging. Mit den antiken Abbildungen lässt sich aber dennoch arbeiten. Denn mit ihnen ist es möglich, die genutzten Segelgattungen zu bestimmen: das Rahsegel (quer von steuer- nach backbord reichend), das Sprietsegel (entlang des Kiels vom Mast ausgehend) und am seltensten belegt, das Lateinersegel (von vorne im Bug unten, über den Mast hinaus nach oben zum Heck hin gespannt). Um die jeweiligen Maße der Segel richtig einschätzen zu können, zogen Dreyer und sein Team wieder die Handbücher zur traditionellen Schifffahrt des 18. und 19. Jahrhunderts zu Rate. Außerdem halfen Computersimulationen bei der Rekonstruktion.

Aufwendige Rekonstruktion

Spieren und Segel liegen auf einer Wiese.
Spieren und Segel der FAU-Römerboote. (FAU: Alexander Hilverda)

Für die F.A.N. hatten die FAU-Bootsbauer schon 2018 Rah- und Sprietsegel rekonstruiert. Damit diese haltbarer sind, verwendeten sie damals kein Leinen, sondern Duradon, ein moderner Stoff, der den antiken Segelstoffen am ähnlichsten sieht. Eine neue Herausforderung stellt die Herstellung von antikem Segelstoff aus Leinen dar. Schon im Sommer 2021 begann die Herstellung eines Rah- und eines Sprietsegels aus Leinen. Aber auch ein Lateinersegel sollte diesmal gebaut werden. „Hier standen wir vor den größten Problemen, da das bisher noch keiner gemacht hat“, berichtet Boris Dreyer. „Nachdem wir Rundhölzer für Rah- und Sprietsegel gefertigt hatten, die sogenannten Spieren, haben wir aufgrund der wenigen Belege über zwei Monate an der Rekonstruktion des Lateinersegels und dessen Takelwerk, das sogenannte Rigg, gearbeitet.“ Ziel ist es nun, die Leistungsfähigkeit der unterschiedlichen Segel aus modernem und antikem Segelstoff auf der F.A.N. und auf der Danuvina alacris zu testen. „Dabei untersuchen wir auch, welches Segel auf welchem Boot am besten geeignet ist und wie es sich auswirkt, wenn aufgrund der unterschiedlichen Segel sich der Schwerpunkt des Bootes weiter nach hinten in Richtung des Steuerruders verschiebt“, erklärt Boris Dreyer. „Es gibt also viel zu tun.“

Eine Segelmacher sitzt auf einer Bierbank und stopft ein Segel.
Der Hamburger Segelmacher Gerd Lahmeyer zeigt auf dem Workshop wie Segel gestopft werden. (Bild: Alexander Hilverda)

Im Mai 2022 fand dazu im Rahmen des EU Interreg DTP Projektes „Living Danube Limes“ ein Workshop zum römischen Handwerk statt. Dort widmeten sich Boris Dreyer, zusammen mit dem Münchner Archäologen Dr. Timm Weski und dem Hamburger Segelmacher Gerd Lahmeyer den Fragen, wie die Segel römischer Schiffe beschaffen waren und wie Taue und Takelage gemacht wurden.

Weitere Informationen

Prof. Dr. Boris Dreyer
Professur für Alte Geschichte
Tel: 09131/85-25768
boris.dreyer@fau.de