Renditefresser an der Strombörse
Je mehr Wind- und Sonnenenergie zum Einsatz kommen, desto weniger Rendite lässt sich damit an den Strombörse erzielen. Warum das so ist und wie ein deutlich höherer CO2-Preis dem entgegenwirken könnte, erklärt Mario Liebensteiner, Professor für Energiemärkte und Energiesystemanalyse.
Deutschland muss unabhängig von fossilen Energieträgern werden. Spätestens der Krieg in der Ukraine zeigt, dass diese Forderung nicht allein umweltpolitische, sondern auch sicherheitspolitische Fragen berührt. Daran wird sich auch wenig ändern, wenn Deutschland einen Großteil des Erdöls und -gases nicht mehr aus Russland, sondern etwa aus Staaten des Nahen Ostens bezieht. Das erklärte Ziel, bis zum Jahr 2030 über fünfzig Prozent weniger klimaschädliche Treibhausgase auszustoßen und bis 2050 sogar weitgehend treibhausgasneutral zu sein, erscheint vor diesem Hintergrund dringender als je zuvor.
Auch die neue Bundesregierung setzt dabei vorrangig auf die Förderung regenerativer Energiequellen, vor allem Wind und Sonne. „Das ist logisch, weil Deutschland bei anderen Ressourcen wie Wasserkraft oder Geothermie nicht sehr privilegiert ist und die Energiegewinnung etwa aus Biomasse mit deutlich höheren Grenzkosten verbunden ist“, sagt Mario Liebensteiner. Liebensteiner ist Professor für Energiemärkte und Energiesystemanalyse an der FAU und Mitglied im Projekt Energiesysteme der Zukunft (ESYS), einer Initiative der Wissenschaftsakademien für eine nachhaltige, sichere und bezahlbare Energieversorgung.
Grenzkosten ist ein Terminus aus der Volkswirtschaftslehre. Im Falle der Energieerzeugung beschreibt er den Mehraufwand für eine Erhöhung der Produktion. Diese Zusatzkosten tendieren bei Sonne und Wind gegen Null, weil unter günstigen Witterungsbedingungen bei gleichen Fixkosten mehr Strom produziert werden kann. Auch Kernkraftwerke haben relativ niedrige Grenzkosten, im Gegensatz zu Kohle- oder Gaskraftwerken, die für das Hochfahren ihrer Leistung mehr Brennstoff benötigen und mehr Geld für emittierte Treibhausgase bezahlen müssen.
Wind und Sonne kannibalisieren sich selbst
Ist die CO2-Abgabe jedoch zu niedrig, dann haben Anbieter von Wind- und Sonnenenergie ein Problem: „Die Strombörse zwingt die Teilnehmer dazu, ihre Angebote an ihren Grenzkosten zu orientieren“, sagt Liebensteiner. „Der Börsenstrompreis richtet sich dann nach dem Grenzkraftwerk – dem kostenintensivsten Kraftwerk, das gerade noch für die Energieversorgung benötigt wird.“ Steht also viel Energie aus Solarmodulen und Windkraftanlagen zur Verfügung, dann werden beispielsweise Gaskraftwerke temporär aus dem Markt verdrängt und die Erlöse an der Strombörse sinken dramatisch – in manchen Zeiten sogar auf negative Werte.
Immer dann also, wenn die Bedingungen günstig sind, verdienen Erzeuger von Solar- und Windenergie ohne Förderungen vom Staat wenig bis nichts. Liebensteiner spricht dabei von einer Selbst-Kannibalisierung erneuerbarer Energien. In verschiedenen Modellierungsszenarien hat er untersucht, wie man dieses Problem beheben kann: „Das wirksamste Mittel sind deutlich höhere Zertifikatpreise für CO2-Emissionen“, sagt er. Zwar sei der Preis des europäischen Emissionszertifikatehandelsprogramms ETS in den letzten vier Jahren gestiegen, mit aktuell etwa 80 Euro je Tonne CO2 jedoch immer noch zu niedrig. Nach Berechnungen des Ökonomen wären Abgaben von deutlich über 100 Euro erforderlich, um zu gewährleisten, dass erneuerbarer Strom auch mit geringeren oder sogar ganz ohne staatliche Förderungen produziert werden könnte. Liebensteiner: „Auf diese Weise würden fossile Kraftwerke verdrängt und Emissionen eingespart, zugleich könnten die erneuerbaren Energien kostengünstig im Markt bestehen.“
Mehr Markt, mehr Vernetzung
In einer früheren Studie hat Liebensteiner bereits gezeigt, dass eine stärkere CO2-Bepreisung hilft, die Treibhausgas-Emissionen effektiver zu senken als die Subventionierung erneuerbarer Energie. Großbritannien hatte 2013 eine CO2-Steuer eingeführt und damit den Preis pro Tonne sukzessive auf über 35 Euro angehoben. Während Deutschland mit seiner Subventionspolitik die Emissionen aus dem Stromsektor in den vergangenen acht Jahren nur moderat senken konnte, erreichten die Briten eine Emissionsminderung von über 50 Prozent. Ein entscheidender Vorteil der britischen Strategie besteht nach Einschätzung des Forschers darin, dass ein CO2-Preis marktbasierte Anreize setzt und nicht vorgibt, welche Technologie zum Zuge kommt: „Meiner Meinung nach sind gute marktliche Rahmenbedingungen zielführender als Förderprogramme, die alternative Technologien ausschließen.“
Die Vermeidung der Kannibalisierungseffekte hat jedoch Grenzen: Sie funktioniert nur, solange fossile Energiequellen am Strommarkt beteiligt sind. Wird der Bedarf ausschließlich durch erneuerbare Energien gedeckt, hat der CO2-Preis keinen Einfluss mehr auf die Rendite. Deutschland müsse dann über neue Steuerungsmechanismen nachdenken, sagt Mario Liebensteiner – und darüber, die europäischen Strommärkte stärker zu vernetzen: „Innerhalb Deutschlands sind Ertragsspitzen oder Dunkelflauten regional und zeitlich hoch korreliert. Wenn die Sonne scheint, scheint sie fast überall, und auch beim Wind sind die Unterschiede nicht sehr groß.“ Europaweit aber könnten Energiebedarfe und -angebote wesentlich besser ausgeglichen und damit auch kostendeckende Marktpreise erzielt werden.
von Matthias Münch
In der aktuellen Ausgabe finden Sie Artikel zu Renditeverlusten an der Strombörse bei erneuerbaren Energien und wieso dies so ist, zu künstlichem Gewebe aus Spinnenseide, zur Theaterkultur im 17. Jahrhundert, zum dritten Bildungsweg, zur Hochschulhackinggruppe FAUST und den Squirrels, einer eSport-Gruppe, sowie Interviews mit dem neuen Vizepräsident People Prof. Andreas Hirsch und dem neuen FAU-Botschafter Günther Weiss.
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