Wir müssen nur wollen
Warum es uns so schwer fällt, unser Verhalten zu ändern
Die Erde erwärmt sich immer schneller, und kaum jemand bestreitet den Anteil des Menschen an dieser Entwicklung. Laut einer Umfrage der EU-Kommission bezeichnen über 90 Prozent der Bürgerinnen und Bürger den Klimawandel als ernstes Problem, ebenso viele finden es wichtig, dass ehrgeizige Ziele dafür festgeschrieben werden, den Anteil erneuerbarer Energien zu steigern und die EU-Wirtschaft bis 2050 klimaneutral zu machen. Zugleich zeigt sich aber auch, dass sich die Bereitschaft der Menschen, einen persönlichen Beitrag zur Klimarettung zu leisten, in Grenzen hält. Einer repräsentativen Forsa-Umfrage vom Mai 2021 zufolge ist nur rund ein Drittel der Bevölkerung bereit, den Fleischkonsum zu reduzieren, Wind- oder Wasserkraftanlagen in der eigenen Nähe zu akzeptieren, auf Flugreisen zu verzichten oder in absehbarer Zeit auf ein Elektroauto umzusteigen.
Motivationssystem anzapfen
Woher kommt diese Diskrepanz zwischen allgemeiner Zustimmung für mehr Klimaschutz einerseits und der konsequenten Änderung des eigenen Verhaltens andererseits? Fehlt es an der nötigen Motivation? „Der Motivationsbegriff wird heute oft zu weit gefasst“, sagt Prof. Dr. Oliver Schultheiss vom Lehrstuhl für Allgemeine Psychologie der FAU. „Im engeren Sinne adressieren Motivationen die affektiven Dinge des Lebens, also ganz konkrete Bedürfnisse oder Aversionen. Da unterscheiden wir uns gar nicht so sehr von den Tieren.“ Allerdings, erklärt Schultheiss, seien Menschen in der Lage, aus Vernunft zu handeln und sich selbst zu regulieren. Wer wegen eines Lochs im Zahn zum Zahnarzt geht, tut dies nicht aus motivationalen Gründen, sondern aufgrund von Einsicht und Selbstregulation. Diese Einsicht lässt Menschen aktiv werden, auch wenn sie selbst nicht unmittelbar betroffen sind – etwa wenn sie Geld für die Opfer einer Hochwasserkatastrophe spenden.
Das Problem an selbstreguliertem Verhalten sei, so Schultheiss, dass es sich eher um eine kurzfristige Kontrolle handele. „Das Paradebeispiel dafür sind unsere guten Vorsätze zum Jahreswechsel“, sagt er. „Wir wollen uns gesünder ernähren, mehr Sport treiben oder mit dem Rauchen aufhören. Das Wenigste davon setzen wir wirklich um.“ Um Menschen zu nachhaltigen Verhaltensänderungen zu bewegen, etwa umweltgerecht zu leben, sind Vorwürfe oder Verbote wenig hilfreich, das zeigen die Erfahrungen aus der Motivationspsychologie. „Besser ist es, positive affektive Anreize zu setzen und damit unser Motivationssystem anzuzapfen sowie unser träges Gewohnheitssystem zu überlisten“, erklärt Schultheiss. Solche Anreize können durchaus finanzieller Natur sein, beispielsweise indem Elektroautos oder Lastenfahrräder staatlich gefördert werden.
Wichtig sei aber auch, Verhaltensänderungen mit positiven Erfahrungen zu verknüpfen. „Wer als überzeugter Fahrer eines Autos mit Verbrennungsmotor einmal ein E-Auto ausprobiert, gelangt möglicherweise zu der Erkenntnis, das E-Mobilität genauso viel oder sogar mehr Spaß machen kann“, sagt Schultheiss. „Dasselbe gilt für Fleischersatz, und da gibt es heute raffiniertere Produkte als die Tofuwurst. Wir sollten mehr Möglichkeiten schaffen und nutzen, Menschen mit umwelt- und klimafreundlichen Alternativen in Berührung zu bringen.“ Alternativen zu bieten, Verhaltensänderungen attraktiv zu machen, sei letztlich erfolgversprechender als Ideologien und Grundsatzdiskussionen, die leicht in argumentative Sackgassen führen können.
Neue Gewohnheiten schaffen
Dass die Diskussion um Nachhaltigkeit – und übrigens auch die Forschung zu diesem Thema – nicht frei von Ideologien ist, betont auch Prof. Dr. Klaus Moser, Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschafts- und Sozialpsychologie. „Eine der beeindruckendsten Definitionen von Nachhaltigkeit hat der deutsch-amerikanische Philosoph Hans Jonas vor über 40 Jahren formuliert. Danach solle der Mensch so handeln, dass die Wirkungen seiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz menschlichen Lebens auf Erden.“ Doch selbst wenn wir uns als Gesellschaft auf diese Definition des ökologischen Imperativs verständigen, falle es nicht immer leicht, darüber zu entscheiden, warum bestimmte Verhaltensweisen als nachhaltig oder moralisch überlegen gelten sollen.
Der Schritt von der Einsicht in bestimmte Zusammenhänge hin zu tatsächlichem Verhalten ist kein Selbstläufer, sagt Moser: „Das beginnt ja bereits bei der eigenen Gesundheit: Wir wissen, dass wir uns gesünder ernähren und mehr bewegen müssen, dennoch gibt es immer mehr Menschen mit Übergewicht.“ Noch schwieriger wird es, wenn es um wesentlich abstraktere Ziele geht – etwa die Umwelt zu schützen, damit auch nachfolgende, uns nicht bekannte Generationen gut leben können. „Der Mensch hat keine Sinnesorgane für Klimawandel, seine Reflexe sind nicht auf Zukunftsprobleme ausgerichtet.“ Erschwerend kommt hinzu, dass die Wirksamkeit des persönlichen Beitrags zu gesellschaftlichen Zielen als sehr gering wahrgenommen wird. Warum soll ich das Auto stehen lassen oder meinen Fleischkonsum reduzieren, wenn die anderen es auch nicht tun? Das Verhältnis von wahrgenommenen Kosten zu wahrgenommenem Nutzen spielt ebenfalls eine Rolle: Sind wir am Ende tatsächlich bereit, mehr Geld für ökologisch produzierte Lebensmittel oder fair gehandelte Kleidung zu bezahlen?
Dass der Mensch ein Gewohnheitstier ist, kann für ökologische Ziele nachteilig sein. Andererseits liegt gerade in Gewohnheiten eine Chance für nachhaltige Veränderungen: „Ich kann mich noch gut an den Aufschrei vieler Mitmenschen erinnern, als 1993 die fünfstelligen Postleitzahlen eingeführt wurden“, erzählt Klaus Moser. „Wenige Jahre später waren sie eine absolute Selbstverständlichkeit.“ Wichtig sei es, Veränderungen einfach zu machen, was bei der Mülltrennung beispielsweise gut funktioniert habe: „Wir wissen, was in die gelbe, blaue oder braune Tonne gehört, das ist ein leicht zu verstehendes System. Wenn wir diese Regel befolgen, werden wir dadurch belohnt, dass wir weniger für die Entsorgung des Restmülls bezahlen müssen.“ Solche Gewohnheiten werden im Laufe der Zeit zu sozialen Normen und für den Einzelnen nicht nur durch finanzielle Anreize, sondern auch durch positive Rückmeldung attraktiv und verbindlich.
Wie sein Kollege Schultheiss hält auch Moser wenig davon, Verhaltensänderungen vorwiegend durch Verzicht und Verbote durchzusetzen, denn das sei eine zu eingeschränkte Sicht auf die menschliche Leistungsfähigkeit. Ressourcen werden nicht nur verbraucht, sie werden auch geschaffen – etwa durch Bildung und die Schärfung des Verstandes. „Nachhaltiges Verhalten bedeutet nicht nur, mit dem Fahrrad zur Universität zu fahren, seinen Müll zu trennen oder weniger Fleisch zu essen. Es bedeutet auch, die eigenen Talente zu entwickeln und Begabungen nicht nur als Geschenk und Möglichkeit, sondern auch als Verpflichtung zu erkennen, etwas daraus zu machen.“
Manchmal hilft ein Schubs
Finanzielle Belohnung und soziale Rückmeldung sind nicht die einzigen Anreize zur Förderung einer gesunden und nachhaltigen Lebensweise. In den vergangenen Jahren werden verstärkt neue Instrumente diskutiert, mit denen klima- und umweltgerechtes Verhalten gesteuert werden kann. Diese werden unter dem Sammelbegriff „Nudging“ zusammengefasst: „Nudging zielt darauf, die Entscheidungen des Einzelnen zu beeinflussen, ohne die Wahlfreiheit einzuschränken oder wirtschaftliche Anreize zu setzen“, erklärt Prof. Dr. Verena Tiefenbeck, Inhaberin der Tenure-Track-Professur für Digitale Transformation.
Ansätze für dieses „Anstoßen“ finden sich zum Beispiel beim Einkaufen, etwa wenn ökologische, klimaneutrale, regional produzierte oder fair gehandelte Produkte sichtbarer positioniert oder besonders gekennzeichnet werden. Auch die Gesundheitsampel auf Lebensmitteln zielt in diese Richtung. „In der Theorie klingt das gut, die Ergebnisse sind jedoch nicht sehr überzeugend“, sagt Tiefenbeck. „Ohne weitere Begleitmaßnahmen erzielt die Gesundheitsampel nur eine geringe Wirkung.“
Die Wissenschaftlerin untersucht deshalb, welches Potenzial digitale Systeme für Verhaltensinterventionen besitzen: In einem experimentellen Online-Supermarkt beispielsweise wurden die Lebensmittel – ähnlich der analogen Gesundheitsampel – mit einem Nutri-Score versehen. Für eine Testgruppe wurden die Produktbilder ungesunder Lebensmittel zusätzlich etwas blasser dargestellt als die Bilder gesunder Alternativen. Das klare Ergebnis: Die visuelle Reduktion führte dazu, dass 44 Prozent weniger ungesunde Produkte gekauft wurden als in der Kontrollgruppe. Tiefenbeck: „An diesem Ergebnis änderte es auch nichts, dass wir über diesen Nudge transparent informiert hatten.“
Ein weiteres Experiment mit erstaunlicher Wirkung digitaler Intervention betrifft den Energieverbrauch beim Duschen. In den Bädern mehrerer hundert Haushalte wurden digitale Anzeigen installiert, die gut sichtbar über den momentanen Wasser- und Energieverbrauch informierten. Diese Installation führte dazu, dass beim Duschen über 20 Prozent weniger Energie verbraucht wurde als in der Kontrollgruppe, die den Verbrauch nicht angezeigt bekam. In einer weiteren Studie wurde das Gerät in den Bädern von acht Hotels eingebaut. Das Ergebnis war vergleichbar mit den Haushalten – was insofern bemerkenswert ist, als dass die Gäste im Hotel keinerlei finanzielle Vorteile von ihrem sparsamen Verhalten hatten. „Wichtig ist, dass den Verbrauchern ein Feedback in Echtzeit gegeben wird, das einen direkten Zusammenhang zwischen Verhalten und Wirkung signalisiert“, erklärt Tiefenbeck. „Eine zentrale Wasseruhr oder die jährliche Stromabrechnung haben bei Weitem nicht diesen Effekt.“
Belastbare Aussagen über die Langzeitwirkung der Verhaltensänderung können auf Basis dieser Experimente zwar nicht getroffen werden, doch in den mehrmonatigen Studien mit den Haushalten waren die beobachteten Einspareffekte stabil. Das lässt auf ein beachtliches Einsparpotenzial hoffen, das auch in anderen Bereichen des Alltags genutzt werden kann: „Zum Teil wird das ja bereits umgesetzt, etwa bei der Anzeige des Momentanverbrauchs im Auto“, sagt Tiefenbeck. „Auch hier zeigen sich ähnlich positive Effekte.“ Wichtig sei, dass Nudging nicht mit Manipulation verbunden werde. Nudging-Maßnahmen sollten immer transparent gemacht werden, außerdem sollten sie frei von jeder Form der Verbrauchertäuschung sein.
Spielend zum Ziel
Zunehmend in den Fokus rückt auch die spielerische Auseinandersetzung mit dem Thema Nachhaltigkeit. „Spiele ziehen uns in den Bann und begeistern uns“, sagt Prof. Dr. Benedikt Morschheuser, Inhaber der Professur für Wirtschaftsinformatik. „Nicht umsonst spielt rund ein Drittel der Menschen weltweit regelmäßig Videospiele, Männer und Frauen gleichermaßen.“ Seit neun Jahren forscht Morschheuser zum Thema Gamification an der Schnittstelle von Psychologie, Game-Design und Informatik. Er untersucht zum Beispiel, wie Banken oder Automobilhersteller neue Produkte und Technologien mit spielerischen Anwendungen auf den Markt bringen können.
Spiele, sagt Morschheuser, seien bestens geeignet, kognitive und emotionale Barrieren zu überwinden. Immer mehr Programme zur Wissensvermittlung setzen deshalb auf Gamifizierung. Duolingo beispielsweise ist auf diese Weise zur erfolgreichsten Sprach-Lern-App der Welt geworden: Die Inhalte werden – ähnlich einem Computerspiel – von Level zu Level vermittelt, man kann sich mit Freunden vergleichen und seine Fortschritte sogar in verschiedenen Ligen unter Beweis stellen. Morschheuser: „Solche Challenges können nicht nur beim Lernen helfen, sie können auch Motivation fördern und unser Verhalten beeinflussen. Das zeigen beispielsweise Sport-Apps wie adidas Runtastic.“
In einem aktuellen Projekt mit der Universität Koblenz-Landau untersucht Benedikt Morschheuser, wie Gamification-Apps umwelt- und klimagerechtes Verhalten unterstützen können: Mittels spielerischer Intervention – geplant ist eine Web- oder Smartphone-App – sollen die Mitarbeiter kleiner und mittelständischer Unternehmen motiviert werden, den Stromverbrauch am Arbeitsplatz zu senken, Autofahrten zu reduzieren und weniger Abfall zu produzieren. „Aus dem Bereich privater Haushalte wissen wir, dass Punktesysteme, Ranglisten, Challenges, personalisierte Tipps und direktes Feedback zu nachweislich geringerem Energie- und Wasserverbrauch führen können“, sagt Morschheuser. „Warum sollte das nicht auch im beruflichen Umfeld funktionieren?“
Die Forschung der vergangenen zehn Jahre zeigt, dass Gamification unsere Motivation und unser Verhalten zumindest kurzfristig sehr effektiv beeinflussen kann. „Die besondere Herausforderung beim Thema Umwelt und Klima ist jedoch, dass die Ergebnisse erst in vielen Jahren sichtbar werden und sich nicht auf das Verhalten eines Individuums zurückführen lassen“, erklärt Morschheuser. Der Wirtschaftsinformatiker erforscht deshalb auch, inwieweit sich nachhaltiges Handeln jenseits von Rankings und Wettbewerben spielerisch fördern lässt. „In Spielen wie Ingress, Pokémon Go oder World of Warcraft schließen sich Menschen zusammen, um schwere Aufgaben gemeinsam zu bewältigen“, sagt er. „Offenbar sind die Gestaltungselemente solcher Spiele dafür geeignet, Kooperation und sogar Altruismus zu fördern.“ Erste Experimente zeigen bereits, dass dieser Effekt auch bei Nachhaltigkeitsthemen funktioniert: Bei der Erprobung einer App, die eine langwierige Parkplatzsuche und damit hohe CO2-Emissionen vermeiden helfen soll, zeigten jene Spielansätze die besten Ergebnisse, die auf Kooperation innerhalb von Teams setzten.
Über den Autor
Matthias Münch studierte Soziologie und arbeitete als freier Journalist bei verschiedenen Tageszeitungen. Seit 2001 unterstützt er Unternehmen und wissenschaftliche Einrichtungen bei der Öffentlichkeitsarbeit und Corporate Communication.
FAU-Forschungsmagazin friedrich
Dies ist ein Beitrag aus unserem Forschungsmagazin friedrich. Die aktuelle Ausgabe nimmt Sie mit in die Welt der Nachhaltigkeit: Wie können wir eine Welt gestalten, in der wir alle gut leben können – auf sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Ebene?
Ein Print-Exemplar können Sie sich direkt an einer der vielen Auslagen der FAU mitnehmen oder kostenfrei bestellen – einmalig oder als Abo.