Schöne neue Arbeitswelt
Die Corona-Pandemie hat die Arbeitswelt verändert: ein kurzfristiges Anpassen oder ein längerfristiges Umdenken?
Arbeiten, wann immer wir wollen. Die Frühaufsteherin legt um neun Uhr eine erste kurze Pause ein, der Morgenmuffel steht da gerade auf. Weil der Laptop meine Nabelschnur in die Firma ist, kann ich in der Küche, am heimischen Schreibtisch oder auch unterwegs arbeiten. Feierabend ist, wenn ich es will. Auch mal erst um 21 Uhr, wenn ich noch die Kinder ins Bett gebracht habe.
Schöne neue Arbeitswelt. Corona sei Dank? Mit der Pandemie rutschten viele notgedrungen ins Homeoffice. Chef/-innen mussten lernen loszulassen und zu vertrauen. Darauf, dass ihre Mitarbeitenden zu Hause genauso viel leisten wie im Büro, wo sie sie im Blick haben. Im Laufe der Coronakrise zeigte sich jedoch: In der Heimarbeit stieg die Zahl der Überstunden. Die Umfrage „People at Work 2021: A Global Workforce View“ untersuchte das Verhalten von 32.000 Arbeitnehmer/-innen in 17 Ländern und zeigte: Bei der Anzahl der unbezahlten Überstunden war ein deutlicher Anstieg von durchschnittlich 7,3 auf 9,2 Stunden pro Woche zu verzeichnen.
Widersprüchlich
Das Studienbild ist kontrovers: Während manche Studien, zum Beispiel vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, von einer Retraditionalisierung sprechen, weil viele Frauen mit Kindern in der Coronazeit ihre Arbeitszeit reduziert oder sogar die Arbeit aufgegeben hätten, zeigen andere Studien, etwa vom Wiesbadener Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung), dass im Lockdown auch die Männer mehr Familienarbeit übernommen haben.
Die Pandemie legte die Arbeitswelt, wie wir sie kannten, lahm. „Was geblieben ist, ist das Bewusstsein dafür, wie man auch arbeiten kann. Es haben sich neue Möglichkeiten eröffnet“, zieht Amanda Voss vom Lehrstuhl für Arbeits- und Sozialmedizin der FAU eine erste positive Bilanz.
Die Doktorandin gehört zu der Arbeitsgruppe Public Health am Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin (IPASUM) der FAU. Für die „Langzeitstudie Gesundheit und Arbeit infolge der Coronakrise“ befragte diese im Herbst 2020 über 280 Arbeitnehmer/-innen. „15 Prozent möchten auch nach der Pandemie immer im Homeoffice arbeiten, knapp über 20 Prozent nie. Zwischen diesen beiden Polen sind die Bedarfe und Wünsche sehr gemischt“, sagt die Soziologin. Jeder müsse schauen, was ihm guttue. Es sei aber wichtig, dass sich Unternehmen und Angestellte darüber austauschen, was funktioniert und was weniger.
Flexibilität wird geschätzt
Es gibt diejenigen, die am Homeoffice schätzen, dass sie Pausen machen können, wenn es Sinn ergibt. Und nicht unbedingt dann, wenn im Büro alle in die Kantine gehen. Die Arbeitsstättenverordnung verlangt, dass man nicht den ganzen Tag in den PC starrt. Zu Hause kann ich den Geschirrspüler ausräumen und dabei die Perspektive wechseln.
Einige sind froh, wenn sie die Kolleg/-innen nicht jeden Tag sehen. Andere vermissen den Arbeitsplatz, weil sie dort auch über Privates reden können. „Wobei es gut möglich ist, sich auch virtuell über private und praktische Dinge auszutauschen. Vorausgesetzt, das Team ist gut eingespielt“, sagt Amanda Voss.
Die meisten Beschäftigten wünschen sich ein paar Tage pro Woche im Homeoffice und ein paar Tage im Büro. Dort lassen sich Dinge gemeinsam bearbeiten, zu Hause kann man Aufgaben in Ruhe erledigen. Wenn es die Familiensituation zulässt. „In der Pandemie kamen mit dem Homeschooling und der fehlenden Kinderbetreuung Stressfaktoren hinzu, die nichts mit Homeoffice zu tun haben“, sagt Voss. Das erschwere die Auswertung der Befragung mit Blick darauf, welche Lehren aus der Coronakrise gezogen werden sollten. Voss hofft: „Von der Pandemie könnte das Bewusstsein bleiben, dass wir nicht so weiterarbeiten müssen wie in den letzten 50 Jahren.“
Veränderung ist wünschenswert, findet auch Prof. Dr. Sven Laumer vom Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik an der FAU. „Wir müssen aber berücksichtigen, dass unterschiedliche Dinge, die wir während der Arbeit tun, unterschiedliche Konstellationen von Online- und Offline-Tätigkeiten erfordern. Wenn ich alleine arbeite und mich auf eine Aufgabe konzentrieren muss, brauche ich Ruhe. Die kann ich im Büro finden, wenn ich mich da zurückziehen kann, oder auch im Homeoffice.“ Andererseits sind immer wieder auch Dinge im Team zu tun.
Ausbau des Homeoffice?
Wird das Homeoffice nach der Pandemie noch stärker ausgeweitet? Trotz generell weitgehend positiver Erfahrungen stehen dem laut dem Arbeitswelt-Bericht 2021 viele Unternehmen skeptisch gegenüber: 55 Prozent der befragten Unternehmen, die das Homeoffice nicht ausbauen wollen, finden, dass sich die Zusammenarbeit erschwere. 39 Prozent beobachten negative Auswirkungen auf die Unternehmenskultur. Der Arbeitswelt-Bericht wird vom Rat der Arbeitswelt veröffentlicht, einem Expertengremium, das das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Anfang 2020 erstmals öffentlich vorgestellt hat.
(Quelle: Rat der Arbeitswelt https://www.arbeitswelt-portal.de/arbeitsweltbericht/arbeitswelt-bericht-2021)
Wie können neue Arbeitsstrukturen aussehen?
Wenn sich die Gruppe kennt und schon Vertrauen aufgebaut ist, könne man das online machen. „Aber besonders, wenn ein neues Mitglied ins Team kommt oder ein neues Projekt ansteht, ist es sinnvoll, dass man offline in den direkten Kontakt geht.“ Dabei muss einerseits das Vertrauen wachsen, dass der andere tatsächlich kann, was er verspricht. Andererseits geht es um die emotionale Basis.
Die Suche nach gelungenen Arbeitsstrukturen führt also weder allein ins Homeoffice noch schnurstracks zurück ins Büro. Die Mischung macht’s. „Wichtig für Innovation und Kreativität sind auch die zufälligen Begegnungen am Arbeitsplatz“, betont Wirtschaftsinformatiker Sven Laumer.
Im Aufzug oder in der Kantine treffe ich Leute, die nicht in meinem Team sind. Doch gerade in zufälligen Gesprächen können neue Ideen entstehen. Diese Zufallskontakte waren Yahoo und der Bank of America so wichtig, dass sie schon vor Jahren nach einer Zeit des reinen Homeoffice ihre Mitarbeitenden zurück in die Büros beordert haben.
Die Pandemie hat deutlich gemacht, wie groß die Herausforderung ist, eine gute Mischung aus Online- und Offline-Arbeit zu erreichen. Laumer: „Wir stehen an dem Punkt, dass Unternehmen überlegen, wie sie Räume für konzentriertes Arbeiten einerseits und für Teamarbeit sowie soziale Kontakte andererseits organisieren.“ Einige Unternehmen kommen zu dem Schluss, dass sie keine festen Schreibtische mehr brauchen. „Sie planen stattdessen mit mehr Flächen für Austausch und Kommunikation.“
So kann es sein, dass Teams montags und dienstags zu Hause arbeiten, mittwochs und donnerstags in der Firma zusammenkommen und am Freitag jeder für sich entscheidet, wo er arbeitet. Dabei sei zu bedenken, dass sich unterschiedliche Arbeitsgruppen auch im Büro treffen und austauschen können. Wegen der Kreativität.
Austausch über Erfahrungen ist wichtig
Haben Mitarbeitende zu Hause keine Ruhe, kann ein Co-Working-Space die Antwort sein. „Wenn Angestellte aus Weißenburg bisher jeden Tag in den Firmensitz nach Nürnberg gependelt sind, kann man sich schon fragen, ob das sein muss“, sagt Laumer. Es wäre auch möglich, zusammen mit anderen Firmen in Weißenburg einen Co-Working-Space zu mieten. Dann haben die eigenen Leute dort gleich noch neuen Input, und sie müssen nur noch ein- oder zweimal pro Woche nach Nürnberg fahren. Was wiederum gut ist für die Umwelt. Unternehmen in Nürnberg denken gerade über solche Lösungen nach.
Seit Corona ist klar: Arbeiten wird flexibler. Aber kommen damit alle Menschen gut klar? Viele neigen im Homeoffice zur Selbstausbeutung. Nach einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung empfindet die Hälfte der Erwerbstätigen ihre Situation im Homeoffice stark oder äußerst belastend, bei Alleinerziehenden oder Geringverdienern sind es 62 Prozent.
Daheim fällt es oft schwer, Privates von der Arbeit zu trennen. Man müsse immer wieder den Dialog mit der Familie suchen und sagen, dass man nebenher eben nicht die ganze Hausarbeit erledigen kann, sagt Sven Laumer. Er geht davon aus, dass Firmen ihre Angestellten auf die neuen Arbeitsmodelle vorbereiten müssen. „Die Mitarbeitenden brauchen die Möglichkeit, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Und zwar nicht mit der Chefin oder dem Chef, da sind die Ängste zu groß. Wir brauchen neue Coaches für die neue Arbeitswelt.“
Der eine arbeitet gern mit Headset im Café, der andere im Wohnmobil. „Die Grenzen der Flexibilität sind erreicht, wenn die Produktivität eingeschränkt ist und es der Gesundheit schadet“, sagt Laumer. Unternehmen sollten sich auch überlegen, was sie ihrem Personal bieten. „Ihnen zu Hause einen ergonomisch guten Arbeitsplatz einzurichten, trägt zur Gesundheit der Mitarbeitenden ebenso bei wie dazu, Fachkräfte an die Firma zu binden.“ In Zeiten eines Arbeitnehmer/-innen-Arbeitsmarktes ein wichtiger Aspekt.
Corona kein Digitalisierungsbeschleuniger?
Für Prof. Dr. Sabine Pfeiffer, Leiterin des Lehrstuhls für Soziologie mit dem Schwerpunkt Technik – Arbeit – Gesellschaft an der FAU, stellt sich die Frage, ob wir langfristig auf Firmen als soziale Begegnungsorte verzichten möchten. „Leisten wir uns die Vereinzelung oder ist eine Firma mehr als das?“
Im Unternehmen erleben sich alle als Teil eines großen Ganzen, dort entstehen Innovationen. „Management-Literatur und Unternehmensberatungen befassen sich mit dem Thema, wie Mitarbeitende involviert und begeistert werden können. Dafür sind persönliche Treffen ein wichtiger Treibriemen“, ist Pfeiffer überzeugt. Sie geht davon aus, dass die Unternehmen in den nächsten Jahren ausprobieren werden, welche Modelle für sie am besten passen.
„Das Thema Heimarbeit ist aber nicht neu, wir kennen das schon aus den 1990er-Jahren von der Telearbeit.“ Seit Corona hätten die Prozesse nur mehr Tempo bekommen. Mit zwiespältigen Konsequenzen. Sabine Pfeiffer betrachtet den üblichen Diskurs, der begeistert davon schwärmt, wie sehr die Coronakrise die Digitalisierung beschleunigt hat, eher skeptisch: „Bei gerade mal 25 Prozent der Berufstätigen lässt die Arbeit es überhaupt zu, dass sie für längere Zeit im Homeoffice sind. In der Pflege oder bei der Maschinenarbeit geht das zum Beispiel gar nicht.“
Die Forschung zeige außerdem, dass sich Kolleginnen und Kollegen jetzt zwar mehr bei Online-Konferenzen treffen, „ansonsten schreiben sie sich aber weiterhin Mails und nutzen fortschrittlichere Tools wie das gemeinsame Arbeiten in der Cloud auch nicht häufiger als vorher.“
Corona ist für Pfeiffer kein großer Digitalisierungsbeschleuniger, „wir haben nur nachgeholt, was vorher schon möglich war.“ Auch die Hoffnung, im Homeoffice flexibler arbeiten zu können, werde mit vielen zusätzlichen Stressfaktoren bezahlt. „Die Arbeit verdichtet sich im Homeoffice. Der Freiraum, der entsteht, weil man nicht zur Arbeit pendeln muss, füllt sich schnell mit Aufgaben. Wenn eine Kollegin fragt, ob man noch ein Online-Meeting ansetzen kann, sagt man eben nicht Nein. Neben der Konferenz erledigt man dann zusätzlich seine Mails, weil dafür sonst keine Zeit bleibt. Oder man beruhigt die Kinder. Dabei ist der Mensch eigentlich gar nicht multitaskingfähig.“
Welche Veränderungen werden bleiben?
Der Stress kann gesundheitliche Folgen haben. Außerdem habe sich gezeigt, dass die Familienarbeit im Homeoffice mehr an den Frauen hängen bleibt. „Das ändert sich auch nicht, wenn beide Partner zu Hause arbeiten.“ Im Privaten seien die Rollenverhältnisse altmodischer als gedacht, sagt Pfeiffer. „In der Pandemie haben sich die strukturellen Unterschiede zwischen den Geschlechtern eher verstärkt.“
Was sollte also bleiben von den Umwälzungen der Coronakrise? Sabine Pfeiffer hofft ebenso wie Sven Laumer und Amanda Voss, dass dauerhaft weniger zu Geschäftsterminen gereist wird. „Es ist aber schwierig, da Prognosen aufzustellen“, sagt Pfeiffer. Sie geht davon aus, dass in Unternehmen häufiger die Frage gestellt wird, ob es bei einem Geschäftstermin um Inhalte geht, die gut online abgehandelt werden können, oder ob auch die informelle Seite wichtig ist. Etwa weil sich Geschäftspartner erst kennenlernen und vielleicht schon am Abend vor dem Meeting miteinander beim Essen plaudern sollten.
Zu Beginn der Pandemie war die Hoffnung groß, dass mit der Krise auch ein ökologisches Umdenken stattfindet. „Plötzlich waren die Städte leiser, das fanden viele toll. Doch das allein reicht nicht“, sagt Pfeiffer. „Wenn wir ökologisch umschwenken wollen, darf es in der Wirtschaft nicht länger primär um schnelles Wachstum gehen, sondern mehr um Nachhaltigkeit und Qualität.“
Die Pandemie habe die Probleme deutlich gezeigt – etwa dass Pflegekräfte notorisch schlecht bezahlt werden, weil auch Krankenhäuser Profit abwerfen sollen. Aber für die Lösungen müssten sich Politik und engagierte Bürger/-innen jetzt stark machen. Eine neue Arbeitswelt, in der sich möglichst viele wohlfühlen und in der kein Neid entsteht, weil einige im Homeoffice arbeiten können und andere nicht, ist nur im gemeinsamen Diskurs aller Beteiligten zu bekommen. Nachhaltiges Wirtschaften und eine ökologisch denkende Gesellschaft erst recht.
Über die Autorin
Ute Möller ist freie Journalistin, Herausgeberin des Empowerment-Magazins für Franken „Flamingo und Dosenbier“, Gastgeberin des Podcasts „Be49 – der Empowerment-Podcast für Franken“ und Moderatorin. Zuvor war sie Redakteurin der Nürnberger Nachrichten.
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