Gekommen, um zu bleiben

Illustration der drei Säulen der Nachhaltigkeit
Die drei Säulen der Nachhaltigkeit: Ökologie, Ökonomie und Soziales. (Illustration: FAU/Ursula Auer)

Eine kurze Geschichte der Nachhaltigkeit

Der Begriff Nachhaltigkeit beziehungsweise sein englisches Pendant sustainability hat sich in den vergangenen Jahren zu einem allgegenwärtigen Schlagwort entwickelt. Wir lesen es in den Nachrichten oder hören es in der Fernsehwerbung. Doch nicht immer ist eindeutig, ob das Wort „nachhaltig“ verwendet wird, weil ein Produkt, eine Idee oder ein Prozess tatsächlich die Kriterien dafür erfüllt, oder ob jemand es als Label, als leere Worthülse gebraucht, weil Nachhaltigkeit eben gerade im Trend liegt. Denn das Konzept von Nachhaltigkeit umfasst weit mehr als nur „irgendwie umweltfreundlich“.

Nachhaltigkeit als Bewirtschaftungsgrundsatz

Axt, die in einen liegenden Baumstamm geschlagen wird
1713: Hans Carl von Carlowitz denkt über den pfleglichen Umgang mit dem Wald und ein Gleichgewicht zwischen Abholzung und Nachwuchs nach und verwendet erstmals das „nachhaltend“. (Bild: shutterstock.com/krasula)

Historisch gesehen, ist Nachhaltigkeit kein Modewort und nachhaltiges Denken auch kein Phänomen des frühen 21. Jahrhunderts. Die Erkenntnisse und Ideen, die heute unter Nachhaltigkeit zusammengefasst werden, stammen aus den 1970er-Jahren.Begriff und Konzept sind aber schon wesentlich älter. Schon 1713 wird das Wort „nachhaltend“ erstmals verwendet. In seiner Funktion als sächsischer Oberberghauptmann befasst sich Hans Carl von Carlowitz (1645-1714) mit dem Mangel am Rohstoff Holz, der für den Bergbau wesentlich ist, und fragt, „wie eine sothane [solche] Conservation und Anbau des Holzes anzustellen, dass es eine kontinuierlich beständige und nachhaltende Nutzung gebe / weil es eine unentbehrliche Sache ist / ohne welche das Land in seinem Esse [Wesen] nicht bleiben mag“.

Die Antwort auf diese Frage: Man müsse pfleglich mit dem Wald umgehen und darauf achten, dass ein Gleichgewicht zwischen Abholzung und Nachwuchs bestehe. Damit ist die Grundidee des Nachhaltigkeitskonzepts formuliert: Steuere deinen Verbrauch so, dass sich die Ressourcen nicht erschöpfen. Dieser Grundsatz verankert sich im Laufe des 18. Jahrhunderts in der Forstwirtschaft, und nachfolgende Generationen von Forstwirt/-innen sind in diesem Sinne ausgebildet worden. Später überträgt man das Konzept des nachhaltigen Umgangs mit Ressourcen auf andere Wirtschaftszweige, beispielsweise die Fischereiwirtschaft, wo der Grundsatz des „maximum sustainable yield“ besagt, es solle nur so viel gefischt werden, dass der Fischbestand nachhaltig bestehen bleiben kann. Doch bis ins zwanzigste Jahrhundert beschränkt sich nachhaltiges Denken vornehmlich auf den ökonomischen Bereich.

Umdenken in den 1970ern

Fabrikschornsteine mit giftigenm Rauch
Anfang 1970: Umweltverschmutzung, Zerstörung von Lebensräumen und Ressourcenknappheit rücken in den Fokus. (Bild: shutterstock.com/TRSTOK)

Mit den 1970er-Jahren rücken Themen wie Umweltverschmutzung, Zerstörung von Lebensräumen und Ressourcenknappheit in den Fokus, sowohl in der Bevölkerung und im wissenschaftlichen Diskurs als auch in der nationalen und internationalen Politik. Gründe dafür sind unter anderem der rasant steigende Verbrauch fossiler Energien in der Nachkriegszeit, die zunehmende Luft- und Gewässerverschmutzung, die Ölpreiskrise von 1973, die das Bewusstsein für die Abhängigkeit vom Rohstoff Öl fördert, sowie Umweltkatastrophen wie zum Beispiel Tanker- oder Bohrinselunfälle, das Fischsterben im Mittelrhein 1969 oder das Seveso-Unglück in Italien, bei dem 1976 aufgrund eines Chemieunfalls das hochgiftige Dioxin TCDD freigesetzt wird und in dessen Folge kontaminierte Pflanzen und Tiere in großer Zahl verenden und Menschen evakuiert werden müssen.

Umweltpolitische Bewegungen, deren Wurzeln sich meist auf die 1968er-Proteste zurückführen lassen, treten auf den Plan – wie die Anti-Atomkraft-Bewegung. Auch der BUND Naturschutz sowie Greenpeace gründen sich in diesem Jahrzehnt (1975 bzw. 1979). Dazu kommt die Wissenschaft, die sich intensiver mit Umwelt und Nachhaltigkeit beschäftigt. Einen besonders starken Eindruck hinterlässt die Veröffentlichung „Limits to Growth“, ein Bericht an den „Club of Rome“. Auf Grundlage einer Modellberechnung zur Zukunft der Menschheit kommen die Autor/-innen zu folgenden Schlussfolgerungen: „Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht.“

Die einzige Chance, den wirtschaftlichen Zusammenbruch zu verhindern und – wesentlich entscheidender – die Lebensgrundlage der Menschheit zu erhalten, sehen die Autor/-innen in einer Abkehr vom Wachstumsparadigma hin zu einer Wirtschaft, die sich an den vorhandenen ökologischen Ressourcen ausrichtet. Dem ersten Bericht folgten nach 20, 30 und 40 Jahren jeweils Updates, die ebenso eindrücklich davor warnen, so weiterzumachen wie bisher.

Zum Weiterlesen

  • Caradonna, Jeremy L. (2016): Sustainability. A History. New York: Oxford University Press.
  • Grober, Ulrich (2010): Die Entdeckung der Nachhaltigkeit. Kulturgeschichte eines Begriffs. München: Kunstmann.
  • Grober, Ulrich (2018): „Eternal forest, sustainable use“. In: Caradonna, Jeremy L. (ed.): Routledge Handbook of the History of Sustainability. London, New York. Routledge.
  • Grunwald, Armin / Jürgen Kopfmüller (2012): Nachhaltigkeit. Frankfurt; New York: campus.
  • Heinrichs, Harald / Gerd Michelsen: Nachhaltigkeitswissenschaften. Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag.
  • Kropp, Ariane (2019): Grundlagen der Nachhaltigen Entwicklung. Handlungsmöglichkeiten und Strategien zur Umsetzung. Wiesbaden: Springer.
  • Michelsen, Gerd / Maik Adomßent (2014): „Nachhaltige Entwicklung: Hintergründe und Zusammenhänge.“ In: Heinrichs, Harald / Gerd Michelsen: Nachhaltigkeitswissenschaften. Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag.
  • Pufé, Iris (2017): Nachhaltigkeit. Konstanz / München: UVK Verlagsgesellschaft.
    Schumacher, Ernst Friedrich (19952): Small is Beautiful – Die Rückkehr zum menschlichen Maß. Heidelberg: Verlag C.F. Müller.

Die Erkenntnis, dass nicht nur einzelne Bereiche wie die Wälder oder die Fischbestände als ökonomische Ressource zu sehen und entsprechend zu pflegen sind, unterstrich Anfang der 1970er-Jahre auch der in Deutschland geborene, später in Großbritannien lebende Ökonom Ernst Friedrich Schumacher in dem Buch Small is Beautiful – Die Rückkehr zum menschlichen Maß: „Die Täuschung, über unbegrenzte Kräfte zu verfügen, die durch erstaunliche wissenschaftliche und technische Errungenschaften genährt wurde, brachte zugleich die Täuschung mit sich, das Problem der Produktion wäre gelöst. Und dieses gründet auf der Unfähigkeit, da zwischen Ertrag und Kapital zu unterscheiden, wo es auf diese Unterscheidung am meisten ankommt. Jeder Betriebswirtschaftler und Geschäftsmann kennt den Unterschied und wendet ihn bewusst und mit beträchtlichem Scharfsinn auf alles wirtschaftliche Tun an – außer da, wo es wirklich wichtig wäre: nämlich beim unersetzlichen Kapital, das der Mensch nicht geschaffen, sondern einfach vorgefunden hat und ohne das er nichts tun kann. Ein Geschäftsmann würde von einer Firma nicht annehmen, dass sie ihre Probleme der Produktion gelöst hat und lebensfähig ist, wenn er sähe, dass sie rasch ihr Kapital aufzehrt. Wie aber könnten wir diesen wesentlichen Tatbestand übersehen, wenn es um dieses sehr große Unternehmen, die Wirtschaft des Raumschiffs Erde, und insbesondere um das jeweilige Wirtschaftssystem seiner reichen Fluggäste geht?“

Ein Umdenken hin zum nachhaltigen und bewahrenden Umgang mit dem Planeten zeigt sich auch in der Politik. Ab den 1970er-Jahren finden auf nationaler und internationaler Ebene zunehmend Konferenzen zum Thema statt, zum Beispiel 1972 die erste internationale Umweltkonferenz der UN in Stockholm, auf der das Umweltprogramm UNEP (United Nations Environment Programme) beschlossen wird.

Mit der Stockholm-Konferenz und weiteren Initiativen in den 1970ern richtet sich das Augenmerk zunehmend auf Armut und die damit verbundenen Probleme als Ursache für Umweltverschmutzung und -zerstörung. In den Worten der Stockholm-Konferenz: „Poverty was the worst polluter.“ Damit ziehen die soziale Dimension und die Erkenntnis, dass der Schutz der Umwelt untrennbar mit einer Verbesserung der Lebens- und Bildungsbedingungen armer Bevölkerungsgruppen verbunden ist, in das nachhaltige Denken ein.

Länder-Flaggen vor UN-Gebäude in Genf
2000: Die Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet die Millennium Development Goals. (Bild: shutterstock.com/nexus 7)

1983 wird unter dem Vorsitz der norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland die World Commission on Environment and Development der UN gegründet. Vier Jahre später veröffentlicht die sogenannte Brundtland-Kommission einen Bericht, dem eine grundlegende Definition des Begriffs nachhaltige Entwicklung beziehungsweise sustainable development entstammt, die auch heute noch oft zitiert wird (wobei hier in der deutschen Übersetzung noch von „dauerhafter Entwicklung“ gesprochen wird): „Dauerhafte Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.“

Weitere Entwicklung bis heute

In den nächsten Jahrzehnten etablierte sich der internationale politische Austausch zur Erreichung von Nachhaltigkeit. Wichtige Stationen waren dabei: die Konferenz von Rio, genauer: die United Nations Conference on Environment and Development (UNCED) im Jahr 1992, die unter anderem die Agenda 21 zum Ergebnis hatte; das Kyoto-Protokoll, ein völkerrechtlich verbindliches internationales Klimaabkommen (Beschluss 1997,Inkraftsetzung 2005); die Verabschiedung der sogenannten Millennium Development Goals (MDGs) bei der 55. Generalversammlung der Vereinten Nationen 2000; deren Weiterentwicklung zu den Sustainable Development Goals in der Agenda 2030 (2015);  das Pariser Klimaabkommen von 2015, das eine Begrenzung der vom Menschen verursachten Klimaerwärmung auf unter zwei Grad vorsieht; die UN-Klimakonferenz von 2021 in Glasgow.

Der ökonomische Aspekt, der ökologische Gedanke und die soziale Dimension stellen die grundlegenden Bereiche der Nachhaltigkeit dar und werden oft als „Säulen der Nachhaltigkeit“ bezeichnet.

Jetzt, nachdem so lange und intensiv über Nachhaltigkeit nachgedacht und diskutiert wurde und wo der Begriff und vielleicht sogar das Konzept allgegenwärtig ist, sind wir der Rettung der Welt endlich ein Stückchen näher? Leider sind wir von echter Nachhaltigkeit noch weit entfernt. Vielmehr befinden wir uns gerade in einem Prozess der nachhaltigen Entwicklung, an dessen Ende wir hoffentlich einen Zustand nachhaltigen Lebens erreicht haben, in dem die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit in einem Gleichgewicht zueinander stehen. Damit wir auf diesem Weg in die richtige Richtung gehen, brauchen wir also ein Bewusstsein und die Kenntnis, was es heißt, nachhaltig zu handeln. Denn mit jeder gesellschaftlichen Veränderung ergeben sich neue Herausforderungen, die es anzugehen gilt.

Über die Autorinnen

Katrin Götz-Votteler ist promovierte Anglistin und am Zentralinstitut für Wissenschaftsreflexion und Schlüsselqualifikationen (ZiWiS) tätig, wo sie sich mit der Vermittlung und gesellschaftlichen Akzeptanz wissenschaftsbezogener Themen beschäftigt.

Simone Hespers wurde in Kunstgeschichte promoviert und arbeitet am ZiWiS zu aktuellen gesellschaftsrelevanten Themen, vor allem aus der Perspektive der Visualität.


FAU-Forschungsmagazin friedrich

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