Ein Leben nach dem Verfallsdatum
FAU-Team bereitet Altarzneimittel für die Forschung auf
Die alte Medikamentenpackung hinten im Badezimmerschrank ist eine alte Bekannte. Und meistens ist sie alt genug, um in den Müll zu wandern. In Deutschland werden jährlich 30.000 Tonnen Medikamente verkauft. Genaue Daten darüber, wie viele davon entsorgt werden, liegen nicht vor; Expertinnen und Experten gehen aber von 120 Gramm pro Einwohner und Jahr aus. Doch wenn es an die Entsorgung geht – wohin damit? Einfach runterspülen, wie es manche Deutschen gelegentlich tun?
Auf keinen Fall! Arzneimittel sollten niemals über Wasserwege entsorgt werden. So gelangen ihre Wirkstoffe ins Grund- und Trinkwasser und belasten zudem die Landwirtschaft, Umwelt, Pflanzen und Tiere. Vor allem bei Fischen konnten Veränderungen festgestellt werden, die auf die hohe Konzentration von Medikamentenrückständen im Wasser zurückzuführen waren.
Dafür, wie die Entsorgung am besten ablaufen sollte, gibt es keine feste Regel. Je nachdem, in welchem Bundesland oder Bezirk Medikamente entsorgt werden sollen, stehen verschiedene Alternativen zur Wahl. Über den Hausmüll ist eine gute Möglichkeit, da Medikamente als normaler Siedlungsabfall gelten. Dieser wird verbrannt, und es gelangen keine Rückstände in die Umwelt. Auch bei Recyclinghöfen, Schadstoffmobilen oder Apotheken können Arzneimittel abgegeben werden.
Aber nicht jedes abgelaufene Medikament ist automatisch nutzlos: Prof. Dr. Markus Heinrich vom Lehrstuhl für Pharmazeutische Chemie der FAU und sein Team brauchen für ihre Forschung oft Wirkstoffe, die sehr teuer sein können, wenn sie über den Chemikalienhandel eingekauft werden.
Warum also nicht einen Weg finden, der nachhaltig ist und Geld spart?
Professor Heinrich und sein Team haben deshalb ein Projekt ins Leben gerufen, bei dem sie Altarzneimittel sammeln und deren Wirkstoffe für Forschungszwecke verwenden. Ursprünglich holten sie Medikamente, die sonst entsorgt worden wären, bei wenigen Erlanger Apotheken ab. Mittlerweile sammeln sie landkreisübergreifend – in einem Einzugsgebiet von über 300.000 Menschen. Die Wissenschaftler/-innen um Professor Heinrich arbeiten daran, die Hilfsstoffe von den Medikamenten abzutrennen und die zurückgewonnenen Wirkstoffe für die Forschung zu verwenden, zum Beispiel für die Entwicklung von Arzneistoffen mit weniger Nebenwirkungen. „Alles, was wir in Erlangen und im Landkreis Erlangen-Höchstadt gesammelt haben und nicht für unsere Forschung verwerten können, wird vom Zweckverband Abfallwirtschaft wieder dem normalen Entsorgungsweg zugeführt. Über dieses Entgegenkommen der Stadt und des Landkreises freuen wir uns sehr“, sagt Heinrich.
Demnächst wollen die Forscher/-innen ihr Projekt deutschlandweit ausdehnen und anderen Universitäten und Unikliniken die zurückgewonnenen Wirkstoffe zur Verfügung stellen, um so nachhaltigere Forschung zu unterstützen. Aber auch in der Industrie hat das Projekt Zukunft: Dort entstehen nämlich manchmal fehlerhafte Medikamente. Durch Prof. Heinrichs Projekt könnte zukünftig vermieden werden, dass ganze Chargen von Arzneimitteln vernichtet werden müssen und wertvolle Wirkstoffe verloren gehen.
Über die Autorin
Deborah Pirchner hat American Studies an der University of Nottingham, UK, studiert. Zurzeit absolviert sie ihr Volontariat in der Stabsstelle Presse und Kommunikation an der FAU.
FAU-Forschungsmagazin friedrich
Dies ist ein Beitrag aus unserem Forschungsmagazin friedrich. Die aktuelle Ausgabe nimmt Sie mit in die Welt der Nachhaltigkeit: Wie können wir eine Welt gestalten, in der wir alle gut leben können – auf sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Ebene?
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