Die Klimaversteher
FAU-Klimawissenschaftler*innen forschen an unwirtlichsten Plätzen der Welt
Die Geschwindigkeit, mit der sich das Klima verändert, ist überall auf der Welt unterschiedlich, in einigen Gebieten geht es jedoch besonders schnell. Wie zum Beispiel in den sogenannten „Cold Regions“, kalten und vergletscherten Zonen wie den Hochgebirgen Neuseelands, den Bergen Afrikas oder den Gletschern Patagoniens. Häufig ist es für die Bevölkerung jedoch nicht leicht zu verstehen, warum Orte so weit weg von Deutschland und Europa untersucht werden und es nicht vorrangig um das Klima vor der eigenen Haustür geht.
Warum gerade die unwirtlichsten Gegenden der Welt so interessant für die Forschung sind, erklärt Dr. Thomas Mölg, Professor für Klimatologie an der FAU, so: „Die Cold Regions und ihre Gletscher haben einen entscheidenden Einfluss auf den Wasserhaushalt des gesamten Planeten. Somit haben die Prozesse in diesen Gebieten eine wichtige Bedeutung für das globale Klima und dessen Veränderungen auch in Europa.“
Das System Klima
Und genau diese Prozesse will das Team um Thomas Mölg besser verstehen. Die Untersuchung der Funktionsweise und Mechanismen des „Systems Klima“ bildet nämlich die Grundlage der Klimaforschung. Ohne sie ist es nicht möglich, zukünftige Klimaveränderungen zu berechnen oder die Folgen für die Umwelt und die Menschheit abzuschätzen.
Hierfür eignen sich die Cold Regions ganz besonders, denn dort sind die verschiedenen Bausteine, die das Klima ausmachen, nämlich die Atmosphäre, die Ozeane und die vereisten Bereiche, die sogenannte Kryosphäre, sehr gut verbunden.
Eine Region, in der die drei Komponenten in idealer Weise vereint sind, ist beispielsweise das Hochgebirge von Neuseeland. Durch die geringe Größe des Landes und seine Lage auf der Südhalbkugel, auf der es weniger Landmassen gibt als auf der Nordhalbkugel, stehen hier Gletscher, Atmosphäre sowie der umgebende Ozean in besonders engem Zusammenhang. Dies ist für die Forschung zu zukünftigen Klimaveränderungen ausgesprochen interessant. Denn während das Wetter von kurzfristigen Veränderungen unserer Atmosphäre bestimmt wird, spielen für das Klima, das ein längerfristiges Phänomen ist, die Ozeane eine wichtige Rolle. An den nahen Gletschern wiederum können die Auswirkungen dieser Veränderungen direkt beobachtet werden.
Die Beobachtung aller drei Komponenten, Gletscher, Ozean und Atmosphäre, liefert über Jahre hinweg sehr schnell riesige Datenmengen über Faktoren wie beispielsweise die Temperatur, den Niederschlag oder die Windgeschwindigkeit. Deren Zusammenspiel und ihre Wirkung auf das Klima ist äußerst komplex. Für die Berechnung der entsprechenden Klimamodelle vertrauen Thomas Mölg und sein Team daher auf die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen der Abteilung Hochleistungsrechnen am Regionalen Rechenzentrum Erlangen der FAU. Trotz der dort verwendeten Supercomputer kann es jedoch Wochen bis Monate dauern, um ein einziges Modell in all seinen Details durchzurechnen.
„Für eine Beurteilung der Klimamodelle sind die Daten, die wir im Gelände gewinnen, zum Beispiel mit automatischen Wetterstationen, besonders wichtig“, sagt Thomas Mölg. „Wir können prüfen, ob die Modelle zu denselben Ergebnissen kommen, die wir in der Natur beobachtet haben. So können wir unsere Modelle herausfordern und sie in der Folge weiter optimieren, um bessere Einschätzungen über das Klima der Zukunft zu machen.“
Eine weitere Cold Region, in der die FAU-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler forschen, sind die hohen Berge Afrikas wie der Mount Kenia oder der Kilimandscharo. Diese Berge zählen zu den wenigen Regionen in den Tropen rund um den Globus, in denen Schnee fällt. Und in den Tropen sind die stärksten Mechanismen aktiv, die Klimavariabilität hervorrufen, also Schwankungen in Bezug auf das langjährige Mittel wie zum Beispiel das bekannte El-Niño-Phänomen. Diese Schwankungen können in den Schneefallmustern, also der Menge an Schnee, die über einen bestimmten Zeitraum fällt, auf den hohen tropischen Bergen erkannt werden. Dies dient wiederum dazu, die entsprechenden Klimamodelle zu verifizieren und weiter zu verfeinern.
Doch nicht alle Cold Regions liegen in weiter Ferne. Ein besonders wichtiges Projekt verfolgt Thomas Mölg zusammen mit Kolleginnen und Kollegen von der Universität Innsbruck am Hintereisferner in den Ötztaler Alpen in Tirol. Ziel der Forschung im dortigen Freiluftlabor ist es, die sogenannte Schneedrift besser zu verstehen, bei der Schnee durch Wind von einer Stelle an eine andere verlagert wird, was wiederum auch die Eismasse der umgebenden Gletscher beeinflusst. Dieser Vorgang ist durch die zahlreichen beteiligten Variablen, wie zum Beispiel Windgeschwindigkeit und Lufttemperatur, sehr schwer zu verstehen und daher in den Klimamodellen bislang kaum abgebildet. Das Phänomen ist jedoch extrem wichtig, da die Gletscher auf diese Weise langfristig sowohl Eismasse verlieren als auch dazugewinnen und somit das überregionale Klima beeinflussen können. Für die entsprechenden Untersuchungen bietet sich der Hintereisferner wegen seiner guten Infrastruktur hervorragend an. „Wir dürfen nicht vergessen, dass wir in den Cold Regions in aller Regel mit lebensfeindlichen Bedingungen zu kämpfen haben. Das sind keine Orte, an denen Menschen sich lange aufhalten können“, bemerkt Thomas Mölg.
Die Station Hintereis auf 3026 Meter Höhe, oberhalb des Hintereisferners, dient den FAU-Geograf/-innen und ihren Kolleg/-innen der Universität Innsbruck als Stützpunkt für Feldarbeiten (Foto rechts). Hier an einem der größten Gletscher Tirols hat das Team auch eine Wetterstation aufgebaut (Mitte), die verschiedene meteorologische Größen misst. Um das Phänomen der Schneedrift besser zu verstehen, wo Schnee vom Wind verlagert wird und sich so auf die Eismasse der umgebenden Gletscher auswirkt, entnimmt das Team Proben in einem Schneeschacht. Anhand dieser können sie die Dichte und chemische Zusammensetzung des Schnees bestimmen.
Wie wichtig ein besseres Verständnis der Schneedrift ist, wird besonders an den Gletschern von Patagonien deutlich. Aufgrund der Lage in der Westwindzone der Südhalbkugel ist das Phänomen in dieser stürmischen Region besonders ausgeprägt. Auf der Südhalbkugel gibt es im Vergleich zur Nordhalbkugel nämlich sehr wenig Landmassen, sodass die Winde hier nur wenig „Widerstand“ finden. Das Abschmelzen der patagonischen Gletscher trägt gegenwärtig mit am meisten zum globalen Anstieg des Meeresspiegels bei. Deshalb ist es so wichtig, die Schneedrift zu verstehen und in Modellen simulieren zu können, um die zukünftigen Veränderungen des Meeresspiegels zu berechnen. Daher ist es ein Glück für die Forscherinnen und Forscher, auf die am Hintereisferner in den Alpen gewonnenen Daten zurückgreifen zu können, denn die entsprechenden Bereiche in Patagonien sind extrem schwer zugänglich.
Wie bei den Projekten von Thomas Mölg und seinem Team greift auch beim globalen Klima und dessen Wandel alles ineinander. Nur wenn die Einzelheiten und Details verstanden sind, ist es möglich, weitreichendere Konsequenzen abzuschätzen.
Rechnen für die Forschung
Das Forschungsteam um Prof. Thomas Mölg entwickelt Computermodelle, die das globale Klima auf eine regionale Ebene herunterbrechen. Das geschieht mithilfe des Hochleistungsrechnens, dem sogenannten High-Performance-Computing (HPC). Damit ist es möglich, Herausforderungen anzugehen, an denen ein PC scheitern würde, weil dieser zu wenig Leistung hat. Ein Supercomputer, wie ihn die AG Mölg am Regionalen Rechenzentrum Erlangen (RRZE) nutzt, braucht circa eine Woche für eine Aufgabe, die einen Heim-PC mehrere Jahrzehnte beschäftigen würde. Diese wertvolle Ressource steht allen Forschenden der FAU zur Verfügung; ein automatisiertes Ressourcenvergabesystem stellt sicher, dass niemand den Rechner für sich monopolisiert. Für Thomas Mölg waren die High-Performance-Computing-Ressourcen wichtige Gründe, an die FAU zu kommen. Und die Kapazitäten werden weiter ausgebaut: Zum 1. Januar 2021 wurde am RRZE das „Zentrum für nationales Hochleistungsrechnen Erlangen“ (NHR@FAU) etabliert. Es ist Teil einer Fördermaßnahme, in der Bund und Länder über zunächst zehn Jahre insgesamt 625 Millionen Euro in die Hand nehmen, um acht nationale Zentren aufzubauen. Aktuell bereitet das NHR@FAU die Installation eines neuen Supercomputers vor, der etwa zehnmal leistungsfähiger als die aktuellen Erlanger Systeme ist. Ein Teil des neuen Rechners wird direkt in der Kältezentrale der Naturwissenschaftlichen Fakultät untergebracht sein, um eine hohe Energieeffizienz zu erreichen. Die Planungen zum Bau eines komplett neuen, hoch energieeffizienten Rechenzentrums an der FAU haben bereits begonnen.
Über den Autor
Sebastian Teichert forscht und lehrt am GeoZentrum Nordbayern der FAU zu arktischer Biodiversität, Paläontologie und Umweltveränderungen. Zugleich schreibt er als begeisterter Wissenschaftskommunikator journalistische Artikel über Themen aus dem Umfeld seiner Forschung, die unter anderem im friedrich und alexander veröffentlicht werden.
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