Balanceakt

Mann und Frau auf einer ausgeglichenen Wippe
Ist vollkommene Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau erreichbar? (Bild: FAU/Uwe Niklas)

Interview mit Prof. Annette Keilhauer über Gleichberechtigung

Die Gleichberechtigung der Geschlechter ist ein Menschenrecht. Prof. Dr. Annette Keilhauer hat sich auf verschiedenen Ebenen an der FAU als Frauenbeauftragte für Gleichstellung engagiert und versucht, den Kampf der Geschlechter mit einer Win-win-Situation enden zu lassen.

Lassen Sie mich mit der Tür ins Haus fallen: Wann wird es endlich so weit sein, dass Frauen Männern tatsächlich gleichgestellt sind?

Wenn man sich die letzten 70 Jahre anschaut, dann können wir sagen, es wurde sehr viel erreicht. Die schrittweise rechtliche Gleichstellung, zuletzt mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz 2006, ist zentral, um dieses Ziel zu erreichen: in der Bildung, in der Berufswelt, auch im Privatleben. Sie sorgt zum Beispiel für Unabhängigkeit der Frauen in der Ehe und für die bessere rechtliche Adressierung von sexueller Belästigung.

Es gibt natürlich noch Bereiche, in denen Ungleichheiten nachweisbar sind, die sich so bald nicht ändern werden. Stichwort Frauen in Führungspositionen. Wir haben inzwischen viele Frauen in Führungspositionen, beeindruckende Rollenvorbilder. Aber statistisch gesehen, herrscht noch immer ein sehr großes Ungleichgewicht. Die Forschung sagt: Je hierarchischer eine Struktur organisiert ist, desto eher bleiben Frauen in der Karriereentwicklung auf der Strecke. Flache Hierarchien wirken eher fördernd für Frauen – und erzeugen ganz nebenbei auch bessere Ergebnisse in Arbeitszusammenhängen.

Ein zweites Thema ist der Gender Pay Gap, ungleiche Bezahlung für die gleiche Arbeit. Dazu gehört auch die ungleiche Verteilung der privaten Care-Aufgaben und die ungleiche Wahl des Berufes. Frauen wählen aufgrund der stärkeren Belastung im privaten Bereich häufig immer noch eher Berufe, in denen sie Teilzeit arbeiten können, in denen sie aber nicht so gute Aufstiegschancen haben. Das bedeutet weniger Bezahlung und dann auch weniger Rente.

Sie sagen, die juristischen Grundlagen seien zum großen Teil da. Woran liegt es, dass wir de facto noch keine Gleichstellung haben?

Traditionelle Rollenbilder aus dem 19. Jahrhundert haben bis heute überlebt. Lange Zeit war die Gesellschaft in verschiedene Sphären eingeteilt. Die Frau war der häuslichen Sphäre zugeordnet, der Familie, der Kindererziehung, der Gesundheit, der Sozialkompetenz. Der Mann stand in der Öffentlichkeit, war in technisch-naturwissenschaftlichen Bereichen tätig, hatte Führungskompetenz und übernahm die gesellschaftlichen Ämter. Das ist natürlich ein völlig veraltetes Verständnis, wird aber heute leider unbewusst immer noch weiter tradiert. Und das ist ein Grundproblem, denn auch in den Medien finden sich diese Rollenklischees immer neu reproduziert.

Noch stärker ins Unbewusste geht der Gender Bias, die einseitige Wahrnehmung von Frauen und Männern. Auch hier wirken die traditionellen Rollenbilder weiter, die in unserem Unbewussten als Standard gesetzt werden, da sie ja gesellschaftlich auch immer noch weit verbreitet sind. Die Leistung von Frauen wird weniger stark wahrgenommen. Es wird ihnen weniger Kompetenz zugeschrieben. Dazu kommt die Arbeitswelt, die noch immer nicht familiengerecht ist, in Deutschland weniger als in vielen anderen Ländern.

Porträt Annette Keilhauer
Die Professorin ist seit 2015 akademische Oberrätin am Lehrstuhl für Romanistik, insbesondere Literatur- und Kulturwissenschaft der FAU und Sprecherin des Interdisziplinären Zentrums Gender – Differenz – Diversität. Von 2017 bis 2021 war sie zudem Universitätsfrauenbeauftragte. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich unter anderem mit Genderstudien und Literatur und Frauenrechte im 19. Jahrhundert. (Bild: Studio Föhr, Fürth)

Was kann man dagegen tun?

Wir müssen Bewusstsein dafür schaffen, dass es solche unbewussten einseitigen Voreinstellungen gibt. Sie können uns eine Falle stellen, wenn wir das, was uns als Erstes einfällt, gleich als Norm setzen. Untersuchungen zeigen, dass es schon reicht zu wissen, dass es diese Bias gibt, um sie abzubauen.

Für die Personalentwicklung an der Universität haben wir eine Schulung entwickelt, die für dieses Thema sensibilisieren soll und die über StudOn abrufbar ist. Darin zeigen wir mit Bezug auf wissenschaftliche Untersuchungen zu diesem Thema, dass Menschen die Tendenz haben, unbewusst in eine bestimmte Richtung zu denken – und nichts dafür können. Wir haben bisher viel positives Feedback bekommen.

Wo sehen Sie die gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen für mehr Gleichstellung?

Die hat uns die Corona-Pandemie wie unter einem Brennglas gezeigt. Etwa das Problem der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, das bei den Schul- und Kindergartenschließungen zu großer Be- und Überlastung vor allem bei den Frauen führte.

Die zweite Herausforderung ist der Gender Pay Gap. In der Coronakrise ist sehr deutlich geworden, dass Berufe, in denen Frauen sehr stark vertreten sind, nämlich Pflegeberufe, aber auch Tätigkeiten in der Reinigungsbranche und im Einzelhandel, gesellschaftlich essenziell und trotzdem sehr schlecht bezahlt sind.

Ein letzter Punkt, der sich verschärft hat, ist die Gewalt gegen Frauen, gerade im Lockdown. Beratung war in dieser Situation schwierig, die Beobachtung durch die Öffentlichkeit fehlte. Die Frauenhäuser sind voll. Das ist ein zentrales Thema der Gleichstellung, das weiter und noch stärker adressiert werden muss.

Wie sieht es im Mikrokosmos Universität mit der Gleichstellung aus?

Im ersten Senat, an dem ich als Frauenbeauftragte beteiligt war, war ich das einzige weibliche Mitglied. Heute haben wir einen Senat, der von einer Frau geleitet wird. Das ist ein schönes Symbol dafür, was sich hier alles verändert.

Auch die Anzahl der weiblichen Mitglieder in der Universitätsleitung und anderen Gremien hat sich erhöht. Eine sehr positive Entwicklung haben wir bei den Promotionen. In vielen Fächern ist das Verhältnis jetzt fast ausgeglichen, auch wenn manche Fächer im MINT-Bereich noch hinterherhinken.

Weiterhin schwierig ist der Bereich der Professuren. Hier liegt die FAU mit etwas über 20 Prozent immer noch unter dem Bundesdurchschnitt. Trotzdem hat sich in den letzten Jahren einiges bewegt. Viele brillante Wissenschaftlerinnen wurden an unsere Universität berufen. Als positiv bewerte ich auch, dass die Berufungsverfahren sehr viel transparenter geworden sind.

Grundsätzlich muss man allerdings sagen, dass die Wissenschaft ein besonderer Bereich der Gesellschaft ist, in dem Hierarchien noch sehr stark wirken. Etwas, was Frauen häufig die Karriere erschwert. Ein anderer Grund ist das männlich geprägte Bild des Wissenschaftlers. Es schließt die absolute Verfügbarkeit der Person ein, um sich völlig der Wissenschaft hinzugeben. Frauen, die überlegen, eine Familie zu gründen, können und wollen das nicht – und übrigens auch mehr und mehr Männer. Auch die starke Befristung der Verträge und die damit verbundene soziale Unsicherheit erschweren die Familienplanung.

Sicherlich waren Sie als Frauenbeauftragte diejenige, die sehr viel initiiert und begleitet hat. Sie haben aber bisher sehr bescheiden darauf verzichtet, Ihre eigene Leistung herauszustellen, wie es Frauen oft passiert.

(lacht) Der Klassiker. Genau das ist ja ein Teil des Problems. Dann kommt noch der Gender Bias dazu, und man fragt sich, was hat sie denn da zehn Jahre lang gemacht?

Zunächst einmal haben wir seit vielen Jahren, und das ist überhaupt nicht mein Verdienst, mit Ariadne ein Mentoring-Programm an der FAU, das junge Wissenschaftlerinnen während der Promotion und Habilitation unterstützt und das sich sehr bewährt hat.

Anteil habe ich am Transparentmachen der Berufungsverfahren. Wozu zum Beispiel auch gehört, dass für alle Berufungsverfahren Headhunting gemacht werden muss, um mehr geeigneten Frauen eine Chance zu geben.

Ein weiterer wichtiger Schritt war die Professionalisierung der Arbeit der Frauenbeauftragten. So bekommen alle neuen Frauenbeauftragten seit einigen Jahren eine Schulung. Sie lernen, wie sie in Berufungskommission agieren können, welche Möglichkeiten sie haben zu intervenieren, welche Probleme auftreten können.

Ein wichtiger Punkt für mich persönlich war 2019 die Erstellung der Chronik „30 Jahre Frauenbeauftragte an der FAU“. Das war ein Moment der Wertschätzung gegenüber den vielen Frauen, die sich seit 1989 an der FAU in diesem Amt engagiert haben. Denn ihre Tätigkeit war für das Voranbringen der Gleichstellung ungeheuer wichtig.

Das Thema wird in der Öffentlichkeit zurzeit hauptsächlich über einen Aspekt definiert: eine winzige Endung. Warum löst das Gendern so heftige Reaktionen aus?

Sprache hat viel zu tun mit Symbolpolitik. Außerdem stehen sich unterschiedliche Vorstellungen von Sprachentwicklung gegenüber. Einerseits wird die Sprache als Wert einer Gesellschaft gesehen, der möglichst unverändert bleiben soll; andererseits ist Sprache aber auch ein lebendiger Organismus, der sich ständig anpasst. Dazu kommen noch das Moment der Bequemlichkeit und in einigen Fällen die fehlende Einsicht.

Gendern ist kein neues Thema, sondern eines, das wir schon seit mindestens 20 Jahren diskutieren. Es gibt eine Reihe von Studien, die belegen, das Gendern die Wahrnehmung verändert. Für Kinder und Jugendliche macht es zum Beispiel einen großen Unterschied, ob Berufsbezeichnungen auch in der weiblichen Form genutzt werden. Nämlich dann, wenn sie sich mit der Frage beschäftigen, ob sie ein bestimmtes Studium absolvieren oder einen bestimmten Beruf ausüben wollen.

Doch trotz solcher Debatten ist der Umgang mit dem Thema Gleichstellung bei beiden Geschlechtern sehr viel offener und entspannter geworden. Meine Hoffnung ist, dass wir irgendwann einen Punkt erreichen, an dem wir keine Frauenbeauftragten mehr brauchen – aber das wird wohl noch eine ganze Weile dauern.

Über die Autorin

Sandra Kurze ist PR-Frau und Wissenschaftskommunikatorin an der FAU. Sie schreibt über spuckende Karpfen, Zombie-Sterne und andere Phänomene, die die Wissenschaft bewegen.


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