Nicht nur Null oder Eins

Quantencomputer
Foto: Bartlomiej K. Wroblewski/shutterstock

Eine Arbeitsgruppe der FAU forscht daran, Hard- und Software von Quantencomputern praxistauglich zu machen.

Seit einigen Jahren wird an einem Konzept geforscht, das unser Verständnis von klassischen binären Rechenoperationen herausfordert: dem Quantencomputer. Seine elementare Verarbeitungseinheit ist das Quantenbit, kurz: Qubit, das nicht nur die Werte 0 oder 1 annehmen, sondern sich gleichzeitig in beiden Zuständen befinden kann. „Wir sprechen hierbei von Superposition“, sagt Prof. Dr. Michael Hartmann vom Lehrstuhl für Theoretische Physik. „Welchen Wert ein Qubit angenommen hat, wird erst am Ende der Rechenoperation gemessen.“

Hartmann war an einem Experiment beteiligt, in dem Google mit seinem NISQ-Prozessor „Sycamore“ – die Abkürzung NISQ steht für Noisy Intermediate Scale Quantum – erstmals die Quantenüberlegenheit demonstriert hat. Für eine komplexe Rechenaufgabe benötigte der Sycamore rund dreieinhalb Minuten, der schnellste Supercomputer der Welt hätte dafür rund 10.000 Jahre gebraucht. „Der Sycamore besteht aus einer Matrix von nur 54 Qubits“, erklärt Hartmann. „Das hört sich nach wenig an, aber die Rechenleistung steigt exponentiell und verdoppelt sich mit jedem Qubit.“

Ein Kühlschrank, der an der Decke hängt

Aktuell beschränken sich solche Demonstrationen auf konstruierte Probleme ohne praktischen Nutzen. Ein Grund dafür ist die vergleichsweise hohe Fehlerrate, die bei rund einem halben Prozent pro Rechenschritt liegt. „Quantencomputer arbeiten mit Tendenzen und Wahrscheinlichkeiten – das macht sie einerseits so überlegen, führt andererseits aber zu Unschärfen“, sagt Hartmann. „Ziel unserer Forschung ist es, die Fehlerrate in den Promillebereich zu drücken.“ Erreicht werden soll das unter anderem durch Algorithmen, die Korrekturen bereits während der Rechenvorgänge, der sogenannten Gatteroperationen, ermöglichen.

Auch sonst sind Quantencomputer auf absehbare Zeit nichts fürs Büro: Sie arbeiten mit supraleitenden Schaltkreisen und elektrisch geladenen Ionen, die durch magnetische und elektrische Felder angeregt werden und dadurch ihren Energiezustand ändern. Hartmann: „Jeder Einfluss von Wärme würde hier ein Rauschen und damit Fehler produzieren, deshalb muss der Chip auf minus 273,13 Grad Celsius gekühlt werden.“ Aus diesem Grund gleichen Quantencomputer einem Gefrierschrank – allerdings in Form eines Zylinders, der an der Decke hängt.

Suche nach Codes und Algorithmen

Prof. Dr. Michael J. Hartmann
Prof. Dr. Michael J. Hartmann, Lehrstuhl für Theoretische Physik an der FAU. (Bild: FAU/Georg Pöhlein)

Im Rahmen des Projektes „German Quantum Computer based on Superconducting Qubits“ (GeQCoS) arbeitet Hartmann mit einer eigenen Forschungsgruppe an der Weiterentwicklung von Quantenprozessoren. Dazu zählt beispielsweise, die Qubits besser gegeneinander und gegen äußere Einflüsse wie Magnetfelder und kosmische Strahlung abzuschirmen. „Wir verfolgen die Idee, ungewollte gegenseitige Einflüsse zwischen den Qubits durch gezielte Interferenzen zu beseitigen“, sagt er. „Zugleich suchen wir nach Möglichkeiten, Gatteroperationen schneller zu machen, sodass mehr Rechenschritte innerhalb der kurzen Lebensdauer der Quantenzustände in den Qubits möglich werden.“ Neben der FAU sind an GeQCoS auch die Technische Universität München, das Karlsruher Institut für Technologie, das Fraunhofer-Institut für Angewandte Festkörperphysik, das Forschungszentrum Jülich, das Walther-Meißner-Institut der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und der Chiphersteller Infineon beteiligt.

Auch an der Software forscht das Hartmann-Team, zum Beispiel an neuen Algorithmen. Dabei geht es nicht nur um die Fehlerkorrektur, sondern auch um die Frage, wie die Zahl der Gatteroperationen reduziert werden kann. Denn der Quantencomputer dringt in Bereiche vor, die eine unvorstellbar große Zahl an Kombinationsmöglichkeiten bieten, etwa Simulationen des Quantenverhaltens von Elektronen und Atomen, aber auch Baukastensysteme in der Industrie. Hartmann: „Die Frage ist, ob der Quantenchip sämtliche Möglichkeiten nacheinander durchrechnen muss oder ob es Codes gibt, die den Prozess effektiver machen. Nach solchen Codes suchen wir.“

Weitere Informationen auf der Webseite des Lehrstuhls für Theoretische Physik

von Matthias Münch


Cover alexander Nr. 117
alexander 117 herunterladen

Die Themen der neuen Ausgabe sind: Datenbanksysteme und -forschung an der FAU, Irisimplantate aus künstlichen Muskeln, ein Medikament gegen Long-COVID, die European University EELISA, in der sich Universitäten aus Europa zusammengeschlossen haben, um Engineering weiter zu denken, der zweite Teil unserer Reihe zur FAU-Strategie,  das neue Green Office und vieles mehr.

alex online lesen