Die NS-Vergangenheit der Bundesanwaltschaft im Blick

Gruppenbild: Von links: Die beiden Autoren FAU-Alumnus Prof. Dr. Friedrich Kießling, jetzt an der Uni Bonn, und FAU-Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Christoph Safferling übergeben das Buch an Dr. Margaretha Sudhof, Staatssekretärin im Bundesjustizministerium, und Generalbundesanwalt Dr. Peter Frank.
Von links: Die beiden Autoren FAU-Alumnus Prof. Dr. Friedrich Kießling, jetzt an der Uni Bonn, und FAU-Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Christoph Safferling übergeben das Buch an Dr. Margaretha Sudhof, Staatssekretärin im Bundesjustizministerium, und Generalbundesanwalt Dr. Peter Frank. (Bild: ICLU)

Interview mit Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Christoph Safferling

Die Bundesanwaltschaft hat den Auftrag, den Staat zu schützen und zur Rechtseinheit beizutragen. In der frühen Bundesrepublik bedeutete das allerdings, dass sie mit harter Hand gegen Kommunisten vorging, in die Spiegel-Affäre verwickelt war und viele ihrer eigenen Mitarbeitenden bereits im Nationalsozialismus wichtige juristische Positionen innehatten.

Prof. Dr. Christoph Safferling, Inhaber des FAU-Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht, hat gemeinsam mit Prof. Dr. Friedrich Kießling, Inhaber des Lehrstuhls für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Bonn, in einem Forschungsprojekt erstmals die Geschichte der Bundesanwaltschaft zwischen 1950 und 1974 untersucht.

Gemeinsam mit Ihrem Kollegen Friedrich Kießling haben Sie fünf Jahre zur Rolle der Bundesanwaltschaft in der NS-Zeit geforscht und dabei erstmals die Geschichte der Behörde zwischen 1950 und 1974 in den Blick genommen. Was gab den Ausschlag für dieses Forschungsprojekt?

Tatsächlich ist es nichts Neues, dass die Behörden der 1949 gegründeten Bundesrepublik in ihren ersten Jahrzehnten von ehemaligen NS-Funktionären durchsetzt waren. Ich habe bereits 2012 eine ähnliche Studie beim Bundesjustizministerium begonnen, die 2016 in der Publikation „Die Akte Rosenburg“ gemündet hat. Im Rahmen dieses Forschungsvorhabens habe ich die Bundesanwaltschaft bereits in einem Kapitel gestreift. Deshalb ist das neuerliche Projekt gewissermaßen eine Fortsetzung. Letztendlich war es der amtierende Generalbundesanwalt Dr. Peter Frank selbst, der die Geschichte seiner Behörde noch einmal explizit in den Blick genommen haben wollte. Diesem Auftrag sind wir als interdisziplinäres Team sehr gerne nachgekommen.

Sie haben im Rahmen Ihrer Forschungsarbeit in Archiven zahlreiche Akten und Dokumente einsehen können, die bis dato geheim oder vertraulich eingestuft waren. Wie sind Sie bei Ihrer Recherche vorgegangen?

Der Auftrag, die Bundesanwaltschaft in der jungen BRD dahingehend in den Blick zu nehmen, wer bereits im NS-Justizsystem tätig oder NSDAP-Mitglied gewesen ist, hat das systematische Aufarbeiten der Personalakten erfordert, die höchstpersönliche Angelegenheiten enthalten und deshalb von der Behörde geschützt sind. Diesen Einblick haben wir in vollem Umfang erhalten. Uns haben aber nicht nur die personellen Kontinuitäten interessiert, sondern auch die sachlichen. Wir haben also zudem untersucht, wie die Bundesanwaltschaft in ihren Anfangsjahren agiert hat und inwiefern sich Spuren einer konservativen, braunen und möglicherweise stark anti-kommunistischen Einstellung feststellen lassen. Dazu haben wir in die Generalakten der Behörde selbst geschaut, aber auch in Verfahrensakten zu einzelnen Strafverfahren.

Wie stark war die Bundesanwaltschaft im Nachkriegsdeutschland von ehemaligen Nazi-Juristen durchsetzt?

Wir haben erhebliche personelle Kontinuitäten feststellen können. Da sind zum einen Personen, wie Hubert Schrübbers, der 1950 Bundesanwalt am Bundesgerichtshof wurde und 1955 sogar Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Er musste 1972 allerdings gehen, weil Vorwürfe laut geworden sind, er habe während der Zeit des Nationalsozialismus als Staatsanwalt Kommunisten und Juden verfolgt und Todesstrafen oder Einweisungen in Konzentrationslager erwirkt. Diese Vorwürfe konnten wir belegen. Da ist zum anderen Wolfgang Fränkel, ein Alt-Nazi, auch seit 1950 in der Bundesanwaltschaft, der 1962 sogar zum Generalbundesanwalt befördert wurde. Er hatte als Mitarbeiter der Reichsanwaltschaft in den Jahren 1940 bis 1943 in mindestens 30 Fällen die Verhängung der Todesstrafe beantragt. Zwar wurde er, nachdem diese Fälle durch die DDR bekannt gemacht worden waren, nach nur vier Monaten in den Ruhestand versetzt. Ein Disziplinarverfahren gegen ihn endete aber mit einem Freispruch, sodass er bis zu seinem Tod 2010 eine satte Pension bekommen hat. Es ist erschreckend, dass Fränkel im Disziplinarverfahren überhaupt keine Einsicht erkennen hat lassen, in der Zeit vor 1945 unrecht gehandelt zu haben.

Dieser Skandal wirft aber grundsätzlich ein schlechtes Licht auf die Richter- und Bundesanwaltsstruktur in der jungen BRD, denn die beiden sind nur zwei Beispiele für solche postfaschistischen Karrieren. Noch 1966, zu Beginn der Großen Koalition zwischen CDU/CSU und SPD, waren zehn von elf Bundesanwälten ehemalige NSDAP-Mitglieder. Pikant ist außerdem, dass in den 50er Jahren teilweise dieselben Personen im Grunde identische Vorschriften gegen Kommunisten angewendet haben, die sie bereits 1932 oder 1943 genutzt hatten. Es war ein fast nahtloser Übergang.

Inwiefern spiegelt auch die Spiegel-Affäre diese Kontinuitäten wider?

Dieses Beispiel sagt etwas über das grundsätzliche Verständnis des Staates. Kontinuität muss man hier breiter denken. Sie geht zurück bis ins Kaiserreich, wo der Staat sein Schutzinteresse allein auf seine Organe und handelnden Personen ausgerichtet hat – teilweise auch gegen das eigene Volk. Diese Einstellung war bei der Bundesanwaltschaft auch in den frühen 60er Jahren noch weit verbreitet. Das zeigt die Spiegel-Affäre, mit dem Vorwurf des publizistischen Landesverrats, bei der die Karlsruher Bundesanwälte unrühmliche Hauptakteure gewesen sind.

Wir konnten bis dato geheime Akten einsehen, die diese Einstellungsproblematik deutlich gezeigt haben. Die Bundesanwälte in Karlsruhe sahen sich konfrontiert mit einer Gesellschaft, die schon meilenweit davongesprintet war, sich liberalisiert hatte und die Demokratie mit all ihren Grundpfeiler und Grundrechten in Anspruch nehmen wollte – inklusive des Rechts auf Pressefreiheit. Dass sie dieser Entwicklung ablehnend, ja fast feindlich gegenüberstanden, zeigt der Umstand, dass die Bundesanwälte selbst dann noch darum gekämpft haben, das Strafverfahren weiterzuführen, als klar war, dass man dem Spiegel keinen Geheimnisverrat vorwerfen konnte. Letztendlich wurden sie erst über eine angedrohte Weisung des Bundesjustizministeriums gezwungen, das Verfahren einzustellen.

In Ihrem Abschlussbericht bezeichnen Sie die Belastung der obersten deutschen Strafermittler als eine „massive Hypothek“. Hat diese nach wie vor Auswirkungen?

Die Institution als solche und der gesamte Sicherheitsapparat haben diese Hypothek bis heute, denn gänzlich frei ist man von dieser Geschichte nie. Aber die Strafverfolgungspolitik in Karlsruhe hat sich neu aufgestellt. Die Tatsache, dass Generalbundesanwalt Dr. Peter Frank selbst die Untersuchung in Auftrag gegeben hat, beweist, dass es eine neue Generation gibt.

Der Abschlussbericht soll kein Schlusspunkt sein. Wie soll Ihre Forschungsarbeit weiterwirken?

Der Auftrag seitens der Behörde ist zwar mit der Veröffentlichung des Buches „Staatsschutz im Kalten Krieg – Die Bundesanwaltschaft zwischen NS-Vergangenheit, Spiegel-Affäre und RAF“ abgeschlossen, aber wir werden die Diskussion weiterführen und vertiefen – was im Übrigen auch ein Anliegen von Dr. Peter Frank ist. Es gibt sicherlich noch viele Punkte, an denen man beispielsweise im Rahmen einer Dissertation noch tiefer schürfen kann.

In den Medien

Verschiedene Medien haben über das Projekt von Prof. Safferling berichtet:

Süddeutsche Zeitung vom 14.11

BR-Beitrag vom 17.11

Tagesschau vom 17.11. (ab ca. Minute 10:06)

Tagesspiegel vom 17.11

ARD-Podcast „Die Justiz*reporterinnen“ vom 18.11.2021

FAZ vom 22.11

Weitere Informationen

Prof. Dr. Christoph Safferling
Tel.: 09131/85-22250
christoph.safferling@fau.de