Tiefe Einblicke in die Welt der Wissenschaftspolitik
Interview mit Prof. Dr. Anja Boßerhoff
Prof. Dr. Anja Boßerhoff, Inhaberin des Lehrstuhls für Biochemie und Molekulare Medizin, ist seit Januar Vorsitzende der Wissenschaftlichen Kommission des Wissenschaftsrats. Ein Gespräch über Wissenschaft und Politikberatung.
Herzlichen Glückwunsch zur Wahl! Können Sie bitte kurz erklären, was der Wissenschaftsrat ist?
Dankeschön, die Wahl ist wirklich eine große Ehre. Der Wissenschaftsrat ist das älteste wissenschaftspolitische Beratungsgremium in ganz Europa und wurde 1957 gegründet. Damals unterzeichnete Konrad Adenauer ein Verwaltungsabkommen über die Errichtung des Wissenschaftsrats und schuf damit eine Einrichtung, die einen Gesamtüberblick über die wissenschaftliche Arbeit in der Bundesrepublik geben und den Regierungen von Bund und Ländern Vorschläge für die Förderung der Wissenschaft unterbreiten sollte.
Ein „Gesamtüberblick über die wissenschaftliche Arbeit“ in Deutschland ist keine leichte Aufgabe. Wie macht der Wissenschaftsrat das?
Wir schauen uns Entwicklungen in Wissenschaft und Gesellschaft ganz genau an und setzen immer wieder neue Schwerpunkte. In den 1960er- und 1970er-Jahren stand der Ausbau des Wissenschafts- und Hochschulsystems im Vordergrund, dann folgte eine ausgeprägte Reformphase, in der es aber immer weniger Mittel für Wissenschaft und Forschung gab. Ende der 1980er-Jahre kam die deutsche Einheit und der Wissenschaftsrat legte die Basis für den Aufbau einer leistungsfähigen Wissenschaftslandschaft in den neuen Ländern. Und mit Beginn des neuen Jahrtausends stehen neue Themen wie die Differenzierung der Wissenschaftslandschaft, die Förderung der Spitzenforschung oder die Chancengleichheit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf unserer Agenda.
Die Corona-Pandemie ist ein aktuelles Thema. Im Januar 2021 veröffentlichte der Wissenschaftsrat das Positionspapier „Impulse aus der COVID-19-Krise für die Weiterentwicklung des Wissenschaftssystems in Deutschland“. Was sind das für Impulse?
Einerseits haben große Teile der Bevölkerung in der Pandemie erkannt, welche zentrale Rolle die Wissenschaft bei der Bewältigung von Corona spielt. Andererseits mussten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erkennen, wie sensibel die Kommunikation ihres Wissens ist und wie notwendig verlässliche und qualitativ hochwertige Informationen sind. Mit Wissenschaftskommunikation befassen wir uns deshalb gerade intensiv – und auch mit der Rolle des Wissenschaftssystems bei der kreativen Gestaltung und Nutzung des digitalen Raums.
Eine spannende Aufgabe, so wie die gesamte Arbeit im Wissenschaftsrat. Sie wurden 2017 als Mitglied berufen, wie kam es dazu?
Das ist eine gute Frage, denn ich war damals völlig überrascht, als ich den Anruf bekam. Ich forsche schwerpunktmäßig an den molekularen Mechanismen von bösartigen Melanomen und engagiere mich sowohl in der Deutschen Krebshilfe als auch in der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Und die DFG hat, wie auch die übrigen großen Wissenschaftsorganisationen, ein Vorschlagsrecht für den Wissenschaftsrat. Die 32 Mitglieder der Wissenschaftlichen Kommission werden vom Bundespräsidenten berufen – und bei unserer Januarsitzung, die jedes Jahr in Berlin stattfindet, lädt uns entweder der Bundespräsident oder die Bundeskanzlerin zum Gespräch ein. Das ist eine ganz besondere Auszeichnung für unsere Arbeit.
Und jetzt sind Sie Vorsitzende der Wissenschaftlichen Kommission des Wissenschaftsrats. Was macht die Wissenschaftliche Kommission?
Dafür erkläre ich am besten die Arbeitsweise des gesamten Wissenschaftsrats. Das Gremium besteht aus zwei gleichberechtigten Kommissionen: der Wissenschaftlichen Kommission, in der ich nun den Vorsitz innehabe, und der Verwaltungskommission. In der Wissenschaftlichen Kommission arbeiten 24 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und acht Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zusammen. In der Verwaltungskommission bringen Vertreterinnen und Vertreter der sechzehn Bundesländer und des Bundes ihre Expertise ein. Beide Kommissionen treffen sich viermal im Jahr zur Vollversammlung, fassen dort ihre Beschlüsse und veröffentlichen die Ergebnisse in Form von Empfehlungen.
Das klingt nach einem ausgeklügelten Verfahren der wissenschaftlichen Politikberatung. Heißt das, die Politik hört immer auf ihre Empfehlungen?
Naja, uns alle eint der Wunsch, dass Wissenschaft in Deutschland gut funktioniert und unsere Empfehlungen umgesetzt werden. Deshalb bereiten wir sie sehr gut vor: Wir bilden Ausschüsse und Arbeitsgruppen, laden externe Sachverständige aus dem In- und Ausland ein, hören Betroffene, sichten die Datenlage und verwenden viel Zeit auf Diskussionen und Abstimmungen. Und durch die Verwaltungskommission ist die Politik von Anfang an eingebunden. Die Chancen auf Umsetzung stehen also gut – und das macht die Aufgabe so spannend für mich.
Als Vorsitzende der Wissenschaftlichen Kommission können Sie mitentscheiden, welche Themen der Wissenschaftsrat bearbeitet. Was liegt Ihnen besonders am Herzen?
Mir liegen sehr viele Themen am Herzen – vom Hochschulbau bis zum Hochschulranking. Und als Grundlagenforscherin sind mir die inhaltlichen und strukturellen Bedingungen für gute Forschung besonders wichtig. Deshalb freue ich mich auch sehr über den Vorsitz im Forschungsausschuss, den ich nun ebenfalls innehabe.
Von Elke Zapf
Die Themen der neuen Ausgabe sind: ein Interview mit dem Präsidenten der FAU, Prof. Dr. Joachim Hornegger, und dem Markendesigner Claus Koch über die neue Zukunftsstrategie der FAU, eine Untersuchung über den Einfluss von Patenten auf Marktentwicklungen, die Studiengänge „Advanced Materials and Processes“ und „Clean Energy Processes“, ein Spaziergang durch unseren Aromagarten, der heuer sein 40. Jubiläum hat, und ein Interview mit dem Siemens-CEO Dr. Roland Busch.